[Arbeitswohnung, 7.45 Uhr, Latte macchiato
France musique contemporaine:
Magnus Lindberg, Concerto No 2]
Mit → solch einem Anblick, liebe Gaga Nielsen, surf ich gerne in den Tag. Und was Sie, die andere Leserin, anbelangt, bin ich Ihnen vermutlich eine Erklärung, nun jà. „schuldig“, dazu, daß ich derart lange geschwiegen habe.
Es hängt dies mit einer heiklen Arbeit zusammen, über deren Umstände ich nicht schreiben wollte; es hätte die Integrität mitbetroffener Personen verletzt, ging schon in der direkten Korrespondenz — entre nous, wenn Sie so wollen — über Minenfelder des Selbstwerts. Dazu kam das zunehmend mächtigere Strömen der letzten Arbeit am Triestbrief-Roman. Daß ich dazu in die Stadt des Geschehens gereist bin, wissen Sie. Eigentlich gäbe es über meinen Aufenthalt dort manches zu berichten. Ich schaff dergleichen derzeit nicht.
Morgen nun wird das Typoskript in den Buchsatz gehen, am 1. September in Druck — um zur → Berliner Premiere auch wirklich vorzuliegen, physisch.
Und nun ist auch noch die alte Dame gestorben, deren Lebenserinnerungen ich ghostwritend aufschrieb, ohne damit fertigwerden zu können, weil Corona dazwischenkam, und tatsächliche Krankheiten kamen; auf dem Sterbebett habe sie, die ich liebzuhaben gelernt, sich gewünscht, ich möge das Buch zuendeführen. Nun bin ich darüber im Gespräch mit ihrem Sohn, der mich außerdem bat, die Trauerrede zu halten. Die a u c h erstmal geschrieben sein will, noch jetzt, na klar, im August. Und zum dritten habe ich mich an das Buch zum Prenzlauer Berg zu setzen, über das ich den Vertrag bereits mit BeBra geschlossen; im nächsten Frühjahr soll es bereits da sein, zur Buchmesse Leipzig. Eine lockere Arbeit, freilich, weil es darum nicht geht, literarästhetische Pflöcke in Ihren, der Leserinnen, Boden zu treiben; ich darf und soll causieren. So habe ich gestern bereits → dort etwas notiert. Außerdem hat sich meine Arbeit für Faustkultur erheblich intensiviert. Von der edition Faust etwa habe ich nun auch den Vertrag für die GraphicNovel bekommen, wobei sich leider der Zeichner lange nicht mehr gemeldet hat und ich nicht über die zeitlichen Ressourcen verfüge, da nun nachzuhaken.
Der August wird also, ist es schon, eng. Dabei stand im Raum, daß ich mit einem Filmer, der ein ANH-Portrait zu drehen begonnen, im September für eine Woche nach Sizilien reise. Nur, ich habe nicht nur die Zeit, sondern auch das Geld nicht, um so etwas zu finanzieren. Wobei ich ökonomisch allerdings, ohne solche Zusatzkosten, derzeit gelassen vor mich hinleben kann. Das ist ja schon mal was. Auch gesundheitlich läuft es ziemlich prima, die letzten Krebskontrollen blieben weiterhin ohne Befund, und gegen die Polyneuropathie hilft jetzt das Mittel d o c h, das ich → schon mal „probiert“, dann schnellstens wieder abgesetzt hatte. Es erneut zu versuchen, war etwa vor zwei Monaten — also noch, bevor ich nach Triest fuhr — das Gebot einiger schlafloser Stunden. Bei meinen ohnedies nur viereinhalb bis fünf Stunden nachts darf ich mir n o c h weniger Schlaf nicht erlauben. Und ja, die, wie ich es nannte, „Wirklichkeitsaufweichung“ überspülte mich erneut. Doch diesmal fand ich sie spannend und wollte wissen, wie mein Gehirn auf Dauer damit umgeht. — Kurz, es ignoriert sie irgendwann, korrigiert sie sogar. Wobei ich strikt bei der Mindestmedikation bleibe, sie, wiewohl mir freie Hand gelassen, nicht erhöhe. Ebenso halte ich es bekanntlich mit den THC-Tropfen, die ich wirklich nur „einsetze“, wenn ich unter 69 kg Körpergewicht falle (passiert meist auf Reisen, wenn ich meine Ernährungsroutine nicht einhalten kann); derzeit bin ich wieder bei beruhigenden 71,4 und will auf 72 hoch.
