Dieses ist zurückzuweisen, und zwar scharf. Der Ukraine Außenminister Dmytro Kuleba an Deutschland.

Wobei deutlich zu spüren ist, aus welcher Panik hier gesprochen wird, einer berechtigten Panik, die den Vorwurf selbst als Drohung entschuldigen mag:

Entweder wird Deutschland eine führende Nation
bei der Unterstützung der Ukraine und im Kampf
gegen das russische Böse. Oder Deutschland be-
kommt eine neue historische Schuld für verlore-
ne Leben und zerstörte Städte.

Dabei ist schon die Wendung „das russische Böse“ nationalistisch infam, ja verheerend. Dieser Angriffskrieg gründet nicht auf einem russischen, sondern, wenn, dann dem putinschen Bösen[1]Von einem „Bösen“ zu sprechen, ist selbst schon — zumal semireligiöse, also Glaubens- — Ideologie, die alles durchsteicht, was uns verstehen lassen könnte, um ein weiteres solches … Continue reading – und seiner Vasallen. Die deutsche Regierung sollte sich, bei allem Verständnis, gegen solche Töne verwahren. Erstens macht sich kein Land historisch schuldig, wenn es in einen Krieg nicht eintritt, den zwei andere Länder führen, und schon gar nicht, zweitens, wenn es dies nicht tut, um seine eigene Bevölkerung – und Bevökerungen sehr vieler anderer Länder – vor einem gleichen Schicksal zu bewahren, das jetzt die ukrainische Bevölkerung trägt. Und nicht nur vor einem gleichen, sondern einem, das außer bislang in Hieroshima und Nagasaki noch keine tragen mußte auf der Welt, und deren Folge- und Folge- und Folgegenerationen sowie die gesamte Fauna und Flora der, im Fall des Falles, halben bis dreiviertel Welt.

Worum es geht, ist klar, wobei auch hier Kukebas aggressiver Ton mehr als unangemessen ist:

Es mag Ihnen so scheinen, als hätten Sie bereits
eine Heldentat vollbracht, indem Sie eine Rei-
he wichtiger Entscheidungen getroffen haben.
Gebt uns mehr Waffen, damit wir uns verteidi-
gen können. Helft uns, unseren Himmel zu
schützen. Helft dabei, dass man uns Kampf-
flugzeuge zur Verfügung stellt. Gebt uns
stärkere Panzer, Flug- und Raketenabwehrwaffen.

Es ist uns Deutschen darum aber schon seit langem nicht mehr getan, „Heldentaten“ zu vollbringen; diese Terminologie wird in diesem Land aus guten, eben historischen Gründen Göttinseidank abgelehnt. Das kann Kuleba seelisch vielleicht nicht verstehen und darf es, aus Notwehr, in der jetzigen Situation seines Landes wahrscheinlich auch nicht. Aber eine deutsche Zurückhaltung indirekt mit den Schrecken des deutschen Nationalsozialismus auch nur in Verbindung zu bringen, ist nicht nur grob stillos, sondern eine geschichtsrevisionistische Ungeheuerlichkeit. Die jetzige Bundesrepublik Deutschland hat diesen Angriffskrieg, anders als Hitlers Drittes Reich den seinen, nicht begonnen. Und schon meine Generation, ich bin siebenundsechzig, hat mit dessen – faktisch – nichts zu tun, erst recht nicht haben es die folgenden Generationen bis zu der meiner Kinder. Und eben weil wir dennoch für die deutsche Geschichte nicht wegen einer Erbschuld, die gibt es nicht, sondern aus freiem Willen die Verantwortung übernommen haben, lehnen wir die Terminologien von „Helden“ ab, sowie des Ruhms oder gar einer „Ehre“ des Vater- sowie Mutterlands.

In Friedenszeiten jedenfalls hätte Kuleba für diesen seinen Aufruf eine deutliche Watschn verdient, und zwar mit dem Handschuh. Auch, ihm vor die Füße zu spucken, wäre angebracht, ihm, nicht den leidenden und kämpfenden Ukrainerinen und Ukrainern. Im übrigen gilt, à propos Schuld, das, was ich → d o r t schrieb.

Миру Україні,
ANH

_________
[Zitatquelle:

Claudia Thaler in → ZEIT online Ukraine-Liveblog, 9. 3. 2022, 13.48 Uhr]

References

References
1 Von einem „Bösen“ zu sprechen, ist selbst schon — zumal semireligiöse, also Glaubens- — Ideologie, die alles durchsteicht, was uns verstehen lassen könnte, um ein weiteres solches Unheil überhaupt verhindern; die Terminologie schreit mit Schaumvor dem Mund.

7 thoughts on “Dieses ist zurückzuweisen, und zwar scharf. Der Ukraine Außenminister Dmytro Kuleba an Deutschland.

  1. Man muss es als Verzweiflung verstehen, aber es geht langsam in eine absurde Richtung.

    „Deutsche Bürgerinnen und Bürger! Öffnen Sie ihre Augen und werden Sie Ihrer historischen Verantwortung gerecht. Obwohl keiner von Ihnen persönlich die Militärmaschine, die der von Hitler und Stalin ähnlich ist, unterstützt oder finanziert, tun Sie dies jedoch alle gemeinsam durch Ihre Regierung. Sie finanzieren die Verbrechen gegen die Menschlichkeit in der Ukraine, einem Land, das heute auch die Demokratie und Sicherheit Deutschlands mit dem Leben ihrer Söhne und Töchter verteidigt.“

    https://www.welt.de/debatte/kommentare/article237411197/Offener-Brief-aus-der-Ukraine-Liebe-Deutsche-schaemen-Sie-sich-nicht.html?

