Der Philosoph Walter Benjamin beschrieb 1940 den sogenannten „Schachtürken“, einen Automaten, der angeblich selbständig Schach spielen konnte und mit seinen durchdachten Zügen immer wieder sein Publikum beeindruckte. Unter dem Tisch versteckte sich aber ein Zwerg, der über eine lebensgroße, türkisch gekleidete Puppe [ie Schachfiguren unbemerkt bewegte. In Benjamins meisterhaftem Denken repräsentierte die Puppe das materialistische Denken, der verborgene Zwerg war die Theologie — die Religion mußte sich also im Zeitalter des modernen Rationalismus unsichtbar machen, um weiterhin wirken zu können. (…) Es sieht nur so aus, als spiel[t]e die genetische Puppe Schach. Doch in Wirklichkeit ist es die alte Idee von den Rassen, die sich wegen des Zwangs zur sprachlichen Korrektheit im globalen Diskurs unter dem Tisch verstecken mußte
Shlomo Sand, Die Erfindung des jüdischen Volkes, S. 407/408
und muß. Was Sand für den ethnozentristischen Nationalmythos eines biologisch „reinen“ jüdischen Volkes deutlich macht, findet sich in zahllosen, völlig anders orientierten Haltungen und „Diskussionen“ unserer unmittelbaren europäischen und sonstig „westlichen“ Gesellschaften geradezu identisch wieder. Wobei schon „ethno“, also der Begriff der Ethnie, nichts als ein „sprachcorrecter“ Platzhalter für eben genau den alten Begriff der „Rasse“ ist, und damit seines Gemeinten — was schon deshalb nicht verwundern muß, weil er in seiner negativen (Ver)Wendung als „Rassismus“ und „Antirassismus“ ganz ebenso bewahrt bleibt.
Auch unterm Schachbrett des Genderns, dessen Felder nicht schwarzweiß sind, sondern in verschwimmenden Regenbogenfarben leuchten, sitzt ein solch theologischer Zwerg.