Damit war zu rechnen, von Seiten → Dietrich Maus halt — meine Antwort siehe unter seiner, mal wieder, Invektive —, generell indessen allerdings auch: Ich selber spüre Unbehagen, doch kann ich hier, mit meinen Artikeln für die Junge Welt, auf eine Weise wirken, die alle anderen Zeitungen, unter denen ich einige deutlich vorziehe, mir leider verweigern; sie mobben mich ja weg — wobei das „mich“ eben stimmt; es geht in diesem Betrieb um meine Literatur nicht, sondern um eine persona non grata, die wegzukriegen oder erst gar nicht vorkommen zu lassen, es schon wert ist, eine ganze Ästhetik durch Verschweigen zu killen. Daß ich von meinen politischen Haltungen her am liebsten für die NZZ oder wieder die FAZ schreiben würde, ist doch gar keine Frage. Was ich mit meiner Arbeit für die Junge Welt unternehme, ist, mich nicht zum Schweigen bringen zu lassen.
Viele gerade der politischen Stellungnahmen der Jungen Welt ärgern mich auch, manche sind mir zuwider — weniger wegen der pro-palästinensischen Parteinahmen, die ich theoretisch nachvollziehen kann, weniger wegen der prorussischen, die ich weniger nachvollziehen kann, als wegen der impliziten Rechtfertigung von Terror, Folter und dergleichen Grauen mehr als gewissermaßen „notwendige Übel“. Zivilpersonen abzuschlachten ist ein Verbrechen, Punkt. Das gilt aber auch für die Bombardierung von Krankenhäusern, Kindergärten und anderem, egal, ob sich der Feind ihrer als Schutzschilde bedient. Israelische Aufrufe, solcherart militärische Zielgebiete zu verlassen, helfen da allenfalls bedingt; sie führen anderswo ins Elend.
Und dieses ist ja wahr:
So halte ich es kaum mehr aus, daß selbst das, was ich in den Andersweltromanen über die Schänderpiester schrieb, von der gegenwärtigen Realität geradezu noch überholt wird.
Doch dieses heute nur vorweg; angesichts der derzeitigen Weltkatastrophen ist es marginal, weil von allenfalls persönlicher Bedeutung. So auch, was sonst hier zu erzählen ist. Hat Literatur-selbst denn noch eine Bedeutung, Dichtung? Für sie mein Engagement zerschmilzt mir auf den Tasten?
[Arbeitswohnung, 9.50 Uhr]
Gemessen an all dem sind meine persönlichen Katastrophen ein Pups — und sowieso, „Katastrophen“, na jà. Daß ich n i c h t zur Buchmesse gefahren bin, jedenfalls noch nicht, weil mich ein heftiger grippaler Infekt ins Bett geworfen hat, in dem ich die Nächte hindurch egal wie schmerzhaft dauerhuste, ist ganz sicher keine, sondern einfach nur lästig und blöd. Heut ist’s schon etwas besser, vielleicht, daß ich morgen spontan dann d o c h nach Frankfurt fahren und zumindest für drei Tage auf der Messe sein kann; noch läßt sich’s nicht entscheiden. Leicht anders indes die neue Diagnose, die leider nuklearmedizinisch bestätigt wurde. Ich habe s c h o n geschluckt, als ich bei Sabine Gruber las (ich werde ihr neues Buch rezensieren, für die Junge Welt erneut):
Als habe [hätte, ANH] sich der Tod an der Langsamkeit und Bedächtigkeit ihres krankheitslosen Lebens mit einer beispiellosen Aufholjagd gerächt (…) —
— genauso kommt es mir grad vor. Na gut, es ist behandelbar, allerdings nicht ganz heraus, wie. Der, so meine Ärztin, „Mercedes“ unter den erfolgversprechenden Medikamenten könnte in meinem Fall auf die Autobahn gar nicht erst dürfen, → Liligeias nämlich wegen; auf jeden Fall wird es der Absprache mit meinem Onkologen bedürfen, bei dem ich am 5. Dezember die nächste Kontrolluntersuchung habe.
