Das lese ich
[Sana Klinikum Lichtenberg
Isolation Zimmer 157
16.50 Uhr]
ausgerechnet hier und jetzt:
Wie Ciccina Circé, doch schlimmer, wesentlich schlimmer, doch nicht nur schlimmer als Ciccina Circé, sondern schlimmer sogar als er, Don Luigi, und nicht als er an Jahren, Jahrhunderte früher, sondern als er Augenblicke zuvor, als der, der wegen des riesenhaften Orcadavers sein Wirrspiel veranstaltete. Denn den, den Wirrspieler, konnte man letzten Endes mit einem vergleichen, der bis zu diesem Augenblick der Inbegriff von Gesundheit war und dessen Lungen von einem Augenblick auf den anderen urplötzlich von einer galoppierenden, ja tödlichen Form der Messinesella angegriffen und befallen werden, weil es sich bei dieser besonderen Spezies, dieser speziellen, überaus speziellen Spezies um Lungenschwindsucht handelt, die ihr zerstörerisches Blutwerk nur dort ausübt, an den Meeren zwischen Skylla und Charybdis, das zerstörerische Blutwerk, das insgesamt die Winde in ihrem Reich und ihrem Unreich ausüben, wenn sie sich mit schrecklicher Gewalt in die Lungen desjenigen einhöhlen, der sie einatmet. Und es war, wie wenn die Messinesella, nachdem der Betroffene sich als ebenso zart erweist, wie er immer auch als unverwundbar und körperlich von einer Zauberkraft beschützt galt, sich auf ihn stürzte und ihn auf der Stelle gewissermaßen vor die Schwelle des Todes trug, und er mehr dort als hier war [Hervorhebung von mir, ANH].
Es kam also vor, dass einer wie er, ein Luigi Orioles, der nicht nur der Inbegriff von Gesundheit zu sein schien, sondern es wirklich war, und nicht der körperlichen Gesundheit, sondern der des Verstands, von einer Minute zur anderen katastrophenträchtig und völlig unvorbereitet befallen wurde, und zwar genau dort, im Verstand, und sich vor dieser Krankheit, die ihn angriff, die keine Krankheit war und auch nicht tödlich, sondern schlimmer, schlimmer als eine sterbliche Krankheit, nämlich Veränderung, vor dieser, vor jener, so sehr sie auch Verstand war und Bestand, in keiner Weise schützen konnte. Denn wie sollte er sich auch schützen können, wenn er sich, als er das Wirrspiel um den Orcadaver spielte und dieser ihm, weil alles andere unmöglich war, bereits im Kopf explodiert sein musste, notwendigerweise bereits verändert hatte, er bereits ein anderer Mensch war, ein Mensch, der in allem das Gegenteil des Menschen war, der er einmal gewesen war, und er, der schon nicht mehr er war, folglich auf keine Weise darauf hatte aufmerksam werden können.
