„Der Aggressor sollte wissen, daß die Vergeltung unumgänglich ist.
Und dann kommen wir als Märtyrer in das Paradies, und sie verrecken
einfach, bevor sie es auch nur schaffen, Reue zu zeigen.“
Wladimir Putin
→ Международный дискуссионный клуб
«Валдай», 2018
Wir werden uns schuldig machen, haben es teils schon getan. Mit welchem Geständnis oder Zugeben Putin bereits widerlegt ist. Wir bereuen, und zwar, weil die meisten von uns das jetzige Verhängnis nicht verhindern konnten, viele dessen Kommen auch nicht sahen, es aber dennoch als auch eigene Schuld anerkennen. Freien Willens, trauernd und stolz.
Die Frage ist „nur“, an wie vielen wir uns schuldig gemacht haben werden. An den ukrainischen Menschen, an allen Völkern des Westens, vielen weitren Völkern des Ostens mit? Vor allem aber an unsren Kindern werden wir es gemacht haben, wenn wir uns nicht erpressen lassen. Ja, wir werden uns, von der Androhung eines Atomkriegs, erpressen lassen müssen. Tun wir es nicht, wird die Schuld, die schon ist, unendlich. Sofern es zum Atomkrieg kommt, den wir sehenden Auges riskiert hätten. Soviel zum Überflugverbot. Wären Putin und seine Entourage menschlich, könnten wir es verhängen, auch wohl verteidigen, wären dann in einem weiterhin konventionellen Krieg. Der wäre zu akzeptieren, weil Fortsetzung der Menschheitsgeschichte, nicht ihr Abbruch. Es kann der Frömmste nicht in Frieden leben, wenn es dem bösen Nachbarn nicht gefällt (→ Schiller). Nur steht bei Putin zu erwarten, daß er sagt, gehe ich unter, dann geht ganz Rußland unter – (nach seinem Rußlandbild); → so soll die Welt m i t fallen. Und er erteilt den atomaren Einsatzbefehl. London, Paris, Berlin. Diese Städte zuerst (Berlin hat er schon angekündigt). Fast zeitgleich sodann Washington, eher New York City. In den USA werden die Rückschlagwaffen schon ausgerichtet sein, dazu braucht es keinen offiziell verkündeten Bereitschaftsbefehl (im Gegenteil, es wird – klugerweise – geheimgehalten werden, was nur geht), und die in Europas Militärstützpunkten. Die übrigens ebenfalls erstes Beschußziel könnten sein – mit mehrfachem „Erfolg“. Die möglichen Abschußrampen sind ja bekannt, wenn auch vermutlich nicht alle.
Das Überflugverbot könnte, muß aber nicht als Eingriff der NATO und damit ihren Eintritt in den Krieg gewertet werden; es ließe sich auch als notwendige Folge, ja einer Verpflichtung der Genfer Konvention betrachten, dem Schutz der ukrainischen Zivilbevölkerung dienend. Putin, nach aller jetzigen Erfahrung, wertet aber ausschließlich nach eigenen Interessen und denen – was ihm als gleich gilt – des rückzuerrichtenden Russischen Reiches. Ein militärisches Eingreifen des Westens ist für ihn fremdstaatliche Aggression. Übrigens mag, daß dessen, also unsre, Wohlfahrtsstaaten dekadent seien, stimmen, eine Haltung wie Putins indessen ist es genauso – und schlimmer: Hier wirkt → Freuds Todestrieb („Märtyrer“). Und man stelle sich doch vor, wie er, angenommen, daß er in der Ukraine militärisch obsiegt, in Zukunft wird leben: permanent abgeschottet, möglichst unlokalisierbar, in Bunkern versteckt, wie → Mafiabosse quasi in Kellern, aus deren Kunstlicht hinauf sie ihre Verbrechen planen, operativ – weil wir davon ausgehen können, daß längst schon Strategien zu seiner Liquidierung in den Think Tanks laufen, ein zielgenauer Raketenschuß aus dem All wie in der arabischen Welt US-amerikanischer Drohnen gegen Führer des IS; vorstellbar, daß er sich in seinem Schwarzmeerpalast jemals noch wird aufhalten können? Oder frei über irgend einen Gemüsemarkt spazieren?
