Es wird Zeit, wird dringend Zeit noch vor Triest,

wohin ich morgen abend wieder mit dem Flixbus reisen und wo ich übermorgen früh ankommen werde,

wird Zeit, endlich, endlich Zeit, daß ich mal wieder in Der Dschungel schreibe, ein Arbeitsjournal schreibe.

[Arbeitswohnung, 15.10 Uhr]

Es hielt mich vieles ab. Zuerst war’s ein heikles Lektorat – nicht, Freundin, eines meiner Texte, sondern des eines anderen –, was mich band, meine Zeit band, das ich auch gerne wieder abgegeben hätte; doch wurde ich beschworen. Und schon aus Freundschaft blieb ich dran – unter der Maßgabe allerdings, ab dem ersten Mai wieder an die Triestbriefe zu gehen, nachdem mein Verleger hiergewesen und mit mir einige Stellen durchgegangen war, die er für problematisch hielt. Dies war noch vor dem ersten Mai einzuarbeiten, damit ich dann nämlich an den ersten der zwei letzten Überarbeitungsgänge konnte, so daß ich, wenn ich in Triest wär, eine Fassung bei mir hätte, für die tatsächlich nur noch faktische Details vor Ort zu recherchieren, womöglich auch zu korrigieren wären.
Das ist seit vorgestern erreicht, und gestern ließ ich es binden, das wuchtige Ding. 568 Seiten plus Inhaltsverzeichnis und (wenige) Zitatangaben. Es war ein wilder Ritt

— den aber sogar noch was andres dreivier Tage lang stoppte. Ich bin ein sturer Schädel (habe ihn nicht nur) und hab mich drum erneut um das Berlinstipendium bemüht, also einen Antrag geschrieben und hinausgeschickt. In der festen Überzeugung aufs ich weiß nicht mehr wieviel zwanzigste Mal ins Kröpfchen statt in das Töpfchen zu kommen und in jenem durchaus nicht gekaut, sondern als Kirschkern verwendet zu werden. Der Grund dafür scheint mir einfach zu sein:

Diesen hübschen Sticker – stolz bin ich aufs C-Dur (Dur eben, nicht etwa moll) –  habe ich mir fertigen lassen, um ihn auf Diskussionsveranstaltungen zu tragen; ich trüge ihn auch sonst, aber er stört die Perle an meinem Jackett. Im Winter allerdings paßt er richtig prima an den vorderen Mantelkragen. Er protestiert aber nicht allein gegen die Gender-/Transgender-Ideologie, sondern mit ihr gegen diese riesige Anhäufung eines Unrats, den die Universitäten-selbst in die Köpfe der Studierenden gegossen — und sich nun wundern, wenn die sich benehmen, wie es sie gelehrt ward. Von „Post-colonial“ bis „From the river to the sea“ werd ich gezwungenermaßen zum Zeugen einer wüst gewordenen Blödheit. Feministinnen, die das folternde, johlende Meuchelmorden der Hamas für Befreiungskampf halten oder halten wollen und offenbar alle nicht nur selbst endlich das Kopftuch und besser gleich die Burka tragen, sondern auch gerne zu Tode gesteinigt werden wollen – „Trefft meine Augen bitte , schlagt mir die Augen a u s!“, „Bitte, bitte, liebe Hamas, schneidet mir die Brüste ab, die ha’m mich eh behindert und lenken euch nur ab von unserm großen Ziel, dem Tode aller Juden“, „Vergewaltigt mich, vergewaltigt mich, das wird euch Kraft für euren Widerstand geben, ihr dürft mich auch gerne kill’n dabei“!, – Transpersonen und Schwule, die unbedingt an die Motorräder der Hamas- „Kämpfer“ gebunden und durch die Gassen Rafahs zu Tode geschleift werden wollen und vielleicht vorher noch kastriert, ohne Betäubung, macht sonst ja keinen Spaß Allah … und und und und und. Meine Fassungslosigkeit ist fast noch größer als deren IQ gering. Anders läßt sich das alles nicht erklären. Oder herrscht unter den jungen Intellektuellinnen und Intellektuellen eine Verblendung wie zu Anfang Weltkrieg I, um von der Anschlußgeilheit der deutschen Universitäten zu Hitlers Anfang zu schweigen? Denn selbstverständlich, ja!, i s t Netanjahu ein Verbrecher und die israelische, unter ihm!, Siedlungs“politik“ beschissen. Da ist sehr viel zu kritisieren, doch neuer Antisemitismus der komplett falsche Weg. Gingen und gehen denn n i c h t in Israel selbst Jüdinnen und Juden protestierend auf die Straßen? Wird alles, alles ausgeblendet.

