„Erwartungsgemäß“. In Orcas — als Horcynus Orca 15 — Essayjournal des Sonntags, den 10. Dezember 2023. Diesmal mit Beat Matzenauer, der zur Orca schrieb.

 

[Arbeitswohnung, 7.08 Uhr]

           „Es bestätigt uns doch nur“, sprach ins Whatsapp mein Freund und Verleger, als ich ihn für die Mitteilung angerufen hatte, nun sei auch die Ablehnung des Deutschen Literaturfonds gekommen. „Wir haben es gewußt, du selbst hast es vorhergewußt, und es wird uns nicht scheren. Es geht da nicht um Literatur. Umso stolzer sind wir auf das, was wir tun, und bringen unsere Bücher h e r a u s .“ Er meinte „Literatur“ (ohne sie im Satzklang zu betonen) emphatisch — Roman-, also, -dichtung. Den Orca-Essay hab ich gestern im Entwurf folgendermaßen begonnen:

Die Grundfabel (was man heute den „Plot“ nennt) dieses 1453 engstbedruckte Seiten zählenden Buches ist schnell erzählt, und es ist kein „Spoilern“, wenn ich es tue. Denn es kommt nur insofern auf sie an, als sie die Anlässe für eine Menschenprosa bereitstellt, deren Grundzüge in allen Zeiten und Kulturen nahezu dieselbe.

Dieser Anfang trifft den Kern. „Ich denke“, erwiderte ich weniger, als daß ich seine, meines Verlegers, Gleichmut ergänzte, „es geht tatsächlich nicht um Literatur, sondern um den moralischen Mainstream.“ Selbst Oliver Jungen hat in seiner → Besprechung des zweiten Erzählbands geschrieben:

Tatsächlich war sich ANH nicht zu schade, im Nachwort sein „freies Denken“ der „Meinungsdiktatur einer sogenannten politischen ,Gender‘-Correctness“ entgegenzustellen. Man versteht durchaus, wogegen sich der Autor hier wappnet, denn seine zumindest auf den ersten Blick in Richtung Otto Weininger tendierende Darstellung von Mädchen und Frauen als dem geist- und begehrenszentrierten Mann entgegengesetzte Sinnenwesen (…) geht mit einer Zeitstimmung, der schon die Bewunderung auf den Avenidas als verdächtig altweißmännerlüstern gilt, schlecht zusammen.

„Meine Skepsis gegenüber der Genderreligion, meine ‚Männlichkeit‘ also und scheinbar fehlende ‚Wokeness‘, meine Abneigung gegenüber dem sogenannten Realismus, dazu der hypotaktische, gewiß als antiquiert empfundene Stil … — das dürfte schon genügen. Vergiß nicht, die meisten Autorinnen heute, und die Autoren, sind von Leipzig geprägt oder haben in Hildesheim gelernt und denken akademisch, und also tun es die Jurys. Es geht ihnen um Vermarktbarkeit.“ — Dabei hatte ich, als ich meinem Verleger dies sagte, noch gar nicht Beat Matzenauers → Kritik zum Orca vom Juli 2015 gelesen, die genau davon durchdrungen ist und vor allem eine vorgeblich mangelnde Ökonomie kritisiert; es ist bezeichnend, daß er genau dieses Wort benutzt hat, ich heb es mit Unterstreichung hervor:

Das fordert höchste Konzentration ab – und oft auch einiges an Geduld, denn die diskursiven Passagen muten so nicht selten schleppend und in ihrer Verausgabung unökonomisch an.

Er wirft d’Arrigos Buch sogar streckenweises Langweilen vor. Ich konnt‘ es gar nicht fassen:

Die in der deutschen Fassung 1450 dicht beschriebenen Seiten werden so manches Gemüt aufs Äußerste strapazieren und passagenweise langweilen.

Übrigens sind es eintausendvierhundertvierundfünfzig Seiten, präzise sollte man auch als Kritiker sein. Aber d’Arrigos Präzision krittelt er ja ebenfalls an, da kommt’s auf die vier Seiten mehr tatsächlich nicht mehr an. Doch lesen, Freundin, Sie selbst, ich habe den Text ja verlinkt. Ich mag keinen falschen Eindruck erwecken; Matzenauer ist sich durchaus darüber klar, es mit einem Kunstwerk zu tun zu haben. So daß seine Kritik andre solcher Werke, auch längst weltberühmte, expressis verbis mit einschließt: Passagenweise Langeweile zu erzeugen, sei

mitunter ein Charakteristikum „weltliterarischer“ Bücher. Alle kennen sie, doch nur wenige haben sie in ihrer Gänze gelesen und genossen.

Nein, sie kennen sie n i c h t, sondern wissen, daß es sie g i b t, kennen ihre Titel. Und abermals kommt er, nunmehr (literatur)studienrätig, mit „Ökonomie“:

Nicht zuletzt deshalb ist eine gestaffelte, dafür intensivierte Lektüre angeraten, die den einzelnen Facetten des monumentalen Werks besser gerecht wird.

Denn der

gleichermaßen mythische wie zeitgemäße Stoff erzeugt keinen narrativen Sog, der die Lesenden unwillkürlich mit sich fortreißen würde.