Persönlich aber-besonders liegt unsere Verantwortung d a:
Wir Eltern haben Kinder auf eine Welt gebracht, die unaussprechlich schön sein und weil sie es sein kann, trotz ihrer Härten. Wir haben sie aus Liebe auf die Welt gebracht, sind deshalb überzeugte, wollende Eltern. Was die Verpflichtung in sich trägt, für die Wohlfahrt unserer Kinder Sorge zu tragen, und zwar zu allererst. Dies ist kein Egoismus, um uns selber geht es nicht.[1]In Japan geht die Moral noch viel weiter: Rette ich jemandem das Leben, bin ich fortan verantwortlich für diesen nunmehr auch. Unsere Verpflichtung heißt, Schaden von ihnen abzuwenden, soweit wir es können, und zwar – als kultivierter Instinkt der Natur und damit Naturrecht ins Bewußtsein gehoben – so lange wir leben. Für diese – unserer Weltanschauung unabdingbare – Kultivierung spielt es keine Rolle, daß sie, unsere Kinder, irgendwann erwachsen sind; unser Schutz, bleibend, steht ihnen zu. Bis wir selber kraftlos sind. Und genau dieses Erbe, diese Verantwortung für eines Tages auch i h r e Kinder, geben wir weiter an sie. Dafür nehmen wir Schuld nun auf u n s. Die andernfalls über sie, die objektiv unschuldig sind, kommen würde. Es ist dies a u c h, nebenbei bemerkt, eine Kernbotschaft des Christentums.
Das Geschehen ist, in antikem Sinn, tragisch – doch der Stolz unsres Geistes, das Tragische in ein Wollen zu heben: Wir nehmen es, indem wir „Schicksal“ negieren, als (so proklamierten) freien Willen auf uns. Und also, weil dies kein Triumph ist, die Schuld.
(Als Beispiel für das, was ich meine:
Wer unter Hitler, wiewohl ihn ablehnend, schwieg, um seine, ihre Kinder zu schützen, die und der tat recht, machte sich gleichwohl schuldig, schwer sogar. Die Schuld wäre aber auch zu tragen gewesen, wäre man in offenen Widerstand gegangen, ohne den Schutz der Kinder garantieren zu können. Die Lage war indes noch anders, auf „Wollt ihr den totalen Krieg?“ wurde jubelnd „Ja!“ gebrüllt. So kam es zu einer gleich doppelten Schuld, jedenfalls vieler. Da wirkte Tragik dann n i c h t. Sondern häufig Verblendung.)
References
↑1 | In Japan geht die Moral noch viel weiter: Rette ich jemandem das Leben, bin ich fortan verantwortlich für diesen nunmehr auch. |
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Es ist dies eine Dimension, die wohl kaum jemand berücksichtigt. Danke Alban Nikolai Herbst für diesen Weitblick.
Lieber Gogolin,
es geht mir auch um eine kultur- und geschichtsphilosophische Perspektive. Was genau bedeutet – und/oder hat zur Folge – dieses und jenes, das wir meinen und wahrscheinlich auch äußern (oder aus Angst etwa nicht äußern; die Bereitschaft ist groß, sich der allgemeinen Öffentlichen Meinung unterzuordnen)? Aber was bedeuten unsere Haltungen gerade jetzt im Wortsinn angesichts dieses Krieges, und für wen? Wie vertreten wir unsere „Werte“ – und welche sind es überhaupt? Ich muß sie erst nach und nach formulieren, wozu ich sie mir zuvor erst bewußt machen muß. Und will. Dafür habe ich oben ein Beispiel zu geben versucht. Philosophisch betrachtet, deshalb mein – eines Pantheisten! – Hinweis auf das Christentum, geht es bei dem Nexus „Schuld“ vor allem darum, nicht wieder zur Erbschuld zurückzukehren, die aus der Welt ein für alle Male genommen zu haben das eigentliche Verdienst des Nazareners war (auch wenn die Kirchen sie schnellstens wieder reinstallierten, um ihre Macht zu festigen, ja überhaupt erst zu formen, woran die Übernahme des Christentums durch das Römische Reich, das immer ein Sklavenreich war, ursächlich schuld ist). Indem ich als Einzelperson die Schuld auf mich nehme, schütze ich meine Kinder davor, daß sie auf sie überkommt. Dabei ist es völlig egal, ob ich objektiv Schuld zu tragen habe; ich kann sie auch als Teil einer ganzen Matrix (etwa einer Gesellschaft) auf mich konzentrieren – damit eben Die-noch-lange-nach-mir-leben-werden von ihr gar nicht erst berührt werden. Damit sie freisein können.
Danke für Ihre Beiträge…um es kurz zu machen, dieser Krieg hätte verhindert werden können und ich bin gegen die Sperrung des ukrainischen Luftraums..Gründe dagegen, sind bekannt.
Wenn ich an meine Großnichte denke, die mit ihren knapp 4 Jahren diesen Wahnsinn auch schon mitträgt,ob sie will oder nicht, dann bricht es mir das Herz.