Am Befund jedenfalls läßt sich’s nicht rütteln:
Ursache ist ganz gewiß, daß ich seit meinem dreizehnten Lebensjahr rauche — und dies machte mich vor dem Erhalt des Befunds besonders nervös, den ich vorgestern mitgeteilt bekam, daß mir meine Ärztin nämlich die Pfeife würde verbieten. Sie hatte indes eine andere Position: „Sie rauchen derart lange, es gehört zu Ihrem, sozusagen, Seinszustand, daß es möglicherweise kontraproduktiv wäre, den Tabak sofort abzusetzen.“ Sie verstand meine Sorgen jedenfalls sehr gut, daß es mir die Kreativität, die Schreibkraft, ja den künstlerischen Elan nehmen würde, ohne den ich schwerlich sein kann. Wozu, hatte ich vorher gedacht, dann noch leben? — und mit dem Gedanken schon herumgespielt, sagen wir, geflirtet mit ihm, leise aus der Welt zu gehen, vor allem so, daß niemand andres beschädigt würde, und vor allem, mit Stolz. So, wie ich es in der neunten Bamberger geschrieben habe:
Das Wakizashi ergreifen, das dir der Tod reicht, bevor man es zuläßt, was ihn und das Leben entwürdigte, das du so liebtest. So, Sohn, vernarrt bin ich ins Leben, ich ginge freiwillig eher, als daß ich’s beklagte.
Doch hat diese Diagnose auch Witz, einen zynischen freilich, egal, sie ist nicht ohne — in Pirandellos Lesart — Komik. Denn als wir, meine Ärztin und ich, die möglichen Medikationen durchgingen, fielen die meisten einfach aus, weil sie nicht für Männer zugelassen sind. „Wieso denn das?“ „Weil Osteoropose eigentlich eine Frauenkrankheit ist, von den Erkrankten sind allenfalls fünf Prozent Männer.“ — Verstehn Sie, Freundin, den Humor? Ich, der angebliche Vorzeige-Macho, zumindest doch ein „cis-Mann“, bekomme nun das! Dies wäre n i c h t literarisch, ja poetisch?
Ich kann mich nur wiederholen: Das Leben als einen Roman betrachten, ich selbst der, wenn Sie so wollen, Antiheld & Held in einem — und ich halt zugleich ein andrer. Dieser Perspektivenwechsel gab mir sofort wieder Kraft, auch wenn seine Herleitung nicht ganz so fein ist: An einer Osteoropose wirkt entscheidend der Testosteronspiegel mit; ist er hoch, ist an ihr die Erkrankung beinah ausgeschlossen. Und daß er bei mir niedrig ist, seit dem Krebs, war mir schon länger klar, ja ich hatte (habe) mich längst damit abgefunden, sexuell nie mehr aktiv zu sein oder nur noch nebenbei im Selbstspiel. Denn welcher Frau wäre ich als Mann noch zuzumuten? Und da ich kein Bordellgänger bin, Eros von Liebe kaum je trennen konnte und schon gar nicht wollte und überdies mein, ich schreibe einmal, „Frauengeschmack“ ausgesprochen exklusiv ist (ich kann mit Menschen, vor allem Frauen nichts anfangen, die ein „ruhiges Leben“ wollen, ja mit „sicherem“/“gesichertem“ Leben nichts, absolut nichts, ich bin noch jetzt kein Ruheständler) … — Nur senkt erotische Abstinenz, auch wenn sie selbstgewählt ist, und sei es aus männlichem Stolz, den Testosteronspiegel automatisch ab. Das ist mir passiert, und also „passiert“ mir Osteoropose.
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Das Leben als Roman betrachten 19
Leben als Roman 18 ←
Ich hatte bizarrerweise schon mit dem ersten Indiz aufs heftigste zu kämpfen, viel mehr als „damals“ mit der Krebsdiagnose, die klar war und mir eine Gegnerin, ja, s c h e n k t e, meine Tumorin, mit der ich sofort → in Korrespondenz trat, vor der ich mich nicht einmal fürchtete, nicht ein einziges Mal, sondern die mir den Fehdehandschuh zugeworfen hatte, den ich ohne zu zögern aufnahm. Wie herrlich war sie arrogant! Wie himmlisch ihre Aggressivität! Welch eine Frau! Aber nun d a s ?
„Sagen Sie, sind Sie kleiner geworden?“
Sie hatte, meine Ärztin, → einen verdächtigen Faltenwurf an meinem unteren Rücken entdeckt. „Lassen Sie es uns messen.“
1 Meter 77 statt 1,80 wie bislang.
Tagelang ging das als schwere narzisstische Kränkung in mir um, erklärte aber auch, weshalb ich die Körpergröße meines Sohnes immer auf 1,86 schätzte, indessen er auf 1,83 beharrte. Auch interessant, diese Genauigkeit. Sogar poetisch interessant. Aber eben kränkend. Seelisch setzte es mir mehr zu, als meine Krebsin jemals konnte. Ich fand es selbst zum Ulken.
