[Arbeitswohnung, 15.50 Uhr] | „Ein gutes Pferd springt knapp.“
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Zumindest der Vormittag verlief geradezu restlos anders geplant. Zwar, liebste Freundin, kam ich schon ein wenig an den siebenunddreißigsten Brief, aber dann war etwas abzuholen, was ich bereits am Freitag hätte tun sollen. Und weil ich seit gestern, schon während der Rückfahrt im Flixtrain, ein mit leichtem Reizhusten verbundenes dauerndes Kribbeln im Hals gespürt hatte, was ich erst einmal auf sehr wahrscheinlich zuviel Raucherei während der Kasseler Gespräche zurückführte, und außerdem meine Nase lief – Wasser bloß, wie pures Wasser –, doch gestern abend bereits mich mein Instinkt, auf den eigentlich immer Verlaß ist, wissen ließ, hier sei vielleicht doch etwas nicht recht in der Ordnung — und nachdem heute morgen dieser Reizhusten fast zwar vorüber, doch mir nach einem, im Schlaf, extrem wüsten Traum seltsam schummerig blieb und ich überdies das Gefühl hatte, mein Atmen sei leicht eingeschränkt — setzte ich mich aufs Rad und fuhr zum Antigen-Test, imgrunde aber unbesorgt. Es war etwas früher als sonst, daß ich fürs Phosüppchen weiterfuhr, eines auch bestellte und, als ich den Inhalt des etwa halben Schälchens verzehrt, das Testergebnis im iPhone erhielt. Voilà:
Erstmal zurück in die Wohnung, was ich abholen wollte, jetzt noch abzuholen, hätte die Verkäuferinnen gefährdet. Hm, hatte ich genügend eingekauft gestern? Zu Penny kann ich erst auch nicht mehr. Überhaupt, wie mich verhalten? Quarantäne ist klar. Aber PCR-Text? — Sofort लक्ष्मी angerufen, die sich auskennt; sie nahm mal wieder nicht ab. Ihr eine Whatsapp-Nachricht geschrieben. Dann meinen Sohn angerufen, der das Procedere schon durchgemacht hat. Nahm ebenfalls nicht ab. Gut, also nochmal Ricarda, die auch genügend Erfahrungen hat. Denn die Praxis meine Hausärztin hatte nur bis 12 Uhr geöffnet und öffnet erst wieder morgen früh um acht. Sie, Ricarda, half auch sofort. Der mir geschickte Link sah eindeutig vor, es habe möglichst unmittelbar ein PCR-Schnelltest zu folgen; es gibt auch eine Liste anerkannter Teststellen. Davon hatten die meisten geschlossen … doch halt, nahbei, gleich bei der Kulturbrauerei, Knaackstraße 86. – Und wieder aufs Rad.
War komplett unkompliziert; wegen meines Attests, zum Vulnerablenkreis zu gehören, kostete es auch nichts. Rachen- und Hinternasenabstrich, der, letztrer, mir eigenartigerweise sehr viel weniger unangenenehm vorkam als die ewige Kitzelei durch die Antigentests und als ich, vor allem, in der Erinnerung hatte. Schon interessant, wie sich die Wahrnehmung verschiebt. Und sowieso, insgesamt bin ich ganz einverstanden. Es wär doch komplett irre, wenn einer wie ich, der alles einmal erlebt haben will, nun ausgerechnet unter Corona unberührt durchgleiten würde. Ich will aus diesem Leben doch nicht „unschuldig“ gehen, bin ich denn ein Kind? Und klar, wer derart motzt, der kriegt es halt auch ab. Bezeichnend wiederum, daß es mich dann erwischt, wenn die Inzidenzen schrumpfen, grad mal 173,2 heute früh in Berlin. Ich fahr mal wieder ’ne Sondernummer; meine Pop- und Mainstreamallergie bestimmt sogar mein Krankheitsleben.
Nein, ich bin nicht mal nervös, hätt nur nicht gerne ’ne Lungenentzündung. Eine Erfahrung reicht, die muß ich nicht konfirmieren. Das einzige, was mich, aber nicht wirklich sehr, bedenklich stimmt, ist, daß es bis zu meiner Reise nach Triest fast exakt vierzehn Tage hin sind – also eben die Zeitspanne, nach der man erst als genesen gilt. Sofern ich mich kann vorher nicht freitesten lassen. (Exakt sind es bis zur gebuchten Abfahrt nur dreizehneinhalb; aber da würde ich mich ein Auge zudrücken lassen). Und etwas ärgerlich ist, daß ich mir den in Triest reservierten 125er Piaggioroller hier schon mal mieten wollte, um mit dem Geschößlein (95 km/h in der Spitze) vertraut zu sein, wenn es in den Karst geht. Ob das nun noch klappt? Nun jà, meine Freundin, das heutige Motto lasen Sie oben; lesen Sie’s einfach noch einmal. Und dieser Woche, überdies, wollte ich das Tattoo endlich angehn, das meinen Chemo-Bioport[1]Ich nenne das Ding nach so nach → Cronenbergs eXistenZ von 1999; tatsächlich ist es ein einoperierter Port, durch den die Chemo-Medikamente dem Körper zugeführt wurden, um nicht die Venen … Continue reading , den ich nicht habe wieder rausnehmen lassen, graphisch geradezu – wie ich mir vorstelle – pflanzlich mit meinem Brustkorb verwachsen lassen soll, ganz so, wie sich die Dschungel ein verlassenes Dorf zurückholt. So nun indessen wird es wohl erstmal bei meinem Probeversuch mit diesem Klebetattoo bleiben:
(Ich habe es aus zwei Klebtattoos kombiniert, weil mir nur eines zu symmetrisch gewesen wäre; Grundlage ist eine linksläufige Triskele, die ich allerdings gerne erstens noch sehr viel pflanzlicher hätte und zweitens selbstverständlich in Grün, nicht schwarz. Erstaunlich allerdings, daß die vermittels Wasser applizierte Farbe bereits seit fast fünf Tagen hält, ohne daß auch nur die Spur eines Erblassens zu erkennen wäre.)
Ihr ANH
References
↑1 | Ich nenne das Ding nach so nach → Cronenbergs eXistenZ von 1999; tatsächlich ist es ein einoperierter Port, durch den die Chemo-Medikamente dem Körper zugeführt wurden, um nicht die Venen verhärten zu lassen. |
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