Die Folgen dieses Krieges sind für uns alle noch gar nicht absehbar.
Was für mich immer unbegreiflich bleiben wird, ist das Unvermögen der Menschen, weder „konflikt- noch friedensfähig“ zu werden/zu sein…
RIvS.(c).
Ich weiß nicht, das bringt uns auch nicht weiter, wenn wir das Großsubjekt „die Menschen“ (wer immer das sein soll) weder für „konflikt- noch friedensfähig“ halten. Und ich wehre mich auch dagegen, so etwas über mich sagen zu lassen. Ich habe ein ganzes Leben hinter mir, in dem ich friedensfähig und weit mehr gewesen bin. ES GEHT HIER NICHT UM IRGENDWELCHE MENSCHEN und ihre vermeintlichen Fähigkeiten oder Eigenschaften. Die Mörder haben ganz konkrete Namen, die man auch nennen muss, sonst beteiligt man sich an der Verschleierung der wahren Verhältnisse. Es geht um MACHT es geht um Interessenskämpfe im weltweiten Maßstab. Die Menschen sind diesen Mördern völlig egal. Die Menschen an sich könnten von Geburt an ENGEL sein und nichts tun als Hosianna singen. Sie würden von den Panzerketten dieser Mörder trotzdem zu Brei gewalzt. Hören wir auf, die arme Menschheit für etwas verantwortlich zu machen, worauf sie keinerlei Einfluss hat.
Vielen Dank für den Text, lieber Alban Nikolai Herbst! Ich würde noch ergänzen, dass die tragische Situation aus einem Mangel an rechtzeitigem Handeln erst historisch erwachsen ist, wie das ebenfalls in der antiken Tragödie der Fall ist. Die Mängel fangen sicher schon in den frühen 1900er Jahren an, spätestens aber mit der Zögerlichkeit, Putin zu bremsen, seit 2008 bzw. 2014. Daran können wir nichts mehr ändern. Aber daraus zu lernen, hieße, ein größeres Gefahrenbewusstsein auszubilden und künftige Risiken besser zu berücksichtigen, die in einer aktuellen Situation nicht besonders bedrohlich wirken mögen (wie lange Zeit der schrumpfende Bestand der nuklearen Sprengköpfe der Russischen Föderation). Präventionsbewusstsein muss in der komplexen planetaren Gegenwart gestärkt werden, wenn es uns um die Zukunft geht (ich würde sagen: nicht nur die unserer Kinder, sondern aller Menschen, die künftig leben werden). Es kann nicht die Sorge um die unmittelbare Gegenwart nehmen, muss sich mit ihr aber verbinden.
Noch eine Bemerkung zum letzten Absatz: Warum sollen wir die Tragik wollen? Das war Schellings Idee, um die Freiheit in ihrem Untergang zu retten. Ich würde eher sagen: tragische Schuld des zu späten Handelns anerkennen, aber das Wollen in der praktischen Milderung der Kriegsfolgen (=Gegenwartssorge, z.B. Hilfe für Flüchtende) und der Abwehr künftiger Kriege und anderer Gefahren (=Präventionsbewusstsein, z.B. rasante Energiewende) artikulieren. Schuld wäre, das Tragische als Schicksalhaft anzuerkennen und nicht an der Vereidung seiner Wiederkehr zu arbeiten.
Lieber Asmus Trautsch, da ich an den freien Willen nicht glaube, aber auch aus eigenem Erleben weiß, daß jemand, der sich frei fühlt, anders handeln wird als jemand, der sich unfrei fühlt (eine der Wirkungen dessen, was ich „Realitätskraft der Fiktionen“ nenne), habe ich am Ende meiner ja doch nur kleinen Überlegung das „Tragische“ uns als eines annehmen lassen, als w ä r e es Schuld, die wir, weil selbst bewirkt, zu tragen hätten. Es scheint mir dies, neben weiteren verwandten Haltungen (die sozusagen innere Anverwandlungen sind), ein Weg zu sein, aus der tatsächlich wirkenden Determination herauszukommen. Wobei, wie schon → Nietzsche richtig bemerkte, ob wir solche Haltungen einnehmen können, ihrerseits von Prägungen (einer, ich sag mal, ‚lockereren‘ Art von Determination) abhängig ist: Können wir sie überhaupt einnehmen, ja das Problem überhaupt wahrnehmen?