Und jetzt setzen wir das mal zu der „woken“ LGBT-Bewegung in Beziehung und zu ihren Forderungen und dem Umstand, daß man sich als Mann, der es gerne ist, beinahe schon schämen muß. Männliche Heterosexualität als „toxischer“ Makel. Was bedeutet das alleine bevölkerungs-, nämlich nachwuchspolitisch? Sophia Thomalla hat ja ganz recht. Wollen wir wirklich gentechnisch werden? Und gleichzeitig blüht die heldische Sprache neu auf? Auch der Westen ist propagandistisch, Kriege erlauben keine Differenzierung, sie sammeln geballt, hie wie dort, ihre Schlagkraft. Auch jetzt, nach den Massakern der Hamas, ist es zu sehen, fast deutlicher noch als bei den Ukraine-„Falken“. Und die, deren Atemluft Differenzierung ist, Intellektuelle, baden in Ideologien: „Bei denen tanzen die Forellen im hausgemachten Apfelmus“, Stephan Sulke.
Osteoropose als Zeit- und Kulturdiagnose.
So gesehen, bin ich absolut auf der Höhe unsrer Gegenwart, tiefst in ihren Niederungen. Cis-Mann goes Molluske. (Verzeihung, das „goes“ habe ich → dort schon verwendet. Wobei, → bei Cato ergab sowas Sinn.)
Und dann, vorgestern abend ganz unversehens, bäumte mein Testosteron sich schon auf.
Seit Monaten, ja dreieinhalb Jahren drängen Freunde in mich, doch wirklich den Friedrich-Roman zu beginnen, und immer, nach dem Krebs, wiegelte ich ab. Ein nächster Tausendseiter, wenn auch mein letzter gewiß? Welch ungedecker Scheck auf die Zukunft! Ich weiß doch, es würden abermals zehn Jahre, mindestens, werden … — hab ich denn noch diese Zeit? Der Krebs könne jederzeit wiederkommen, ich bin nicht naiv. Etwas anfangen also, bei dem es unwahrscheinlich ist, daß ich es auch zuende bringe? Ganz abgesehen davon, daß diese Arbeitszeit finanziert werden müßte – wie soll ich das denn hinbekommen? Dann noch die beiden nötigen Reisen, einmal querbergein und -aus durch die Alpen, nämlich zu Fuß, und das mit meiner Polyneuropathie in den Füßen? sowie der Segel“törn“ die Levante hinauf, immer in Küstennähe, wie man halt damals reiste zur See? Alles, alles Kriegsgebiet. Ich habe es, für das Krebstagebuch, doch nicht einmal nach Akaba geschafft? Völlig, völlig illusorisch!
Und aber was t u t mein Testosteron? Es läßt mich unversehens in meine Federicosecondo-Buchsammlung greifen, weil ich den Namen eines Ortes finden will, an dem der horror et stupor mundi sämtliche Knaben kastrieren ließ, um einen von ihm niedergeschlagenen Widerstand zu ahnden. Indes ward mir genau dabei klar, umdenken zu müssen — um diesen neuen Kampf auch aufnehmen zu können, ihn seelisch aufzunehmen. Es geht auch hier um Stolz. Ich werd nicht Opfer werden: Wenn, dann „fall“ ich, aber sieche nicht dahin. Wir haben kriegerische Zeiten.
Also. Ich kalkuliere die folgenden zehn Jahre in meine Lebensplanung nunmehr unumstößlich ein — um es so zu sagen, werde mir einfach nicht erlauben, in dieser Zeit zu sterben, egal, was passiert, jedenfalls nicht aus eignem Entschluß oder weil ich müde werde. Ich habe mein Leben lang gekämpft — mein Ich und Ander-Ich haben es getan — daran soll auch meine aus der Krebserfahrung gewonnene Alters-, nun jà, -„weisheit“ nichts ändern. Und auch der Unheil, die sich grad über uns stürzt, hat diese Macht nicht zugestanden zu werden. Wir stemmen die Realitätskraft der Fiktionen dagegen.
So lautet nun der Entscheid.
Ach, Freundin, eigentlich hatte ich Ihnen von dem → Liederabend erzählen wollen und von danach → dem Workshop der TU; es waren gute Erleben. Doch schon ist die Zeit über sie gegangen und hat sie beinah ausgelöscht. Ich komme ihr einfach nicht hinterher, muß den Blick nach vorne richten. Und will es und werde es weiterhin tun.
Ihr
ANH
P.S:
Weshalb ich oben die „Wi(e)derkehr der Tragik“ getitelt habe? Sorry, aber denken Sie etwas nach.
P.P.S.:
Den lustigsten Blick hatte auf meine neue Krankheit Benjamin Stein. Den, also jenen, möchte ich Ihnen nicht vorenthalten:
[19.18 Uhr]
Schon gleich, nachdem ich mein Annoncement dieses Journales in Facebook eingestellt hatte, wurde es aus mir unerfindlichen Gründen gelöscht — sie werden ja nicht oder nur kryptisch benannt — sowie jede Verlinkung Der Dschungel gesperrt, übrigens auch im Messenger; ob ebenso bei Whatsapp, weiß ich nicht; bei Instagram hingegen ist er stehen geblieben.
