Es regnet scharf an diesem zweiten Weihnachtstag. Da ist in der Kopenhagener Straße das Sigismondo ein nach italienischem Backwerk duftender Schutzraum, ja eine Höhle, in die das Menschentier vor dem Unwetter flieht
— als aber die außen zwar abgestoßene, dennoch beinah leuchtend braunviolett, innen indes samtbraun lackierte Tür nicht nur knallt, nein, sie kracht ins Schloß der napoletanischen Stammbar meines Verlegers Držečnik, dessen Verlagssitz nah in der parallelen Gaudy gelegen, einer Kaffeebar also, aber auch, wie ich grad erst mitbekommen, Hendrik Jacksons, der sie mir für ein poetologisches Plauderstündchen vorgeschlagen hatte: Es gebe dort den besten Espresso des Prenzlauer Bergs. Da war noch Sommerwetter gewesen, Herbstsommerwetter, und wir hatten uns auf der Staße direkt unters linke Fenster an einen der paar Holztische gesetzt, die auf der einschluß- und glimmerreichen Steinpflasterung des zwar ausgetretenen, doch berlinisch breiten Trottoirs stehen. Doch erst, als ich, um an der Theke etwas nachzuordern, den zugleich als Salumeria eingerichteten Vorraum betrat, hatte ich bemerkt, daß ebenfalls er, Ingo Držečnik, da gewesen war; nur hatte er drinnen vor dem rechten Fenster gesessen, eben dort, wo ich jetzt sitze, als eben die schöne Tür derart in den Rahmen kracht. Für nach innen zu öffnende Flügel eigentlich nicht zu erwarten … – doch wenn im Küchenräumchen jemand lüftet, und plötzlich böt solch ein Orkan auf, kommt es schon mal vor. Nur krachte es jetzt dermaßen, daß es einer Sprengung gleichkam und ich nicht nur zusammenfuhr, nein, mich auf meinem Stuhl instinktiv vor- und über mein kleines Reisebackgammon duckte, weil ich nicht ‚befürchtete‛ – das läßt sich nicht sagen, denn etwas zu denken, war nicht die Zeit –, sondern unter meiner gesamten Haut spürte, vorausspürte, wie der Ineinanderprall von Türblatt und -stock das in den schmalen hölzernen Blattrahmen eingepaßte Fensterelement geradezu explodieren ließ. Tausende Splitterschrapnells durchprasseln den Raum. Aber nicht mal hat die Lackierung sichtbare Macken, auch das Glas hielt wieder mal stand. /span>„Chiudi quella fottuta finestra!‟ schimpft hinter der Theke Salvatore über die Schulter nach hinten. Nur hat die Bö eine Art Nebel aus Regen, aufgepeitschtem Dampf und wirbelndem Laub mit hereinwogen lassen, der sich nun erst senkt, da die Tür zu, und aus den Milliarden feiner Teilchen Arndts Gestalt sozusagen sich herausschälen läßt; fast hab ich den Eindruck, er habe sie als Tarnung genutzt. Bei ihm ist sowas zu erwarten, zumal er in dieser Substantiation trotz seiner kaum einsfünfundsiebzig wohl nicht zuletzt des wuchtigen, unangenehm speckig glänzenden Gewehrkoffers halber ausgesprochen riesig wirkt, den er links in der Hand trägt; ‚schleppt‛ trifft es besser. Daß es einer ist, muß ich nicht raten. Obwohl… – ich meine, es ist in meiner Gegenwart das erste Mal, daß er so einen nutzt; bislang hat er den Platon genannten Bärentöter immer offen getragen. Doch in Berlin läßt er das Gewehr besser wohl schlafen, wo sowieso schon die Last Generation halb unsre woke Hipsterwelt in eine Aufregung versetzt, deren Hysterie mit den Sorgen beinahe gleichgezogen ist, die der russische Angriffskrieg vor allem wegen der Teuerungen auch in den Linksbewegtesten bewirkt; selbst Fernheizungsgünstlinge haben seit Wochen Tonnen Pellets und Kohlen gehamstert, wochenlang gab es kein Speiseöl aus Sonnenblumen mehr … – An sowas zündelt nicht noch, wer nicht erkannt werden will. Das ist mir sofort klar.
Entsprechende Kleidung hat er gewählt; ungewöhnlicherweise trägt er unter dem offenen schwarzgrauen, wadenlangen Lodenmantel eine graue Anzugkombination mit anthrazit getöntem Hemd, das ein schwarzer noch ungewöhnlicher gebundener Schlips schließt, einer voller Sterngefunkel; der Krawattenknoten ein beinahe keltisch Ineinandergeschlängel – das aber an Arndt heute einzig Exotische; ich habe ihn meistens im Burnus gesehen.(…)