Ukraine-Dialoge III: Email Tatjana Baskakova/ANH (Übersetzerin und Autor 1)

[Siehe auch → Offener Brief an den Präsi-
denten des deutschen PENs
, Deniz Yücel]

[Zu Tatiana Baskakova:
Татьяна Баскакова
Facebook]

 

 

An Tatjana Baskakova, 1. März 2022, 11.32 Uhr

Liebe Tania,
eben habe ich für Sie ein Bücherpaket zusammengestellt, da erfahre ich, daß zu den Sanktionen wegen der Ukraine-Invasion seit heute auch gehört, daß die Post >>>> keine Sendungen mehr nach Rußland annimmt, bzw. überhaupt verschickt. Nun trifft es auch die Zivilen. Ich habe solch eine Angst, wie muß es da erst Ihnen ergehen? Quasi Tag und Nacht denke und denke ich und schreibe über gar nichts anderes mehr.
Ich denke an Sie und die Ihren.
A.

Татьяна Баскакова, 12.15 вечера

Lieber Albano,
danke! Wir mussen warten, es bleibt nichts anderes.
Es ist sehr schlimm, dass jetzt alle Verbindungen zwischen den Menschen kaputt gemacht werden. Was wir machen koennen — diese private Beziehungen trotz allem zu behalten. Jetzt sind alle Russen in der Situation, die Sie so gut aus eigener Erfahrung kennen: alle sind – vermeintlich – a priori schuldig. Ich bin nicht bereit das zu akzeptieren.
Aber: Ihre Briefe, Ihr Buechergeschenk, sogar das nicht abgeschickte, Ihre Werke ueberhaupt sind eine Unterstuetzung fuer mich.
Sehr herzlich, Ihre Tania

An Tatjana Baskakova, 12.24 Uhr

Es ist doch auch in gar keiner Weise wahr. Die Russinnen und Russen sind zu großem Teil absolut unschuldig, und viele wehren sich sogar – und heftig – gegen diesen Krieg, und zwar unter Inkaufnahme großer Risiken, möglicherweise auch in Lebensgefahr. Das sehe ich hier genau und sehen auch die meisten Menschen und Regierungen Europas so. W a s mich aufregt, ist hier die Begeisterung, auch und gerade in den Zeitungen, über die neue Aufrüstung der deutschen Bundeswehr, und wie plötzlich fast gejubelt wird, weil die, die den Frieden wollten, „gescheitert“ seien. Daß wir gegen Regierungen wie Putins wehrhaft sein und unbedingt der Ukraine, ja, auch Waffenhilfe leisten müssen, steht auf einem anderen Blatt, ist aber eher ein Grund zu riesiger Trauer als zu Jubel.
Und wir werden uns nicht trennen lassen, das kann ich mit Gewißheit sagen; wir werden unsere Kontakte halten und pflegen und sie wahrscheinlich für noch wertvoller erachten als ohnedies schon. Zudem ist, liebe Tania, Rußland zu einem nicht unbeträchtlichen Teil auch Europa und Europa ohne Rußland kulturell gar nicht zu denken, von Tschaikowski bis Schnittke und Gubaidulina, Tolstoj, Dostojewski über Nabokov bis Sorokin, Malewitsch bis … – Hunderte Namen und Menschen. Kulturell sind wir alle, alle verwoben.
Ich denke, ich darf das im Namen der europäischen Intellektuellen sagen, daß wir genau wissen, die Machtclique um Putin will zwar auch die ukrainischen Menschen unterdrücken, nämlich jetzt durch diesen widerlichen Krieg, aber er unterdrückt auch das russische Volk, und zwar schon lange, lange, lange. Daß er ein Menschenschlächter größten Stils ist, wissen wir spätestens seit Tschetschenien. Und so stehe ich selbstverständlich an Ihrer und der Ihren Seite. Bitte grüßen Sie, wo Sie können, von mir.
A.

P.S.:
Ich würde – wie ich es grad laufend mit den >>>> „Ukraine-Dialogen“ mache – gern diesen Briefwechsel in Die Dschungel stellen. Wäre Ihnen das recht? Oder gerieten Sie dadurch in Gefahr? (Ich könnte es auch anonymisiert tun). Geben Sie bitte kurz Bescheid.

Татьяна Баскакова, 12.54 вечера

ja, publizieren Sie das, und wenn schon, dann, bitte, mit meinem Vor- und Nachnamen. Ich sehe jetzt in Facebook, diese «Schuld»-Frage ist sehr schwierig fuer viele Russen.
Vielleicht dann (falls Sie nichts dagegen haben) publiziere auch ich diesen Text, auf Russisch.