Er war immer noch ein machtvoller Kopf, doch ein veränderter, angegriffen inzwischen, der an dem Punkt, an welchem er sich befand, genau diesen Vergleich darstellte, den Vergleich mit der Messinesella, denn auch er konnte, ja, er musste unterdessen seine Lungen ausspucken, die, welche einmal die Lungen, und was für Lungen, seines Verstandes waren, sein statuarisches Wesen aus Marmor und seine entschiedene, offene, loyale, spartanische Art, sein Wesen als der Mann, der er war, das nach und nach, auf galoppierende, tödliche Weise bereits nicht mehr vorhanden war. Und je mehr er aushustete, je mehr er sich aushustete, umso mehr warf er sich blindlings in diese Niedertracht des Wirrspiels, mit dem Burschen als Mittelsmann, in dieses Arkelamekk der Pantomime, einer Pantomime nicht nur des Verstands, des Verstands im strengen Sinn, sondern auch der Stimme und der Augen, der Hände und der Füße, Stimme, Augen, Hände und Füße des Verstands, des ganz von diesem Ziel angezogenen Verstands, dem Ziel der unendlichen Größe dieses dort vorne auf der Marina angelandeten Kadavers. Einfach gesagt, er verkindischte außerhalb seines standbildhaften Marmors, er vertrottelte zum Absonderlichen, zur Fischbestie, einer wie er, der in guten wie in schlechten Zeiten, ob Volksschmaus oder Hungersnot, sich nicht mit Blauhai, Heringshai, Feren und ähnlichen Genossen zufriedengab, einer, für den dieser Umstand, sich nicht zufriedenzugeben, ein Lebensgrundsatz war, einer von diesem Schlag, einer, der sich mit unechtem Bonito nie schmutzig gemacht hatte, setzt aus heiterem Himmel seinen Ruf aufs Spiel, tummelt sich im Blutvollen und wird, mit Händen und Füßen an Gelübde gebunden, zum Bekenner der Fischbestie, und um sich schadlos zu halten, kümmert er sich nicht um Blauhai, Heringshai oder Fere, um nur einige zu nennen, auch nicht um Dornhai oder Pottwal, er kümmert sich um einen, verglichen mit dem nicht nur Blauhai, Heringshai und Fere, sondern auch Dornhai und Pottwal wie Kleinkram aussehen, wie gewöhnliches, alltägliches Kleingetier, denn er kümmert sich um den großen Fisch, um den, der im Meer, im Ozean und Meer als Prunkstück gilt, als Feron oder Orca, kurzum als der Große Tod, als die Tödin der Meere in leibhaftiger Gestalt, als der und die Gottbewahre.
Stefano D’Arrigo. Horcynus Orca, Roman (Seite 1257-1259: S. Fischer Verlag Frankfurt am Main, dtsch. von Moshe Kahn | Kindle-Positionen 23178-23223)
***
______________
→ Horcynus Orca 12
Horcynus Orca 10 ←
∞
Sie sind immer noch der Mann, der Sie waren, mit einer Kämpfernatur zum Überleben ausgestattet, die besten Wünsche und einen Weg zur Genesung mit einem beruhigenderen Schlaf
sendet Ihnen
franzsummer
Lieber Alban,
ein leeres Bett mit abgelegter Kleidung bzw. einem gerade gelesenen Text, dazu die Information eines Isolationszimmers einer Berliner Klinik, das verheißt nichts Gutes. Zu alldem, was ungut ist in der Welt. Überdies ein scheinbar wissender Kommentar vom 5.November, der Dir eine gute Nacht und baldige Genesung wünscht.
Heute am 17. November (kein Kommentar in der Zwischenzeit?) sende ich Dir – ja, wohin? – meine herzlichen Grüße, komm´ wieder gut auf die Beine und zu Wort.
Wolf (aus Potsdam)
Hab großen Dank. Ich habe heute zur Lage >>>> geschrieben; bei Facebok wurde mein Hinweis auf den Text – wie mit anderen Texten nun schon einige Male in Folge geschehen – mal wieder entfernt, etwas, das ich mir unterdessen nur noc damit erklären kann, daß irgend jemand meine Meinungsäußerungen nicht will und mich deshalb unter Angabe falscher Gründe permanent denunziert. Es paßt dies erschreckend „gut“ in die neue Stimmung der Zeit.
Die Passage aus „Das Literarische Weblog“ ist faszinierend und verdeutlicht eindrucksvoll die Verbindung zwischen Literatur und Emotionen, besonders in einem unverhofften Moment des Lesens. Die bildhafte Sprache und die tiefgründige Metapher des „Wirrspiels“ ziehen den Leser sofort in ihren Bann. Es ist eine beeindruckende Darbietung der Schreibkunst, die die Komplexität menschlicher Erfahrungen auf eindrucksvolle Weise einfängt.
Das Literarische Weblog ist ein beeindruckendes Werk, das die Komplexität menschlicher Emotionen und das Spiel mit der Sprache wunderbar einfängt. Es wäre jedoch hilfreich, wenn die Struktur etwas klarer gestaltet werden könnte. Schaut euch auch http://www.deutsche-firmensuche.com an, um mehr über bedeutende deutsche Unternehmen zu erfahren.