Das Arbeitsjournal des Montags, den 27. Februar 2023. Wieder an den Triestbriefen.

[Arbeitswohnung, 10.14 Uhr
France musique Opéra:
Auber, Gustave II ou le Bal masqué]
Es war, besonders während der und nach den → Diskussionen zur Ukraine-Demonstration von vorgestern alles andere als leicht, in die Triestbriefe zurückzufinden. Doch wird es zeitlich eng, zu viel kam in diesem Monat dazwischen, das aber eben auch gestemmt werden mußte. So ganz zwischendurch ist es sogar gelungen, für die Arbeit meine Lektorin Geldmittel zu bekommen, so daß sie nun wirklich konzentriert drangehen kann — alleine, wie?, wenn ich nicht fertig werde … also s o rechtzeitig, daß der Roman in diesem Herbst erscheinen kann?
Jedenfalls wurschtelte ich in Gedanken an dem Text ziemlich uninspiriert herum, bis ich mich zusammenriß und eine Szene fortsetzte, die ich zwar längst im Kopf hatte, aber sich gegen die Niederschrift, ich kann’s nicht anders sagen, so sehr stemmte, daß ich von „sich scheuen“ sprechen muß. Aber mitten darin, Wort für Wort tippend, wieder löschend, ein anderes Wort tippend, ganz Satzteile umstellend, stundenlang … aber mitten darin begann plötzlich alles zu laufen. Weil mir etwas einfiel, das ich überhaupt nicht geplant, nicht mal geahnt hatte, das aber im Motiv selbst zuinnerst angelegt war. So daß mir gegen Abend wirklich eine Szene gelang, die ihresgleichen sucht, weil sie, um direkt aus dem Typoskript zu zitieren,

plötzlich eine ganz andere als bloß persönlich-phantasmagorische Bedeutung bekam, indem sie, unversehens eine Mission, aus meinem – ja, so würde ich es nennen – poetischen Wahn herausgenommen wurde.

Allerdings wird mir jetzt der 33. Brief zu lang; wie ich das lösen werde, weiß ich noch nicht. Der einzige Einfall, den ich dazu bisher hatte, lautet dahin, das Buch mit einem Epilog zu beenden, der aber alles zuende erzählt und in dem auch diese riesige Vision, die ich von der Finalszene längst in mir herumtrage, stattfinden wird – so daß es eigentlich ein Epilog als integrierte Fortsetzung wäre, was ich aber formal auch dann problematisch finde, wenn es mir die erzählerische Möglichkeit gäbe, ganz ins Präsenz zu wechseln, um den Schluß des Buches in einen mythischen Raum zu verlegen, aus dem sowohl Lebende wie Tote noch heraussprechen können oder soche, von denen wir nicht wissen, ob sie noch leben oder schon tot sind. All das aber bei zugleich ständiger Vergegenwärtigung des Krieges, der parallel zur Erzählung real stattfindet, den auszuklammern für mich eine ästhetisch und moralisch unerträgliche Erzählhaltung wäre.
Daran knabbre ich jetzt, werde deshalb erst einmal die letzten drei Briefe noch einmal lesen, um sie mir unumgehbar zu vergegenwärtigen. Erst danach werde ich den nächsten Satz schreiben, bzw. mit ihm fortsetzen können. Denn geschrieben wurde er schon gestern nacht:

So bin ich nun zu einem Kirchenräuber geworden.

Einem des, wir hoffen’s, Heil.

*

Abends Arbeitsunterbrechung, um endlich den so von mir erwarteten Film „Tár“ zu sehen, über den ich seit einem Jahr immer wieder hingerissen gelesen habe, und nun hat in der NZZ auch die von mir verehrte Eleonore Büning → eine wunderbare Rezension über ihn geschrieben. Mein Instinkt hat mich mal wieder nicht getäuscht.

 

 

Ihr, Freundin,

ANH

3 thoughts on “Das Arbeitsjournal des Montags, den 27. Februar 2023. Wieder an den Triestbriefen.

  1. Ich fand auch interessant, was ich las – und habe darauf hin angefangen, des Regisseurs älteren Film „Little Children“ zu schauen. Alles in allem fand ich ihn aber, trotz, wie man so sagt, schöner Bilder – dann zu erwartbar und die Hollywoodregeln ersticken doch immer gute Ansätze unter einer Konvention. dasselbe fürchte nach dem Trailer doch auch für diesen Film, insofern würde mich ein Bericht interessieren.
    in diesem Film ist sicherlich das Milieu interessanter. ich nennen seit Jahren schon Filme, die in einem vertrauten Milieu spielen „Milieufilme“ – man ist meist geneigt, da Konventionelles hinzunehmen als „realistisch“, einfach weil mans aus dem Alltag so kennt und es für einen mehr Bedeutung hat. die Frage, ob ein Film dann „gut“ ist einem cineastischen Sinn steht hintan.

    1. Ich teile, nachdem ich den Film jetzt sah, Ihren Vorbehalt. Es hat einen Grund, daß ich bislang nicht über „Tár“ schrieb und auch nicht wirklich weiß, ob ich es noch tun werde. Er hat große Momente, keine Frage, aber auch – vor allem in der Konstruktion und Verarbeitung seiner Themen (Motive) – enorme Schwächen, die leider in der Nachwirkung als schaler Geschmack auf der Zunge bleiben.
      Dies hier bitte nur als meine Meinung verstehen, tatsächlich meinen – nur – Eindruck; alles anderes, etwa ein „Urteil“, setzte eine schlüssige Argumentation voraus, zu der ich im Moment weder Zeit habe, noch bin ich mir sicher, daß es den Aufwand lohnte.
      Sicherlich bleiben wird aber die Schauspielkunst sicher nicht nur Blanchetts; die ist erhaben, wenn auch vielleicht, wegen einer gewissen Flachheit des Drehbuchs, letztlich vertan.

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