Was ich selbst von Anfang an völlig anders erlebte, Sie haben’s, Freundin, hier in Der Dschungel schon mehrfach gelesen. Offenbare Tatsache a l l e i n ist, daß sich der Herr Matzenauer hat fortreißen nicht lassen, wahrscheinlich lassen auch nicht können. Doch dies auf „den Leser“ zu projezieren, zeugt von der waltenden Anmaßung. Ihm geht es so, anderen anders. Interessant allerdings daß Matzenauer dem Buch ein Prädikat zuschreibt, das ihrerzeit → Almut Oetjen auch auf eines der meinen gepappt hat:

Horcynus Orca ist, als Einheit am Stück gelesen, eine regelrechte Zumutung – zumal für eine Epoche der Hast und Eile.
(Matzenauer)

Das macht die Trilogie, oder hier: „Argo. Anderswelt“, für Leser zu einer Zumutung. Die Kehrseite der Zumutung ist in diesem Fall die Herausforderung. Eine einmalige Lektüre eines derart komplexen Romans kommt deshalb kaum über Leseeindrücke hinaus.
(Oetjen)

Wo dies so ist, da sollte nach einmaligem Lesen niemand die Rezensionen schon schreiben. Wer kritisiert, hat nachvollziehbare Gründe zu nennen — zu argumentieren mithin, nicht nur zu behaupten. Zu schwärmen freilich ist erlaubt. Matzenauer bleibt hingegen nüchtern:

Aber (…) vielleicht sollten wir einfach jenem Professore aus Messina vertrauen, der sich ein Leben lang mit dem Meer befasst hat: „Es gibt nichts Mysteriöses im Leben, es kommt uns nur mysteriös vor.“

Nur wird die Meinung dieses Herrn Professors ständig im Buch widerlegt. Doch immerhin, manches ist Herr Matzenauer denn doch sehr nahgegangen. Wirklich, → lesen Sie’s selbst. Er sieht das Richtige ja, doch wertet er es falsch.

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Horcynus Orca 16
Horcynus Orca 14

           Nicht anders, wahrscheinlich, tun es die Juries. Auch sie erkennen Dichtung, die Leute sind ja nicht blöd. Nur ist die Richtung ihnen zuweilen nicht recht. Wobei ich sehr daran zweifle, daß dieses jemals anders war. →  Kuhstallwärme steht gegen Stil. Und etwas Weitres kommt hinzu: „Weißt du“, beschloß ich das Gespräch mit meinem Verleger … — „weißt du, vielleicht ist es auch einfach so, daß sie denken, du meine Güte, der Mann geht auf die Siebzig zu und hat doch seinen Teil längst getan! Vergibt man Stipendien an so wen? Und kriegt er nicht schon Rente? Da ist es doch besser, wenn wir Jüngere fördern, die auch in die Zeit besser passen. Was soll denn der klassische Bildungsmist noch?“

Antwort geb ich per Gedicht:

 

Der da kommt
kennt nicht den Rauch und die Mandel
weiß von den Pforten Andromedas nicht
hört nicht an Zweigen die Toten
nicht Neros Räusche, als er Prometheus dankte fürs Feuer
und kaute doch mit an der Leber

hat clean auf der Klinke die Hand
unverdammt liegen und drückt sie
zur Zukunft hinunter
hell ist sein Aug
hell ist sein Haut
hell ist sein leerer Gedanke

so tritt er ein
analphabet von den Alephs
entbunden

 

Ihr
ANH

(10.06 Uhr)

 

(Ein Jahr lang einmal wieder ohne finanzielle Enge arbeiten zu können, wäre einfach schön gewesen. Um mehr, imgrunde, geht es bei meinem Enttäuschtsein nicht.)

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2 thoughts on “„Erwartungsgemäß“. In Orcas — als Horcynus Orca 15 — Essayjournal des Sonntags, den 10. Dezember 2023. Diesmal mit Beat Matzenauer, der zur Orca schrieb.

  1. Nun, es ist halt ein Zeichen fortbestehender Hoffnung wider besseres Wissen. Oder auch eine Hybris, die man nie los wird. So habe ich während vieler Jahrzehnte stets abgelehnt, für meine Bücher zu werben, weil ich sagte, meine Aufgabe ist es, einen guten Text zu schreiben. Und den Text kann schließlich jeder sehen. Etwas anderes gibt es von mir nicht zu verlangen. Punkt. Aber die Leute sch… auf gute Texte.

    Das mit den Texten habe ich deshalb zwar nicht aufgegeben, aber das elende Spiel mit den Bewerbungen schon seit vielen Jahren. Ich wünsche Ihnen einen schönen zweiten Advent.

  2. Es zählt das, was Erfolg verspricht.
    Und Erfolg heißt Profit, das ist der Kapitalismus.
    Welches Buch verkauft sich am besten und das heißt, am meisten. Das ist doch System.
    Und die „Kritiker“ dienen dem System. Damals der Chefkritiker Reich-Ranitzki bekannte sich selbst zu dem Maßstab eines Verrisses eines Buches und somit auch der Autorin oder des Autors:
    „Ich habe mich gelangweilt“.
    Oder?
    Daumen hoch, Daumen runter. Erledigt.

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