[Arbeitswohnung, 7.26 Uhr
France musique opéra:
Mahler, Der Knaben Wunderhorn (Boulez)]
Er merkt’s also auch schon, ich bin beeindruckt:
Seit Anfang August versuchte ich, meinen Kohlenhändler zu erreichen. Es ging nicht mal wer ans Telefon. → Aus Verzweiflung, wie ich bald begriff und wir jetzt auch lesen können:
Was soll die arme Frau den armen „Verzweifelten“ auch sagen? — zu denen ich insofern nicht gehöre, als ich verzweifelt nicht bin, sondern eher sportlich bereit. Zwar gehöre ich eben doch zu jenen, die nur einen Kohleofen haben und eigentlich auf Nachschub angewiesen wären, mein Kohlekeller g ä h n t vor Brikettnleere, aber ich habe ja drei Winter lang, davon zweie in Folge, ausprobiert, ob ich auch ohne zu heizen durchkomm im Winter. Funktioniert. Geht morgens mit einem Pullover los (über Anzug, Hemd und Krawatte zu ziehen) und endet abends mit fünfen. Zu achten ist auf Pulswärme, Handschuhe sind beim Schreiben hinderlich, sonst nehmen Sie besser auch die.
Eigentlich beruhigend ist aber etwas anderes. Nämlich, als ich im Jahr 2000 „Writer in Resicence“ der Keio war, lud mich ein Freund des damals in Tokyo noch lehrenden Ralf Schnell nach Kyoto ein, wo er in einem Tatami- (also Papier-)Haus lebte und immer noch, hoffe ich, lebt, das zu heizen völliger Blödsinn wäre; es gibt ja keinerlei Dämmung. Dort lernte ich folgendes: Heiß baden oder duschen (sehr heiß) – Japaner nennen es „Organe aufheizen“ – , danach auf keinen Fall abtrocknen, sondern die Haut nur abtupfen, dann schnell in die Kleidung. So kann sich zwischen Haut und Stoff eine dünne Schicht Wasserstoffs bilden, die als Isolierung wirkt. Nur an den Fingern, ecco, funktioniert es nicht. Aber sonst bleiben Sie komplett warm, mindestens zwölf Stunden lang, sogar länger, jedenfalls reicht es für einen Tag. Und falls nicht (ich muß dran denken, daß ich so gut wie kein Unterhautfett mehr habe und andres Fett auch nur sehr knapp, zwischen 12 und 13 % seit der Krebs-OP), – falls also nicht, schieb ich halt einen zweiten Duschgang ein. Mal sehn.
Übrigens spazierte ich zu meinem Kohlehändler sogar hin; das Unternehmen liegt in direkter Nachbarschaft meines geliebten Centro Italia. Da lag denn auf dem Hof ein prima Haufen Briketts, die für mich selbst mehr als nur ausgereicht hätten, aber sowohl die Einfahrt wie das kleine Gebäude waren geschlossen, jene sogar mit Kette und fettem Vorhängeschloß gesichert. Die Briketts waren, ahnte ich, für den Eigengebrauch. Und hatte und habe alles Verständnis.
***
Gestern bereits mit der nächsten Rezension begonnen, eines diesmal ausgesprochen heiklen Buches, dessen Lektüre selbst mich ausgebufften Hund arg gefordert hat. Dazu dann aber mehr, wenn ich mit ihr, im Wortsinn, fertig geworden bin und sie hier eingestellt haben werde. Was wahrscheinlich noch vor dem Mittag geschehen sein wird.
Immer noch nackt unterm Bademante, der extrem warmhält:
Ihr, Freundin,
ANH, 8.30 Uhr
[France musique opéra:
Smetana, Prodaná nevěsta]