[Geschrieben für die Junge Welt. Mit leichten Änderungen → dort am 18. Oktober 2023 in der Literaturbeilage zur Frankfurter Buchmesse erschienen. Hier in der originalen Typoskriptfassung.] |
Ein gutes Gedicht ist unbestechlich
und ein Püfstein meiner Lauterkeit.
Daniela Danz
Allein schon das Wort „Lauterkeit“! Wer von uns denn nutzte es noch, anstelle es allenfalls zu benutzen? Und doch steht es im letzten Prosatext dieses neuen Buches von Daniela Danz auf innigste Weise da und pocht auf sein Recht, aber stille: pocht, wie ein Herz schlägt – während es Andreas Altmanns Gedicht „fabik gelände“ betrachtet, das sich beider gemeinsamen Geschichte angenommen hat, der Dichterin und des Dichters, nämlich ihrer Herkunft, die vergangene, nunmehr poetisierte DDR. – Wie bitte? „Ostalgie“? I wo, das Gegenteil davon! Erinn’rung gewordene Heimat, indessen als Konkretum: was ehemals Fabrik (der zusammengesackte Zaun, ein abmontiertes Schild, doch stecken noch verbogene Schrauben in den Löchern), die Gärten, der Dorfweg, der Wald. „Ein gutes Gedicht kommt zu mir, wenn ich seiner bedarf. Ein gutes Gedicht überlebt mich.“ Was es auch tun muß, wenn seine Gegenstände, seine Landschaften, ja seine Menschen von den sich Erinnernden fast schon überlebt sind. Es geht „um die Verinnerlichung der Gestalt eines Gedichtes (…) wie das Abbild eines Menschen oder einer Landschaft oder eines besonderen Geschehens, das in mir entstanden ist und dort bleibt und wiederum meine innere Gestalt formt.“
Seit sie zu schreiben begann, kreist Daniela Danz im Orbit einer Heimat, die nicht mehr ist und weniger aus ihrer staatsprägenden Doktrin bestand als aus einem „alten Deutschland“, das es im Westteil und seinem schuldverdrängenden sogenannten Wirtschaftswunder sehr schnell nicht mehr gab, im Ostteil aber erhalten blieb, egal ob aus Gründen des Mangels. Hier wurde nicht „entsorgt“, sondern, notgedrungen, improvisierend erhalten; wo kein Geld, konnte nicht Jegliches Ware werden, blieb vieles unverfügbar stehen als immer auch Geheimnis. Jetzt, da die Verfügbarkeit aber da ist, wenn auch kaum durch die, die dort leben (nach wie vor ein Skandal), ist das Geheimnis selbst Erinnerung geworden, zumal eines Kindes, weil’s die nun Erwachsene doch zu spüren bekam, als sie Kind war, zu riechen, zu hören, ja, auch zu schmecken. „Die Grenze ist über mich drübergegangen,“ sagt Danz in meinem ihren Gedichten gewidmeten poetischen Hörstück „im land da wo wir blutot sind“ (WDR 2009); im Westen habe sie begreifen müssen, „daß es mein Land nicht mehr gibt, also das Land, in dem ich aufgewachsen bin. Wo ist jetzt diese Grenze, von der ich mich immer östlich befunden hatte? … da war unser Haus, da war der Wald, und hinter dem Wald war Westen. Wo hört das jetzt auf, wo ist diese Grenze hingegangen nach Osten?“ Und reist ihr bis ans Schwarze Meer nach, als hätt’ es sie nach da hin verschoben – Leukes, Helles, Medeas mythischer Raum schlechthin („Pontus“, Göttingen 2009). Hier fand die Heimat ihren Platz für Danzens Renaissance, eine bleibende Wiedergeburt all dessen, was allein so bleiben auch kann. Und aufs neue wirken, neu: Seele des seelisch Verlorenen.
Es ist sie, von der in dem schmalen, erneut bei Wallstein erschienenen Buch die kleinen Prosa-Essays erzählen, die zugleich selbst poetisch sind, allesamt teils hier, teils dort schon mal erschienen oder als Reden gehalten. Zusammen ergeben sie eine Poetik-selbst, eine, die sich nicht scheut, neben der „Heimat“ auch dem „Vaterland“ das Wort zu reden, indes im Sinne Hölderlins und stets auf ihn bezogen, und auf Kleist. Hier wird eine Liebe zum Deutschen zum Ausdruck gebracht, die dennoch kritisch-politisch ist, bei aller Sanftmut des Sprechens, zugleich voll Dankbarkeit für unsere Sprache und aber auch die Verpflichtung ihr gegenüber, „daß ich streng und großherzig bin. Streng darin, sie zu bewahren, und großherzig, sie sich verändern zu lassen, damit sie geräumig bleibt für alle, die sie sprechen wollen.“
Wann vernahmen wir solche Worte zuletzt?
Um gleich dem Mißverständnis zu begegnen: Daniela Danz träumt keinen Eskapismus, sie steht mit dem „Unvermessenen“, nichtVermeßbaren Schulter an Schulter. „Nämlich, wenn ich eine dieser zahlreichen Fabrikruinen, vor allem im Osten Deutschlands sehe, dann ersteht in meinem Inneren seine (…) sehr genaue Gestalt. Sie hat ihre Genauigkeit dadurch erhalten, daß sie aus einer genauen Erfahrung (…) kommt, aus dem Innewerden von etwas Nichtsagbarem, dessen Grenzen aber abgeschnitten wurden.“ Deshalb spricht sie im ersten Aufsatz des Büchleins von einer „Dekartographierung“, die sie zwinge, „die gangbaren und gängigen Wege zu verlassen (…) und meinem Mythos, also der Erzählung meines Lebens aus der Vergangenheit in die Zukunft, zu vertrauen“. Dieses aber eben auf Grundlage des objektiv Gesehenen; Danz ist der „wirklich gewesenen Welt“ ebenso materialistisch verpflichtet wie sie sie ins poetische Weiterleben hebt und ihr damit Hoffnung gibt: „Daß es einem Menschen einleuchtet, daß Veränderungen Chancen sind, ist ein Geschenk, das verpflichtet gegenüber denen, die die Erfahrung gelehrt hat, daß Veränderung Verlust bedeutet (…). Denn die Spannung, die (…) durch die Pandemie entstanden ist (…), zwischen denen, die Chancen gewonnen haben, und denen, die Zeit verloren haben, hat sich vergrößert, und auch diese Spannung muß eine Gesellschaft mittragen, ohne auseinanderzubrechen. (…) Es ist eine spannende Zeit, in der wir leben.“ Sofern wir ins Gelände denn blicken, anstelle dauernd wegzusehn.
Wie diese Dichterin schaut, macht mich süchtig und beglückt. Selbst wenn ich mal anderer Meinung bin.
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ANH, Berlin
22. September 2023
Daniela Danz
Nichts ersetzt den Blick ins Gelände
Essays
Wallstein, Göttingen 2023
Geb., 117 Seiten, 20 €
ISBN-10 : 3835354124
ISBN-13 : 978-3835354128
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