Il miracolo delle acque sante ODER Wie’s in Triest sich heidnisch begab. Briefe nach Triest, 66.

[Aus dem Neununddreißigsten Briefs:]

(…)

Schon hinter dem Amphitheater hatte sich ein Hügel erhoben, dieses quasi in ihn gebettet. Der hinter einem trotz des vorne untergebauten, allerdings schmucklosen Arkadengangs höchst sachlich nüchternen, geradezu nach Verwaltung wirkenden Gebäude – seitlich parkten Vespe in senkrechter Reihe und ein paar kleine Autos davor –, … der hinter diesem indessen noch anstieg und schließlich hinab zu mir in eine weite, über zwei Terrassen führende doppelseitige Freitreppe auf die via del Teatro auslief, auf der ich jetzt stand; diese Scalinata delle Medaglie d’Oro erst, wie ich soeben nachgelesen, 1956, aber hochelegant, hinaufgemauert; aus welchem Anlaß, stand nicht dabei. Interessierte mich gerade auch nicht, ich hatte schon begonnen, die ungefähr drei Meter breiten, beidseitig je von einem dünnen Metallgeländer eingefaßten Stufen zur ersten mezzaninoähnlichen Terrasse hinaufzusteigen, von der aus der letzte Teil der Scalinata hinauf auf das Vorplateau der Kirche führte, dann zu dieser selbst noch einmal einige nicht weniger breite Steinstufen; rechts des hohen Sakralgebäudes eine zweite, zwar sehr viel kleinere, deshalb aber nicht minder stolze, zumal romanische, also sehr viel ältere Kirche von beinah spanischer Quaderform, weshalb das rechts in die Wand eingelassene Rundbogenfenster maurisch auf mich wirkte. Der eckige sozusagen Campanario verstärkte diesen Eindruck noch, ebenso das scheckige Mauerwerk der Front. Außerdem vermutete ich, daß das weißmarmorne Eingangsportal erst viel später hinzugesetzt worden sei.
All dies hätte mich viel eher in diese als in die Kirche der Jesuiten gelockt, wäre sie denn erstens offen gewesen und zum zweiten nicht evangelisch und walensisch geführt – ein Weihwasserbecken hätte ich hier nicht vorgefunden; besonders die Waldenser hatten schon im Mittelalter Mariae Verehrung abgelehnt, die aber ja doch eine Fortsetzung jener der matriarchalen Geistwesen ist, zu denen wie die Sídhe zweifellos auch Nimueh gehört. Also denn doch mich zur Jesuitenkirche rückgewendet und das wahrlich mystische Mittelschiff betreten; ungeheuer wurde mein Eindruck aber erst, als ich, den Altar im Nacken, von der Apsis aus zum Hauptportal zurückblickte, das seinerseits zum von hieraus nicht sichtbaren Meer hinüberschaut. Wie da das Licht geradezu schleier- ja auraartig durch das Glas der Haupttür und die beiden hohen, darüber je übereinanderliegenden Fenster in das Gotteshaus strömte, aber wallend, wallend! – das war so sinnbetörend, daß ich erst gar nicht merkte, ganz auf die Becken zu vergessen, die doch links und rechts des Eingangs angebracht sein oder auf Säulchen stehen mußten. Jetzt sah ich sie, schritt zurück – und verstand. Tatsächlich waren auch sie leer. Wahrscheinlich waren es die Weihwasserbecken überall in Italien, wenn nicht sogar der Welt. So daß meine, ich schreibe einmal, Aufgabe plötzlich eine ganz andere als bloß persönlich-phantasmagorische Bedeutung bekam, indem sie, unversehens eine Mission, aus meinem – ja, so würde ich es nennen – poetischen Wahn herausgenommen wurde. Nur änderte das nichts an dem Grundproblem, vor das mich schon die zuvor aufgesuchte Kirche gestellt hatte: – wo geweihtes Wasser herbekommen? Selbst, wäre eine Aufsichtsperson zu sehen gewesen, hätte ich sie wohl schlecht danach fragen, geschweige denn die Becken ungenehmigt wiederauffüllen können.
Nicht nur ratlos, sondern seltsam verärgert über den, spürte ich, patriarchalen Verrat schritt ich langsam das, zum Altar hin, rechte Seitenschiff ab. Um Zeuge einer der, eben weil kaum merklich, infamsten Blasphemien zu werden, derer ich in sakralen Räumen jemals begegnet bin. Auf einem schmale Sideboard, an das ein Tischchen voller Caritaskärtchen geschoben war – Dà vita al futuro – , auch zwei Fünfzigcentstücke lagen mit drauf, stand ein, etwas breiter als einer für Schuhe, offener Karton, auf dessen gesträhnte Vorderpappe ein mit der Aufschrift Acqua benedetta versehener Zettel, nachlässig vermittels eines verkrumpelten weißen Klebebands, auf die gesträhnte Vorderpappe gepappt war, drinnen an die hundert Plastikfläschchen, deren jedes 10 cl fassen mochte. Selbstverständlich ward nichtsgesagt empfohlen, in den Schlitz daneben etwas in das Kollektebehältnis einzuwerfen.
Ich wollte nicht auffallen, dreizehn Fläschchen wären genug, zumindest den Boden des einen Beckens sich füllen zu lassen; es wär doch, dachte ich, ein Zeichen und alles sowieso symbolisch. Bezahlen wollte ich sie aber auch nicht, der Vatikan hat Geld genug. Gut, daß ich in meiner Umhängetasche einen Stoffbeutel mittrug.
Den ich, mich erst zweidreimal umschauend, mit den dreizehn füllte, um mich sofort wieder zum Eingang zu begeben. Wo ich eines nach dem anderen in das schmutzigbeige melierte, ins Mauerwerk eingelassene Marmorbecken ausgoß – aber nicht direkt hintereinander. Denn schon beim dritten Fläschchen war mir, als plätscherte es nicht nur vor mir, dort, wo ich mein Werk tat, sondern hinter mir genauso.
Ich verharrte.
Ja, ein leises, sehr sehr sehr leises Plätschern – in dem zweiten, dem sozusagen parallelen Becken … – das konnte doch nicht sein! Genau in diesem Moment betrat ein älteres Paar die Kirche, der vorgebeugte Mann sich rechts auf einen Stock, links auf den rechten Unterarm seiner Frau stützend, der er, gleich neben mir am Becken angelangt, den Stock tatterig gab, um, dem Automatismus seines Glaubens folgend, die rechten Finger ins Wasser zu tunken und nicht sich selbst, nicht zuerst sich selbst, nein, erst einmal seine Frau mit dem Kreuzeszeichen zu segnen, was ohne, wir müssen es uns wieder und wieder klarmachen, Maria niemals hätte geschehen können.
Oh, c’è di nuovo dell’acqua‟, sagte sie lächelnd und küßte seine Hand. Mir nickten beide höflich zu und zuckelten langsam schreitend zum Altar ab. Ich mochte sie nicht stören, auch nicht durch meine Anwesenheit. Doch war mein Auftrag noch nicht erledigt. Bevor ich weitermachte aber, schaute ich im zweiten Becken nun nach. Gut, ich kann nicht wissen, ob vielleicht doch schon vorher zumindest in diesem Wasser gewesen. Auch wenn es unwahrscheinlich ist. 

(…)

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