Ich war sehr nahe dran, sie anzusprechen, als ich gestern – wie, seit das Wetter „meines“, an jedem späten Nachmittag –auf der Bank am Rand der Wiese saß und las, kurz aufsah, um eine Formulierung zu bedenken, und diese Frau erbickte, s o:
Da fand ich nicht mehr recht in meine Konzentration zurück, war ohnedies vom Roman schon ein bißchen genervt. Dauerndes „wie“-Vergleichen und „bis er sie endlich, in einen Bademantel gewickelt, in ihr Bett geleitete“ — wer ist in den Bademantel gekleidet? und dann auch noch — schon wieder „wie“ — „wie eine sterbenskranke Patientin“. Da hätte ich diese ausgebreitet liegende Frau zu meiner Erlösung gern weiter betrachtet, im Anblick meditiert, der Hoffnung, Schönheit, sinnlich war. Indessen hätte es als ein Bestarren aufgefaßt werden können, stierend Übergriffigkeit — auch wenn ich nur, durch diese Ausgebreitete hindurch, die Sonne angebetet habe, die ihr so zärtlich guttat.
Und welcher Frau würd ich mich denn noch zumuten können? O melancholisches Bewußtsein! Der Krebs, die der Chemo – die mir auch die Fruchtbarkeit zerschossen haben dürfte – gefolgte, nicht heilbare Polyneuropathie, obendrauf das beharrlich von meinem Paß bezeugte Alter, zugleich so ökonomisch prekär, daß dem mein Trotz nicht, nicht meine reale Erscheinung Pari zu bieten vermag — besser, du beläßt es beim Träumen, einem, das sich weiß und aber : — sich g e s t a l t e t :
Indessen den Roman, den werde ich zur Seite legen, nach Seite 102:
Angeödet abgebrochen, 9. Juni 2023
A.
Ich muß nicht immer preußisch sein.
Ihr
ANH, 10. Juni |
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Nein, müssen Sie nicht: In den Staub mit allen Feinden Brandenburgs!
Sabine Scho
„Und welcher Frau würd ich mich denn noch zumuten können?“ harte frage. trotz allem, was einem an deinen ausführungen kapitalistisch logisch erscheint: love is the answer. und love ist eine zumutung, immer, sie ist der unpassende störfaktor in einer welt in der immer alles zu passen hat.
ANH
Wunderbar von Hoffnung gesättigt. Dein Kommentar, hab Dank. Bloß läßt mich, derart s e h e n d zu altern, zunehmend pragmatisch werden – vergleichbar vielleicht einer Mutter Mutterschaft. (Dieses „Sehen“ ist bei mir so ausgeprägt, weil ich auch diesen Prozeß als Material verstehe, poetisches Material.)
Scho
ist es sicherlich auch, poetisches material, aber junge und unversehrte körper haben nicht das exklusivrecht auf nähe und intimität, zudem gibt es auch noch geruch und haptik, gesten, mimik, stimme.
ANH
Selbstverständlich nicht. Aber. Es gibt gar kein Recht auf etwas, weder exklusiv noch sonstwie. Es geschieht oder geschieht nicht (geschieht uns oder geschieht uns nicht). D a ß etwas geschieht, ist nicht einklagbar, so wenig wie das, was wir „Glück“ nennen. – Komplex wird die „Angelegenheit“, wenn unsere Körper nicht mehr „heil“, sondern versehrt sind – wie es seit dem Krebs der meine ist. Es erfordert dies, um damit auf einer erwachsenen Höhe zu sein, einen anderen Blick, auch einen anderen auf den eigenen Körper. Es ist ein deutlicher Unterschied, also bei mir, zwischen vorher und jetzt – was etwa der Grund dafür war, daß ich mit dem Tattoo begonnen habe. Es ist ein künstlerischer Reflex auf die Versehrung und zugleicht Selbsterm
Scho
das verstehe ich sehr gut und ich konnte das auch schon bei anderen beobachten. einklagbar ist gar nichts, manches unvorhergesehene passiert dennoch.
ANH
Eben. Unvorhersehbarkeit – selbst dann, wenn es, sofern wir alle Ursachen kennten, vorhersehen könnten. Aber in beiden Fällen ist Einkalgbarkeit ausgeschlossen. (Ich habe meinen vorigen Kommentar übrigens noch ergänzt, während Deiner hier schon aufschien).
Scho
exklusivrecht meinte ich auch weniger juristisch.
Scho
ich will damit nur sagen, es passieren die unwahrscheinlichsten dinge.
