Der Himmel über Aida, Berlin. Der Staatsoper Unter den Linden Premiere zum Tag der Deutschen Einheit. Inszeniert von Calixto Beito zu Nicola Luisottis Dirigat.

[Szenenfotos ©: Staatsoper Berlin/Herwig Prammer]


[Geschrieben für die Junge Welt
und → dort am 5. 10. 2023 erschienen.[1]Leider hat die Redaktion meinen Titel um Berlin gekürzt und auch das hier als Beitragsbild wiedergegebene Foto nicht genommen, das die auch poetische Bewegung meiner Kritik spürbar werden lassen … Continue reading
Hier in der originalen Typoskriptversion.
NACHTRAG, 3. Januar 2024
Siehe aber auch meine der Jungen Welt mitgeteilte
Aufkündigung der Zusammenarbeit
]

           Vorweg:
           Der Calixto Bieito szenisch einzig gelungene Akt, nämlich der letzte, der dennoch musikalisch wie vor allem poetisch peinlich ist – vergleichen Sie ihn einfach mal mit dem personal ähnlichen vierten der Manon Lescaut Puccinis– , stellt klar, weshalb Verdis Aida nach wie vor Herausforderung ist und sinnvoll, sie auch anzunehmen. Doch an einem 3. Oktober? In Deutschland, zumal in Berlin?

          Ob Verdi es wollte oder nicht – und er wollte es nicht –, „Aida“ ist und bleibt ein geradezu phallischer Opernmonolith des Kolonialismus, der in der „Ägyptomanie“ des 19. Jahrhunderts und dem mit ihr verklebten Symbolismus seine künstlerischen Metaphern erfand. Es ist dieser mit Schnulzenmelodien amalgamierte Gigantismus, was jegliche kritische Faktur zunichte werden läßt, die Verdi in sie einwob. Vor allem der Triumphmarsch wurde immer wieder politisch mißbraucht, selbst bei Hitlers Neapelbesuch im Mai 1938, spielt geradezu die Rolle des furchtbaren wagnerschen Walkürenritts mit, egal, ob er alles andere als affirmativ komponiert worden ist, egal auch, ob Verdi dem grauslichen ägyptischen Priester die Worte Wilhelms I. in Mund und Arie legt, der deutschnationale Sieg von Sedan (1870) sei der Vorsehung Gottes zu danken. Was mit Aida geschah, ist für Verdi selbst Katastrophe – und für uns Deutsche, sie für einen 3. Oktober neu inszenieren zu lassen.
Natürlich wußten Bieito und sein Team darum. Wie also dem Mißbrauch entgegenwirken, der doch auch einer des repräsentierenden Konsumenten ist, der Operngänger also? Bieitos tat’s mit aller Kraft und sah offenbar n u r noch das. So dass quasi jeder Einfall dieses eigentlich Meisters unter die Haut gehender Provokationen zu einer geradezu hilflosen Karikatur geriet und, was ihm früher zu Unrecht vorgeworfen, Zirkusnummer wurde: ein schnell nur noch langweilender Reigen von Regietheatermätzchen. Es genügt eben nicht, historische Kampffliegerfilme auf die Bühne rückzuprojezieren oder den Imperialismus als Clown darzustellen (später werden auch die Priester zu Clowns). Sowas ist vielmehr Verharmlosung auch dann, wenn deren Gesichter des Batman-Jokers hämisches Dauergrinsen tragen. Meines Wissens hat nur Guillemo del Toro es in faschistische Bezüge über eine Geschichte erschreckend einzupflanzen verstanden (in → El labirinto del fauno, 2006). Bei Bieito hingegen werden sogar von Kriegsverbrechern hochgehaltene Kalaschnikows plötzlich Emblem von Guerilleros:

Bewußt geschehen, wär es infam. Es passierte aber aus Not, so mein Eindruck. Denn der Tag der Deutschen Einheit ist Symbol und Metapher zugleich, doch die „Aida“ aus dem Kolonialismus nicht zu lösen, irgendwann vielleicht einmal, indes auf keine Weise so.
Außerdem führt Bieitos plakativer Widerstandsgestus dazu, dassßie unter den historischen Tableaux eingewirkten persönlichen Geworfenheiten, gleichsam Kammerspiele der Gefühle, fast restlos untergehen – sehr zu Lasten der Sängerinnen und Sänger. Deutlich wird dies aber erst, wo die politische Erzählung hinter die persönlichen Dramen zurücktritt, vorsichtig im dritten, prägnant im letzten Akt. Da gewinnt die Bühne an Kraft, und die Musik kann sich sogar gegen erzähllogische Regiefehler und den Banalkitsch des Librettos behaupten; plötzlich springt Berührheit über. Wäre diese Oper nicht vielleicht am besten von ihrem Schluß her zu erzählen, fragte ich mich da – den Blick auf die Personen, nicht auf das imperialistische Machtfeld gerichtet, wie immer sie auch alle, alle drin verstrickt sind? Bezeichnend nämlich, dass gegen Ende unversehens Amneris zur eigentlichen Hauptperson wurde und Elina Garanča, ihre Darstellerin, zu so großer Form auflief, daß ich für Marina Rebekas Aida, die in Amneris Klangschatten im Wortsinn lag, Mitleid bekam; ihres Schicksals wegen aber immer noch nicht. Die Figur selbst blieb behauptet, ward nie Person.
Sehr ausgewogen allerdings (soweit diess bei Aida geht), vor allem ausgesprochen durchsichtig musizierte unter Nicola Luisotti die Staatskapelle, und René Pape sang Weltniveau mit solcher Selbstverständlichkeit, dass man es kaum mehr merkte; er winkte beim Applaus denn lässig fast auch ab. Yusif Eybazovs Radamès hielt sich wacker; die massiven Buhs, die er einstreichen mußte, waren unangebracht. Er selbst kasperte sie mit forcierten Kußhänden weg; was sollt’ er denn auch tun? – nun tat auch er mir leid. Die massive Buhfront gegen Bieito wiederum grölte genau aus falschen Gründen; eine sofort konternde Bravoflanke indes, aus falschen Gründen auch sie, ließ sich kaum ein Vorstoß nennen.
Unterm Strich blieb ein VERTAN. Es hatte denn auch draußen ordentlich geregnet.

References

References
1 Leider hat die Redaktion meinen Titel um Berlin gekürzt und auch das hier als Beitragsbild wiedergegebene Foto nicht genommen, das die auch poetische Bewegung meiner Kritik spürbar werden lassen sollte und soll. Denn das meinen Text abschließende Regnen (zumal der 3. Oktober, a u c h anders als die redaktionelle Subline wollte, n i c h t ein „verregneter Tag“ war) ist von mehr als bloß konkreter Bedeutung: Schauen Sie sich nur diese Wolken an. Und spüren Sie sie politisch!

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