An Tatjana Baskakova, 13.41 Uhr

Das merke ich gerade, wie wichtig es für die Ihren ist. Bitte machen Sie sich alle klar, daß Sie n i c h t von  dem Balkon eines Nobelhotels herab auf einem großen Platz gefragt worden sind: „Wollt ihr den totalen Krieg?“ und nicht einmal untotal „Wollt ihr den Krieg?“ – und daß da schon gar niemand die Hand ausgestreckt und irre vor Machtrausch gebrüllt hat, nämlich unisono alle: „Jaaaaaaa!“

Das ist der Unterschied.

Es ist ein dimensionaler, existentieller, ja ontologischer. Die Deutschen, während des Krieges und danach, hatten allen Grund, sich schuldig zu fühlen. Sie waren es durchweg, außer denen, die Widerstand leisteten und in der Regel ins Lager kamen, um meistens darin umzukommen. Die Russinnen und Russin jetzt sind es nicht – außer den wenigen, die das Morden mitbetreiben. Nicht einmal die einberufenen Soldaten sind es – wobei ich meinerseits mich nicht einsetzen l i e ß e, sondern verweigerte oder desertierte. Aber das ist wohlfeil gesagt, ich fühle nur so, aber weiß es nicht, weiß lediglich, daß ich Befehle fast prinzipiell nicht befolge. (Übrigens war das der tatsächliche Grund, weshalb ich den Wehrdienst – damals gab es ihn noch als Pflicht und wird es wahrscheinlich nun bald wieder geben) – verweigert habe, und nicht, weil ich Pazifist war oder bin. Für einen wirklichen Pazifisten bin ich nicht naiv genug.)

Und deutlich noch einmal: Die russische Bevölkerung hat keine Schuld an dem Krieg – bis auf ganz wenige, die an ihm verdienen; aber die andern alle müssen ihn auch noch bezahlen, teils sogar mit dem Leben, einige mit Haft, vielleicht Verschleppung, alle aber bitter mit Not. Schuld tragen, und zwar genauso wie Putin, – neben einer durchaus auch Mitschuld des Westens – allein noch Oligarchen – und die, wegen der sie schmerzenden Sanktionen, fangen grade an, sich zu drehen, langsam aber und einer nach dem andren. Wenn Putin da nicht aufpaßt, erwischt es ihn von – ich meine das im Wortsinn – hinten. Denn diese Leute haben Macht.

Ihr Albano

***

[Siehe auch → Offener Brief an den Präsi-
denten des deutschen PENs
, Deniz Yücel]

3 thoughts on “Ukraine-Dialoge III: Email Tatjana Baskakova/ANH (Übersetzerin und Autor 1)

  1. (Bitte wenn irgend möglich, weiter solche Mitteilungen teilen. Es ist so eine wertvolle Dimension, unverfälscht aus dem geographischen Zentrum der Ereignisse Bericht zu erhalten.)

    1. Ich hätte es schon früher getan, war aber in meinen Briefen nach Rußland sehr vorsichtig, weil ich nicht abschätzen konnte, noch kann ich es jetzt, wie, wo, wer was liest und welche schlimmen Konsquenzen die Empfänger möglicherweise tragen müssen. Verglichen mit Rußland leben wir hier ja alle, sogar HartzIV-Empfänger, im fettesten Speck und zu demonstrieren ist komplett risikolos, weshalb solche Umzüge auch schnell zu Gemeinschaftsräuschen werden. Um es böse zu sagen, ravt man die Demonstrationen, indessen drüben sich schon die Inhaftierungstüren öffnen, mit möglicherweise nicht nur für uns unabsehbaren Folgen.
      Doch jetzt, nachdem Baskakova zugestimmt hat, kann ich nicht nur freier zu ihr sprechen, sondern, was sie zu sagen hat, auch öffentlich machen. Selbstverständlich aber werde ich von Fall zu Fall und immer mit ihr zusammen entscheiden.

  2. Liebe Tatjana Baskakova,

    entschuldigen Sie, wenn ich mich in Ihren ja an sich privaten Briefwechsel mit Alban einschalte.
    Dieses Gespräch ist sehr wichtig. Ich bin sicher, sehr viele Deutsche würden Ihnen gern, so wie ich, versichern, dass wir Putin nicht mit dem russischen Volk verwechseln. Ich selbst bin mit meiner Frau lange in Russland gewesen, meine Frau hat dort in Omsk ein Stück inszeniert. Wir waren also nicht nur in Moskau, sondern hauptsächlich in Sibirien. Und wir haben selten irgendwo auf der Welt so viel Freundschaft und spontane Hilfe erlebt. Das werden wir nie vergessen.

    Seien Sie und die Ihren aus der Ferne in Freundschaft umarmt.
    Peter H. E. Gogolin

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