ANH
Völlig einverstanden. Aber zum Ausgangs“punkt“ zurückkehrend: Ich setze es nicht mehr von mir aus in Gang, anders als ich früher was durchweg tat oder zu tun versuchte. Wenn, dann kommt es oder kommt nicht. Wobei ich meine Reaktionen beobachte und zu vearbeiten ständig dabei bin. Für jemanden, der sein Leben lang derart strotzdend vor Gesundheit und Kraft war, ist die neue Situation, wiewohl ich offenbar nach wie vor hochvitalistisch wirke, eine geradezu phylogenetisch andere.
Scho
klar und ich würde auch von niemanden verlangen, das zu ignorieren. in dem zusammenhang fand ich ja auch jan kuhlbrodts text hochspannend, er erwähnte doch auch, dass er sich nicht mehr daran erinnern kann, wie es sei, zu gehen, auch wenn er es vor nicht allzulanger zeit noch konnte.
Scho
was → kuhlbrodts text ausführt hat mich an walter benjamin erinnert, der es umgekehrt ausführt, man könne sich nicht mehr daran erinnern, wie es war, nicht gehen zu können, wenn man einmal gehen gelernt habe. ich meine, es ist in der berliner kindheit.
ANH
Stimmt, bei Jan Kuhlbrodt finden wir davon viel. Ich allerdings erinnere mich sehr wohl, fühle es sogar noch. Indes dürfte dies an der Verschiedenheit unserer Versehrungen liegen; ich habe ja z.B. komplett meine Beweglichkeit behalten, abgesehen von der Neuropathie, die im Vergleich mit Kulbrodts MS aber doch eher lächerlich ist,.
ANH
Na ja, Benjamins Sicht würde ich hier relatvieren: Wir erinnern uns (in aller Regel) an n i c h t s mehr, das war, bevor wir ungefähr vier wurden.
Scho
ich glaube nicht, dass es sozusagen eigene objektive maßstäbe gibt, was den einen schon bis aufs mark verunsichert, steckt ein anderer fast unbemerkt weg. und was einem seber unvorstellbar hart erscheint, muss es für den, den es betrifft nicht unbedingt sein, subjektiv empfunden. – benjamins twist ist dann aber, dass er noch sagt, man könne gehen dann nicht mehr verlernen, wenn man es physisch noch kann, das fand ich interessant, diese beobachtung.
ANH
„was den einen schon bis aufs mark verunsichert, steckt ein anderer fast unbemerkt weg“ – wahrscheinlich ein Ergebnis unserer Prägungen/Erfahrungen. Und, selbstverständlich, unserer H a l t u n g. Aber auch sie ist ein Ergebnis von Prägungen.
„wenn man es physisch noch kann“: Stimmt das denn? Ich glaube, nein. Es ist bei manchen Kranheitsbildern auch denkbar, daß man es nicht mehr kann, wenn man es p s y c h i s c h nicht mehr kann.
Scho
ich denke dann auch, ich muss denen, die kinder haben sehr bemitleidenswert vorkommen, ich kenne aber sozusagen den unterschied nicht zwischen einem leben mit und einem ohne kinder, für mich ist mein zustand der normalzustand, bis auf die tatsache, dass viele kinder haben, die sich aber vermutlich auch nicht mehr in den zustand zurückversetzen können, wie es war, als sie keine hatten.
klar können traumata sicher auch physische möglichkeiten einschränken.
Hel Mi
Ich kann mich beim besten Willen nicht an diese Dame erinnern.
ANH
Dabei lag sie, wie Sie sehen, mit dem Rücken auf sozusagen Ihnen direkt drauf, allerdings die Wiesendecke zwischen ihr und Ihnen.
das preußische leseideal konterkariert, das nehme ich mit als wort zum sonntag
“ die mir auch die Fruchtbarkeit zerschossen haben dürfte“ Oje, im Angesicht des Todes noch immer relevant?
Prostataliteratur ala amerikanischer Universitätsliteraten ist mir seit Jahrzehnten suspekt.
Öffnen und Nähe als letzte Gabe scheinen mir dienlicher.
„Oje, im Angesicht des Todes noch immer relevant?“ – Aber ja, insofern (für mich) eigentlich seine Voraussetzung. Na gut, eine seiner Voraussetzungen. Nur: Wie kommen Sie auf „Prostataliteratur“, zumal „ala“ (??) „amerikanischer“ (nord-, mittel- oder südamerikanischer, oder meinen Sie damit fälschlich nur die USA?) „Universitätsliteraten“ – und was haben die (so’s sie denn gibt) mit einem wir mir zu tun? Fragen über Fragen.