Dann mußte ich für eine Zahnbehandlung kämpfen, Widerspruch gegen einen Bescheid der Krankenkasse; kostet Zeit, sowas k0rrekt zu formulieren. Da ist es höchst erleichternd, daß wir übers Netz auf quasi jeden Gesetzestext zugreifen können; man muß ihn dann allerdings zu lesen verstehen. Immerhin, die Tjost ist gewonnen. Was aber bedeutet, daß es mit dieser vermutlich langen Zahnbehandlung nun auch noch losgeht – ebenfalls noch in diesem August. Ich werde einen Antrag stellen, die Stundenanzahl eines Tages um ein Drittel zu erhöhen, weiß nur nicht, bei wem. Und müßte höchstwahrscheinlich abermals auf einen Amtsbescheid mit schriftlichem Widerspruch reagieren; schon fläzte sich der nächste Kampf durch meinen Arbeitsraum.
Sie ahnen, liebe Freundin, aus dem allen sicher schon, daß einige längst begonnene Projekte erst einmal beiseite liegenbleiben müssen, → Sappho etwa, auch → die frühen Gedichte. Dennoch ist längst geplant, mit Arco wieder, aus meinem Nabokov lesen ein eignes Buch zu formen. Das gleichfalls als Buch geplante Krebstagebuch allerdings muß sowieso noch warten; erstens, weil man als geheilt erst fünf Jahre nach der Operation gilt, ich „habe“ jetzt erst vier, → h e u t e !, danke, lieber Michael Heise … auch das Fell eines Bären, den ich gar nicht jagen, geschweige denn töten will, verkauft man nicht, bevor man’s getan hat … — und zweitens, weil ich derzeit schwerlich nach Aqaba komme, wohin ich den Eingriff imaginiert hab. Jordanien ist heikles Gebiet, nach dem 7. Oktober ganz besonders. Was mich jetzt wieder auf den hier aufgeschossenen Antisemitismus kommen läßt und die bizarren „queeren“ Demonstrationen pro Hamas. Soll ich weinen oder homerisch brüllen vor Lachen? Und was den „sozial konstruierten Sexus“ (nicht etwa nur noch „Gender“) anbelangt, so sind wir unterdessen mitten → in den Anderswelt-Büchern. Manchmal machen mir meine Prophetien Schwindel. (Genießen Sie die Ambivalenz des letzten Wortes, dann sind Sie mittendrin.) Sogar vom Zweiten Nordamerikanischen Bürgerkrieg habe ich schon in THETIS geschrieben, der jetzt immer wieder an die Zeitungswände hingemenetekelt wird. „Futuristisches Tamtam“ genannt → hat Hubert Winkels es. Aber es gehe gar nicht um das, was ich beschriebe, konstatierte ein befreundeter Literaturwissenschaftler, „sondern darum, wie du es tust“. Kurz, es geht mal wieder um den sogenannten Realismus und die von ihm bevorzugten, wenn nicht diktierten Stilmittel, zu denen unter anderem „einfache Sprache“ deshalb gehört, weil man keine Komplexitäten mehr will, ein Ja sei halt ein Ja und niemals, niemals Nein. Wozu ich erneut → auf den famosen Adolf Endler komme:
… da einem ja der schlichte »Realismus« allein schon immer dubioser geworden ist, auch ohne die zusätzliche »sozialistische« Würze.
Tarzan am Prenzlauer Berg, S. 41
Ihr ANH