[Arbeitswohnung, 8.28 Uhr
-11°c]
Zum ersten Mal macht es sich deutlich bemerkbar, daß ich auch in d i e s e m Winter nicht heize, dennoch bei offenem Fenster schlafe und tagsüber a u c h es immer wieder aufstehen habe. Es ist halt wirklich mal Winter, dennoch hell, obwohl gar kein Schnee liegt. Doch Sonne ist, Sonne, wenn auch als Wärmequelle nicht so arg sehr. Rechts unten neben meinem Schreibtisch mein’s Eigenbaues Teelichtöfchen wieder mal in Gang gebracht, das erstaunlich wirkt (vor allem, denke ich, pyschisch; seit Ende November hatte es wieder geruht). — Die Heizdecke noch unterm Hintern, imgrunde ist das genug. „Kälte hält jung“, kommentierte gestern die Löwin – auch wenn sie selbst dem nicht folge; „ich brauch die Wärme einfach.“ Nun ist bekannt, daß sich der weibliche Stoffwechsel ein wenig komplizierter als der männliche geriert und tatsächlich schneller frieren läßt.
Jedenfalls – es ist bereits eine Stunde später, als oben notiert, ich hab mal unterbrochen – bin ich jetzt aus dem Bad wieder heraus … die eigentlich, ich schreib mal, „tapferste“ Momentfolge des Tages, splitternackt zur Dusche zu huschen; rasieren und die Zähne putzen, tu ich noch in Morgenmantels wärmendem Fleece … — jedenfall jetzt ist mir warm. „Organe aufheizen“ nennen’s die Japaner, wenn sie sich minutenlang in fast kochendes Wasser legen; denken Sie daran, Freundin, daß manche in Tatamihäusern leben, in Kyoto war ich da mal winters zu Gast. Was ich dort ebenfalls gelernt habe: nicht sich abzurubbeln, sondern nur -zutupfen. Dann entsteht zwischen Haut und Kleidung eine dünne Verdampfungsschicht, die tatsächlich einige Kälte wegisoliert. Hält bei mir bis nach dem Mittagsschlaf an. Da, auf dem schönen Fell, das mir die Löwin geschenkt hat, und unter zwei Decken, fährt die eigne Körpererwärmung ziemlich herunter, und dann, steh ich nach der Siestastunde wieder auf, ist diese Dampfschicht nicht mehr wirksam. Und also geht es mit dem dicken Pullover und der Lammfellweste los. Auf der Heizdecke überm Schreibtischstuhl hält dies bis in die Nacht; mitunter wird mir sogar derart warm, auch bei geöffnetem Fenster, daß ich die Weste wieder ausziehen muß. Der Kopf allerdings bleibt von einem meiner islamischen Gebetsmützchen bedeckt, ich hab ja kein Haar, die ich nur zum Videofonieren abnehme, weil sie meiner Eitelkeit bisweilen bisserl peinlich ist. Und wenn’s an der Tür schellt, weil jemand eine Sendung abholen möchte, die ich angenommen habe. In Lederjacke isses mir egal — doch in Anzug und Krawatte?
Wobei mich etwas anderes umtrieb, jetzt, da ich an den Sapphotexten sitze, bis mir Arco endlich die annotierten Triestbriefe zurückreichen und es mit der letzten Überarbeitung losgehen wird.
Morgens zum ersten Latte macchiato wieder die Ukraine– und Hamasliveblogs gelesen, darinnen unter anderem von dem Zivilisationsbruch, den der 7. Oktober bedeute; geschändete Säuglinge, geköpfte Säuglinge, lebendig verbrannte Säuglinge, vergewaltigte, dann getötete, aber tot weitervergewaltigte Frauen; daß davon keine Bilder und Videos gezeigt würden, verstehe sich von selbst. Ich bin mir indessen nicht sicher, ob solches Bildmaterial mich vielleicht davor „schützen“ würde, daß meine Fantasie Amok läuft. Was sie leider dauernd tut. Egal. Jedenfalls: Wie kann ich es wagen oder auch nur erwägen, mich angesichts solcher Geschehen an Liebesgedichte zu setzen? Worum bei Sappho aber ein Weg nicht herumführt.
Bis mir der Gedanke kam, daß es sich um „Zivilisationsbruch“ gar nicht handele, weil „brechen“ nur könne, was schon vorhanden. Wer aber derart meuchelt, kann zivilisiert gar nicht gewesen sein, vorher schon nicht, da war allenfalls Tünche; womöglich indes sind es die Kommandierenden, die selber tätig derart nicht werden. Und zum anderen — d e r Gedanke war fast erlösend — sei es aber, Liebesgedichte in solchen Zeiten zu schreiben, ein Akt des, und dann eben auch politischen Widerstands. Den Sieg, mir und der Dichtung das zu nehmen, erlaube ich den Meuchelmördern nicht, weder den Putins an ihrem Schreibtisch und hinter ihren Monitoren, noch den primitiven Schlächtern —
— als die Nachricht von Harry Oberländers Tod mich erreichte. Die mich nun außerdem besetzte, imgrunde bis vorhin, und erst gestern konnte ich meinen eigenen, Björn Jagers wegen auch poetisch nur bescheidenen Nachruf erst formulieren, → dann posten. Um („um“?, tatsächlich?) mich sofort wieder Sapphos No 25 zu widmen, von der ich morgens dachte ‚Das bekommst du n i e hin‘ und abends aber, freilich nur den ersten Entwurf, schon fertig hatte, diesmal „Arena“ benannt:
Helles aphroditenes Licht wird dann noch daß es jeden ließ’, der sie sieht, vergessen,
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Weshalb „Arena“ ist Ihnen, Freundin, nun klar, oder? — Ringkampf, Freundin, Ringkampf. Aber verzeihen Sie, Sie haben’s gewußt. („Sexualität ist kein Spaziergang im Grünen.“ → Camille Paglia). „Kampf, nicht Krieg“, schreibt Ernst Bloch.[1]Es gehört zum Elend der „Correctness“, aus dem Geschlechterkampf einen Krieg der Geschlechter herausgeschürt zu haben. Dennoch, Aphrodite ist mit Ares verbandelt. Vergessen wir das nie! „Die Venus ist eine glitschige Göttin und kennt keine Regeln“: Wie oft nun habe ich Dieter Betz, meinen Wahlvater, damit schon zitiert? Zumindest die Berliner scheinen solch Wahrheit zu verdrängen, „woke“, wie sie ist, unsre Politik, und nutzt die Affaire politisch gleich aus. — Bitte? Ja, ich meine Frau Günther-Wünsch und Herrn Wegner. Es wäre eine schwache Göttin, hätte sie sich bei den beiden an Regeln plötzlich gehalten; ich selbst wäre, wär’s so, geradezu enttäuscht. Frau Giffey also → sollt‘ sich was schämen. Nur war Scham halt noch nie recht ihr Ding.
Ich weiß, ich weiß, ich hab leicht reden, so gänzlich ohne Doktorhut. (Doch hab ich dafür Borsalinos).
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Ihr ANH
11.13 Uhr
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References
↑1 | Es gehört zum Elend der „Correctness“, aus dem Geschlechterkampf einen Krieg der Geschlechter herausgeschürt zu haben. |
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