Wie auch immer, ich protestierte öffentlich. Eine knappe Stunde später war auch dieser Beitrag gelöscht. Abermals protestierte ich, nun ohne Link, und vielleicht deshalb oder weil sich sehr schnell Kommentatorinnen und Kommentaroren einfanden, die nicht vor den Kopf gestoßen werden sollten, blieb d a s nun stehen. So daß wir da und → anderswo feine → Kommentarbäume lesen können. Ich stell das gleich als Dschungel-Kommentar ein, mach mir mal die Mühe. Einiges aber wurde dann persönlich im Messenger diskutiert, zum Beispiel so:
Also „Menschenschlächterei“ — ein Wort, das unter Bezug auf Grimmelshausen, der → seinen Roman sehr bewußt euhemistisch als „Schelmenroman“ benamste, den den Opfern zugefügten Schmerz eben n i c h t abstrahiert, sondern die Leserinnen und Leser wenigstens e t w a s mitspüren läßt. Es geht in der Literatur nicht (nur) um Abstrahierereien; die machen es uns einfach, ja geradezu beliebig. Doch genau das, daß wir mitspüren, mitempfinden, soll verhindert werden. In einer anderen Diskussion zum selben Thema kommentierte ich dies so:
Die Algorithmen aber zwingen uns, die Höfe der Wörter zu vergessen; der Reichtum der Sprachen wird auf Eineindeutigkeit gepreßt – als wären es Programmbefehle. Genau das zerstört uns aber die Sprache, zerstört uns alle Sprachen. Deshalb mein so viele Leute, auch Freundinnen und Freunde, arg nervendes Beharren darauf, daß Diskussionen bei Facebook vertan sind, dort nicht geführt werden sollten, sondern da, wo wir noch Freiheit haben. Als freie Menschen, die wir sind. Daß wir es noch sind, ist zur Zeit extrem gefährdet — hier bei uns selbst, nicht nur in Diktaturen und Autokratien. Allerdings verschlimmern es die zur Zeit geführten Kriege noch. Wir selbst verbieten den Nachbarn das Wort, wenn es nicht unserm eignen entspricht. Konsensgesellschaften sind prinzipiell nicht demokratisch, sie fördern bloß den Umsatz. Und also jubelt Facebook.
ANH, 20.02 Uhr
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Was um Gottes Willen ist Facebook gegen Ihr oder Ihren Blog? So lange Sie leben, werden Sie eh schreiben und wir lesen das 🙂 Ein fertiger Text ist das Glück überhaupt für einen wie Sie. Möglichst lange.
Das stimmt schon, ja. Doch ich habe den Blick auf die gesellschaftlichen und in denen besonders die intellektuellen Bewegungen, die nun teils Regressionen sind; da spielt Facebook leider eine entscheidende Rolle. Sie läßt sich am extremen Rückgang der unter Blogbeiträgen geschriebenen und weiterdiskutierten Kommentare signifikant erkennen. Zu Dikussionen kommt es quasi n u r noch unter Facebook-Beiträgen; selbst meine Blog-Artikel werden, wenn, dann bei Facebook diskutiert; kein Hinweis darauf vermag dies zu stoppen, daß FB ein privatwirtschaftliches Multi-Unternehmen mit extremer Macht ist, das sich sogar die Eigentumsrechte am dort Geschriebenen sichert – abgesehen davon, daß die dortigen Diskussionen bereits nach kürzester Zeit nicht mehr auffindbar sind, jedenfalls nicht über Suchfunktionen, und also verloren gehen. In Der Dschungel oder etwa Bersarins enorm wichtigem → Aisthesis (man muß die dortigen Positionen überhaupt nicht teilen, um das zu erkennen) hat die Rückläufigkeit netzlogischerweise auch zu einem eklatanten Rückgang der Zugriffe geführt, die jede und jeder von uns selbstverständlich im Auge hat. Werden dann noch Beiträge von FB „gesperrt“, dann wird Meinungsvielfalt höchst gefährlich auf, polemisch geschrieben, „woke“ Moralquoten verschmalt – abgesehen von den von mir in meinem Nachtag benannten Folgen für den Reichtum jeder Sprache-selbst.
Tja, abseits stehen oder dazu gehören, jede/r suche suche sich den Platz, wo man sich wohl fühlt. Mir hat schon in der DDR Kästners Spruch so gefallen: „Was auch geschieht, nie sollt ihr so tief sinken, von dem Kakao, durch den man euch zieht, auch noch zu trinken“.
Bei FB stehen die Kakaokannen zahlreich auf dem Tisch, als ein Angebot zuzugreifen Und dann ist alles vergessen, wie es den Betreibern gefällt.