    Es ist ein Bärendienst, den diese Leute den Ukrainern damit antun.

    1. Es klang durchaus ähnlich in Prochaskos Rede am Sonntag, ich habe es ja → kommentiert (und unten ist der Gesamtvideomitschnitt eingebettet, so daß jeder, was ich sage, mit dem, was gesagt wurde, vergleichen kann; sogar Minuten- und Sekundenzeit habe ich angegeben). Hier kommt tatsächlich ein völkischer Nationalismus durch („das russische Böse“), der mich zunehmend skeptisch stimmt, ebenso wie die Showeinlagen Selinskyjs mitsamt gehobener Faust. Das riecht alles sauerbitter nach Manipulation. Innert der Kriegssituation kann ich das nachvollziehen, also Sekinskyjs Showbusiness, nicht aber bei den deutschen Intellektuellen, von denen kaum mal was Abwägendes, Kritisches zu hören ist, sondern auch hier bricht sich ein entsetzlicher Hurrapatriotismus Bahn, den wir in den vergangenen Jahrzehnten doch nun wirklich, offenbar leider vermeintlich, überwunden hatten. – Wie auch immer, wenn von russischer Seite wie grad dem Oberhaupt der russ.-orthodoxen Kirche zu hören ist (der der jeweilige Herrscher als von Gott eingesetzt gilt), sage ich gar nichts dazu, es (be)kümmert mich nicht. Aber der Ukraine fühle ich mich in ihrem Leid verbunden, so wie wir wohl alle es tun, und da ekelt und schüttelt es mich, solche Sätze zu hören – und etwa sowas wie das Regiment Asow auch nur hinnehmen zu müssen. Ja, Bärendienst. Das Regiment Asow gibt Putin ein Alibi – wie auch die anderen rechtsradikalen Einheiten, die unter dem Befehl des ukrainischen Innenministeriums stehen.

  2. Mitunter habe ich das Gefühl, es handelt sich um Auseinandersetzungen zwischen mehreren Mafia-Clans. Morgen treffen sich zwei Führer zu Verhandlungen, heute wird noch mal rasch ein Kinderkrankenhaus bombardiert, um bessere Karten zu haben. Der oberste Führer des einen Clans schickt über die Presse eine Nachricht, dass der Führer des anderen Clans am Leben bleibt. Aus Washington ruft der Pate an, stellt Bedingungen, ein ganz Verrückter drängt darauf, mit der Atombombe alle in die Luft zu sprengen. Wer schrieb eigentlich das Drehbuch?
    Dann kommt die Botschaft, ein Clanchef versichert, dass seine Killer echt sind, sie sind informiert was sie tun… schnell einschalten, gleich kommt die nächste Folge

      1. Dagegen allerdings → das.

        Wenn ich nach Gründen und Zusammenhänge suche – seit Tagen tu ich nichts anderes mehr -, wird es komplexer und komplexer, also auch widersprüchlicher. Bis schließlich nur noch eines für mich absolut klar ist: Es darf um der Menschheit willen und auch um der Tierwelt und Pflanzenwelt willen zu keinen Atomkrieg kommen. Das Elend wäre unerträglich, weit weit entsetzlicher als alles, wirklich alles, was ein konventioneller Krieg ohnedies schon anrichtet. Einen Atomkrieg aber dürfen wir nicht einmal auch nur gedankenspielerisch riskieren. Er wäre das absolute Ende jeglicher Menschlichkeit, jeglicher Güte, jeglicher Liebe, auch jeglicher Kunst.

        1. Das ist wahr.
          Das wäre dann das Ende mit Schrecken, das ja sogar besser sein soll als das Schrecken ohne Ende.
          Wobei ich anmerken möchte, dass wir bereits in dem Schrecken einer endlosen und weltweiten Propagandaschlacht stecken, wo man nicht mehr unterscheiden kann, was wahr und was falsch ist, selbst Bilder und Filme können gelogen sein. Dazu gehört auch der Link, den ich hier mitteilte, vielleicht aus Putins Geheimdienstarchiv zusammen gebastelt.
          Allerdings Selenskiys Weltreise durch die Parlamente aller Länder per Videobotschaften, dass die Welt verpflichtet wäre zu helfen, sehe ich in einer Mischung aus Komik und Schrecken. Neulich legte jemand die Rede von Churchill vor dem britischen Unterhaus drunter, seine brühmte Blut- und Tränenrede zur Kriegsbeteiligung Englands, sie stimmte fast wortgenau mit seiner, Selenskiys Rede, überein. Bisschen viel Show, denke ich, ist auch schrecklich.
          Wir sollten wohl alle demütiger sein, es gab doch mal ein Liedchen: „Glücklich ist, wer vergisst, was doch nicht zu ändern ist.“

          1. Selinskyjs – höchst geschicktes – Showbusiness habe ich ebenfalls schon mehrfach benannt; es wird indes als Nowendigkeit, scheint es, empfunden. Für mich ist es manipulatives Agieren, ebenso wie das unsägliche Ausrufen von „Ehre“ und „Ruhm“. Ich bin der deutschen Regierung extrem dankbar, daß dergleichen dort über keines Lippen kommt. Nur „das Volk“ – oder doch wahrnehmbare Teile – nehmen daran teil. Ich werde darauf in meinem heutigen Arbeitsjournal eingehen, das aber noch nicht einmal geschrieben, ja nicht mal angefangen ist.

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