Rezitallen wild! Augustin Hadelich, am 13. Dezember solo im Kleinen Saal des Konzerthauses Berlin.

 

[Beitragsbild (Foto Hadelich) © : ANH
Bild im Beitrag © : Suxiao Yang/Konzertaus Berlin]
[Geschrieben für die Junge Welt und in deren Wochenendausgabe
des 16. & 17. Dezembers 2023 → erschienen.
Dazu mein Dschungelkommentar steht → dort.

NACHTRAG, 4. Januar 2024
Siehe aber auch meine an die Redaktion gemailte
Aufkündigung der Zusammenarbeit.]

          Ganz ohne Zweifel gehört der unterdessen knapp vierzigjährige Augustin Hadelich zu den größten Geigern weltweit, so dass nicht nur Joana Mallwitz mehr als nur ein Glücksgriff des Berliner Konzerthauses ist, sondern auch, ihn zum artist in residence berufen zu haben. Mir wurde er trotz seiner da schon exzeptionellen Karriere erst im letzten Jahr bekannt, als ich mit seinen Aufnahmen der Partiten für Geige solo bemustert wurde, eigentlich nur „mal reinhören“ wollte, zur Arbeit nebenbei … – da war an sie, meine literarische Arbeit, nicht mehr zu denken. Fassungslos saß ich hinterm Schreibtisch und hörte nur noch zu. Geradezu süchtig geworden, schrieb ich eine ziemlich lange Besprechung. Und nun … nun, nachdem ich den Geiger schon live mit Orchester erlebt habe, mit einem leider mauen Stück … nun gab er am Mittwoch endlich einen solo-Abend.

           Der Kleine Saal des Konzerthauses war proppevoll, sogar die Galerie voll besetzt. Und wie viele junge Leute da waren! Toll, dachte ich, einfach nur toll. Und er legte los.
So muß ich’s wirklich nennen. Er hat durchaus etwas von einem Teufelsgeiger. Wenn er lächelt, jedenfalls. Doch nicht nach Kinskis E.Th.A.Hoffmann-Manier, eher wie von Marvel[1]Unterdessen kenne ich den Grund und werde mich entschuldigen müssen; der Eindruck aber ist sehr stark: weshalb ich es so stehen lasse.. Teuflisch schnell die Tempi, teuflich rasend oft – wobei er sich gerne vorbeugt, so daß des Instrumentes Decke über die Köpfe des Publikums schaut. Nein, weg mit den visuellen Eindrück! Die Augen schließen, lauschen!

           Sein Programm war höchst durchdacht, beginnend mit Bach und es auch mit ihm beschließend, Dazwischen eine hinreißende – so auch gespielte – Blues-Phantasie von Perkinson aus dem Jahr 1972, in der die Geige bisweilen die Skala, deren Töne verschleifend, herabstürzt wie Oscar Piazollas Bandoneon oft. Hier schon tobte der Applaus, die junge Dame neben mir klatschte nicht, sie peitsche die Flächen ihrer Hände. Und dann das Wagnis, zwei Stücke, die miteinander gar nichts zu tun haben,attacca zu koppeln: David Langs meditatives „Before Sorrow“ mit der „Ballade“ benannten neunzig Jahre älteren Sonate d-moll Eugène Ysaÿes – was einerseits ausgesprochen schlüssig war; andererseits wurde gerade sie mir geradezu unangenem artistisch interpretiert. Doch mir wohl nur allein. Die andren alle jubelten. So dass ich in der Pause schimpfte.
Ein befreundeter Komponist wies mich entschieden zurecht. Das Stück sei groß, vor allem tief. „Is’ mir entgangen. Für mich gehört es in den Zirkus.“ Zumindest da, wenn auch zögernd, stimmte er zu; auch er verstehe nicht, weshalb Hadelich derart den … nein, „Teufelsgeiger“ spiele sagte er nicht, doch lief’s darauf hinaus.
Vielleicht hatte ich deshalb anfangs Schwierigkeiten, mich in das Schlußstück, Bachs d-moll-Partita einzufinden. Der Ysaÿe klang einfach zu nach. Es gab sich aber schon mit der Courante. Da war ich wieder da, jetzt mit fast durchweg geschlossenen Augen. – Klang es nicht doch manchmal etwas scharf? Dann aber wieder eine geradezu romantisch zum Himmel bettelnde, wie auf kitschigen Heiligenbildchen, süßliche Zwischenhalts-Akkordierung selbst in der grandiosen Chaconne. Die dergleichen wahrlich nicht braucht. In ihr das Gefühl, ein großes, leuchtet aus der Strenge mehr, als wenn wir es betonen. – so, wie wir, wenn wir ein Intimstes meinen, ganz besonders Zurückhaltung üben.
<strike>Hadelich interpretierte dennoch perfekt, auch wenn ich es bedauerte, daß er nicht, wie für die beiden CDs, den Barockbogen nahm

[Falsch, ganz falsch! er nahm ihn d o c h!! (Siehe → d o r t.)],

der einen näheren – ich möchte, seltsam, „humaneren“ schreiben – Ton erzeugt. Doch läßt es sich der Chaconne sowieso nicht entziehen. Auch ihn, Hadelich, nahm sie deutlich mit; er wirkte hernach sichtlich erschöpft. So dass ich nicht verstand, weshalb er nach diesem insgesamt Hochleistungsabend noch eine Zugabe gab. Allein, um den Affen Zucker zu geben? Allerdings war sie sehr einfühlsam gewählt. – Dennoch, nach der Chaconne überhaupt noch etwas zu spielen, ist imgrunde Blasphemie und gehört sich so wenig, wie nach einem Requiem zu klatschen. Da steht man leise auf. Da geht man schweigend durch die Nacht; und sind wir in Begleitung, sprechen wir, wenn, nur gedämpft.

 

ANH, 14. Dezember 2023

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(Siehe auch → Zum Hinknien berauschend)




 

References

References
1 Unterdessen kenne ich den Grund und werde mich entschuldigen müssen; der Eindruck aber ist sehr stark: weshalb ich es so stehen lasse.

1 thought on “Rezitallen wild! Augustin Hadelich, am 13. Dezember solo im Kleinen Saal des Konzerthauses Berlin.

  1. [Beitragsbild (Foto Hadelich) © : ANH]

     

    Dort:

     

    Allerdings hat die Redaktion meinen Titel geändert, der bei mir hieß:

    Rezitallen wild

    Außerdem habe i c h  n i c h t von → Marvels Venom geschrieben, sondern einfach nur „eher wie von Marvel„; „Venom“ ist ein komplett unzutreffender, sogar abseitiger Vergleich, der wirklich ärgerlich ist. Wenn meine Rezension in zweidrei Wochen hier in Der Dschungel übernommen werden wird, werde ich das selbstverständlich ändern.
    ANH

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    NACHTRAG, 20. Dezember:
    Dummer-, vor allem peinlicherweise ist mir ein Fehler widerfahren. Aufmerksam darauf hat mich Marius Felix Lange gemacht. Danke dafür.
    Nämlich:
    Anders, als ich in der Kritik schreibe und – mit nunmehr – also behauptet habe, hat Hadelich d o c h mit dem Barockbogen gespielt. Wenn ich in etwa einer Woche meinen Text hier in Die Dschungel übernehmen werde, wird er, mein Fehler, nicht mehr drinstehen. Siehe bitte → dieses Arbeitsjournal.
    ANH

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