Judith Butler, ich habe es früh schon geschrieben, schon vor Jahren, werde für die Unis ein großes, großes Unheil sein und ist es nun geworden. #Meetoo war nur zum Teil eins (insofern die Bewegung ebenfalls ideologisiert hat), im großen und ganzen war und ist es fundiert und darum dringend. Es unterscheidet aber auch nicht zwischen Juden und allen anderen Menschen. Mißbrauch ist überall Mißbrauch, egal, wer ihn ausführt und, falls als Verteidigung behauptet, wofür.

Ich wurde immer wütender. Und verzweifelt. Auch darum habe ich so lange hier geschwiegen. Auch aus eigener Seelenhygiene war es wichtig, mich nicht dauernd mit all diesem Schrecken zu befassen, der auf zynische Weise saukomisch aber ist, La umana commedia. Dante lacht durch die Zeiten bis hier, ein böses Lachen, in das Homer ich einstimmen höre, und leider auch Celine. — Im Angesichte alles dessen war es fürwahr nicht leicht, den Triestroman fertigzuschreiben, da er doch von Wundern erzählt, von deren e i n e m ganz besonders. Il miracolo di lunedì, die überlaufenden Weihwasserbecken:

Wo hat dergleichen denn noch Raum? Es ist ja schon der Gedanke falsch, es seien die im Kolonialismus unterworfenen Völker bessere Menschen als die Unterwerfer gewesen. Araber etwa waren die ausgefuchstesten und auch brutalsten Sklavenhändler, und die indischen Herrscher beuteten ihre Untertanen aus bis aufs Blut, bis in den bittersten Hunger. Es gehört zur menschlichen Art, zu vernichten, vernichten immer wieder zu wollen; wir alle tragen dran das Erbe, haben’s in den Genen, Unterdrückte wie Unterdrücker. Genau dies in den Griff zu bekommen, es umzuformen in etwas, das humanistisch schafft, ist zivilisierte Kultur. Dafür hat sich die Aufklärung engagiert, die jetzt als Produkt alter, weißer toxischer Männer an den Schandpfahl der Geschichte gestellt wird.

Ja, das Patriarchat war grauslich, oft sogar widerlich, und ist es biweilen noch — die Zwangsbeschneidung von Frauen aber auch – die von Frauen selbst, wenn auch anderen, oft fanatisch nicht „nur“ mitgetragen wird. Ich erhebe meine Stimme dagegen, egal, ob es „nur eine andere Kultur“ ist. Im Sinn der Menschenrechte ist es nötig, auch andere Kulturen als die eigene zu kritisieren und nötigenfalls zu verurteilen, scharf. Das gilt auch, wenn wir uns ins Bewußtsein heben, daß sich das Christentum über viele Jahrhunderte nicht anders benahm als heute der IS. Zwar ließe relativierend sich sagen, der Islam befinde sich halt im Mittelalter noch, und wir müßten ihm die Zeit geben, die’s bis zur Aufklärung brauchte. Sagen wir fünfhundert, sechshundert Jahre. Nun já, das kann ich nachvollziehen. Nur hat das Mittelalter, anders als der dogmatische Islam, nicht über moderne Technologien verfügt, schon gar nicht über solche eines Militärs. Es lebte nicht in der Ungleichzeitigkeit. Suleiman, Peter, Cäsar, Alexander konnten ganze Länder brutal, ja halbe Kontinente niederwerfen— sie völlig zu vernichten vermochten sie nicht und hätten’s nicht vermocht; nicht einmal der vom Christentum verübte Genozid an den Waldensern konnte und wollte sowas erreichen. Wahrscheinlich wär es ihm auch gar nicht erst in den Sinn gekommen; es ist ja GOttes Schöpfung.
Ich komme auf den nächsten Irrwitz, cultural appropriation. Sie ist einen Witz von Irren. Gegens Blackfacing ist nichts einzuwenden, sofern es nicht denunziert. Die Kunst will das Andre, immer. Sie wäre sonst nicht Kunst. Es liegt doch schon im Wort!

In solchen Zeiten Romane noch schreiben, in denen einer wie der → „bleiche Lurch“ ausnahmsweise mal recht hat, wenn er von Dekadenz spricht? O Verzärtelung der „Wokeness“! —Ja! In solchen Zeiten Romane schreiben! Sie weiter-, weiter-, weiterschreiben. Und zärtlich‘ Lieder schreiben.

Ihr ANH

 

Abendland, Abendland,
ich achte und verachte dich
Abendland.
Abendland, Abendland,
we’ve got no dream, that bears your name.
(→ André Heller, 1976)

           Jetzt aber auf nach Triest!








 

1 thought on “Es wird Zeit, wird dringend Zeit noch vor Triest,

Schreiben Sie einen Kommentar

Ihre E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahren Sie mehr darüber, wie Ihre Kommentardaten verarbeitet werden .