Etwas naiv gesagt, können wir das Tragische wenden, erst wenn wir es sehen und als solches begreifen. Damit tritt es aus der eigenen Blindheit, die man ihm, dem Tragischen als determiniertem und determinierenden Prozeß, nicht übelnehmen kann, wohl aber uns, die wir ihn, ich denke aus Furcht, leugnen. Eng damit verbunden ist der ebenfalls weitgehend, vor allem – nach der Aufklärung – im Westen, geleugnete Schicksalsbegriff, der indirekt aber schon durch Adorno/Horkheimer in ihrer, → der Aufklärung, Dialektik neuen, modernen Ausdruck fand; nur wurde das Buch s o (= „auf diese Weise“) selten gelesen.
Daß ich derart auf „unsere Kinder“ fokussiere, liegt daran, daß ich hier, auf der Suche nach „unseren Werten“, als leidenschaftlicher Vater formulierte; selbstverständlich haben Sie recht, den Blick auf „alle Menschen, die künftig leben werden“ zu weiten. Problematisch ist daran allenfalls, daß darunter auch neue Diktatoren sein werden. (Weshalb ich → dort habe – nach unten scrollen bitte – so drängend meine Putin-als-Kind-Frage gestellt).
Zu Ihrer letzten Frage (unabhängig davon, daß ich Ihre Position gleichzeitig teile):
Es geht nicht darum, Tragik zu wollen, weil es auch sinnlos ist, den Regen nicht zu wollen, wenn er fällt, ebenso wie einen Tsunami zu leugnen, der grad wütet. Hier wirken Prozesse. Wenn wir aber das antike Konzept des Tragischen verstehen und es in unseren Willen übernehmen, können wir es möglicherweise aufheben, weil der blinde Prozeß unvermittelt sehen kann. Ähnlich habe ich schon oben argumentiert, ich weiß. Da es hier aber um eine Schuldfrage, nicht um einen physischen Prozeß geht, gibt es eine Chance.
Nebenbei beschäftigt sich mein meine Bücher seit langem durchziehendes, – von Benjamin aus, selbstverständlich – weiterfassendes Konzept stetig wirkender Allegorien mit etwas Ähnlichem. Es ist zugleich die Absage an den freien Willen wie ein, gerade darum, Beharren auf ihm; anders als so geht es indes nicht. Meiner Überzeugung nach, andere sehen es anders.
[Den geschundenen Menschen in der Ukraine hilft dies alles selbstverständlich jetzt ebensowenig wie auf beiden Seiten den Kämpferinnen, Kämpfern und Soldaten, die zumindest auf russischer Seite nicht selten komplett überfordert wirken (was sie dann, psychisch eine Abwehr, grausamer und grausamer werden läßt). Niemand dort hat Zeit, und zwar um ihrer Leben willen, jetzt noch – und gar solches – zu denken. Wir hingegen können es noch und müssen’s darum.]
Danke, daß Sie sich „eingemischt“ haben.
Sie haben furchtbar recht. Es gibt Leute, die wollen ihn wirklich riskieren (zitiert nach der → BILD von heute):
Frankreich, England, Deutschland und Amerika müssen als Allianz der Freiheit Putins mörderisches Treiben mit ihren Truppen und Waffen in Kiew und mit dem modernsten Cyber-War in Moskau beenden. (…) Wenn das geschieht und nicht schnell gelingt, droht eine Eskalation bis zum 3. Weltkrieg. Wenn es nicht versucht wird, bedeutet das Kapitulation.
→ Mathias Döpfner, Vorstandsvorsitzender Springer-Verlag
Es traut sich die Frage niemand zu stellen, jedenfalls nicht öffentlich: Was ist der größere Schaden, eine ukrainische Kapitulation oder der Dritte Weltkrieg? Für Döpfner offenbar die Kapitulation. Sowas würde i c h „toxische Männlichkeit“ nennen. (Gestern, beim Frauentag, wurde sie allerdings auch durch Frauen vertreten. Und durch nicht wenige.)
Das genau ist des Todestriebes „Logik“: Sieg oder alle gehen unter. („Alle“ meint nicht die Ukraine allein, sondern einen großen Teil der Weltbevölkerung. Und der Überlebenden, vieler der Überlebenden, von Strahlenschädigung Siechen über Jahrzehnte.)
Im übrigen wundert mich Döpfners Aussage nicht. Zum einen gehört er ins Hetz- und Haßnetzwerk der sogenannten → Achse des „Guten“, zum anderen wird er mit seiner geschätzten Milliarde ein laues Plätzchen schon finden, von dem aus er der Vernichtung zusehen und dabei Erdnußflips mit Kaviar futtern kann. Und bei jedem Einschlag ruft er: „Tooooooor!“