Krieg gegen Kinder? fragt das Arbeitsjournal des Montags, den 2. Dezember 2024.

[Arbeitswohnung, 10.56 Uhr
Langgaard, → Antikrist]

Abgestürzt gestern nacht, irgendwann ging der Sexualrausch los, von dem ich nicht einmal mehr weiß, ob er sich lösen ließ, und alles nur im sozusagen Selbstversuch als, sagen wir, Freundin, „Dialog“ mit virtuellen Welten. Nicht mal den Wecker habe ich gestellt und kam erst zu mir kurz vor neun. Für meine Arbeit ist das … nun jà, „katastrophal“ wär deutlich übertrieben formuliert. Katastrophen geschehen woanders, die es aber immerhin sein dürften, was meinen Absturz ausgelöst, zumindest mitbewirkt hat. Denn seit dem Einmarsch der Russen in die Ukraine, vor allem aber seit dem Massaker des 7. Oktobers bin ich sowohl in direkten Gesprächen wie vor allem in den Messengers täglich damit beschäftigt, und zwar über Stunden, die Weltlage zu diskutieren. Früher habe ich, sowie mein Latte macchiato bereitet war, zu arbeiten begonnen, also zu schreiben, und erst nach einer kleinen Frühstückspause von der Welt zu lesen begonnen. Unterdessen ist es umgekehrt. Und lese auch noch das:

Wie soll man da nicht bangen? Wobei ich hier zum ersten gehörig schummele, denn dieser Journalanfang wurde bereits am 29., also Freitag, geschrieben, doch kam ich dann nicht weiter – wie in den vergangenen Monaten oft, wenn ich mich wieder um Die Dschungel kümmern wollte. Meistens unterbrachen mich die Kriege erneut, oder muß ich bereits von dem Krieg schreiben? In Syrien geht es ja nun auch wieder los, gegen Assad, was eine gute Nachricht wäre, erhöbe sich nicht erneut ein radikaler, mit dem Iran liierter Islamismus —

[Auch Langgaards „Antikrist“ höre ich heute vormittag nicht mehr, sondern, weil ich noch Karl Amadeus Hartmanns Presto aus seiner sechsten Sinfonie im Ohr habe (dreimal habe ich gestern abend diesen drei Fugen gelauscht, direkt hintereinander, und ins Zucken geraten, ins Vibrieren … fast hätt ich aufgeschrien am Schluß)]

— zum ersten also schummle, wiewohl die Mitteilung selbst völlig wahr ist. Zum zweiten aber frage ich mich etwas, das ich vorher nie getan habe, nämlich nach dem Sinn meiner Arbeit. Was auch damit zu tun hat, daß es für die „Briefe nach Triest“ nach wie vor keine Rezensionen gibt; eine Kritik war für den Sonntag angekündigt, kam dann dennoch nicht. Was mich ziemlich runterzog, ich hatte nur das Glück, daß es draußen zwar kalt war, für den Winter freilich erfreulich, vor allem aber schien die Sonne brillant. Es tat wohl spazierenzugehen. Im ständigen Dämmerlicht, dann schon wieder in Dunkelheit zu leben, fällt mir umso schwerer, desto älter ich werde. Zudem hob sich am Abend, da w a r es schon dunkel,  meine Stimmung um eine weitere Oktave, als ich nämlich das hier fand:

Meine Erleichterung, wirklich Erleichterung war, daß ich dachte, nein, wie ein in zwei Monaten Siebzigjähriger siehst du nicht aus. Vergleichen Sie, liebste Freundin, mal d a s mit dem Bild, für das sich lyrikline.org → entschieden hat. Da habe ich nämlich geschluckt (wiewohl Dirk Skiba ganz sicher was getroffen hat).
Eitelkeit, ach Eitelkeit. Wobei der Erzähler des großartigen Buches, das ich gerade lese, neunzig ist, nicht erst siebzig. So oft ich schon zustimmend, gar begeistert über Peixoto geschrieben habe, dieser Roman ist ganz gewiß sein bester — und seien Sie sicher, nicht nur, weil sein Thema mit dem meines → „Traumschiff„s verwandt ist. Aber ich bin erst zur Hälfte ‚durch‘, doch weiß schon jetzt, auch über „Mittagessen am Sonntag“ schreiben nicht nur zu wollen, sondern zu müssen. Seltsam nur, daß Septime den Roman nicht auf seiner Website bewirbt, nicht einmal nennt.
Übrigens bin ich jetzt genauso alt, wie Lanmeister war, als er starb.

Und soeben schreibt mir in Whatsapp eine Freundin, sie meint die Triestbriefe:

Es ist nicht die einzige Lektürenachricht dieser Art; es sind sogar viele. Nur halt das Feuilleton schweigt. Was nicht so schlimm wäre, hätten wir nicht diese so kurzen Neuerscheinungszyklen: Ab Februar sind die meisten Redaktionen bereits auf die Frühjahrserscheinungen fokussiert; Bücher „aus dem vorigen Jahr“ zählen dann nicht mehr. (Was dazu führt, daß nicht wenige Verlag die offiziellen Erscheinungstermine als später angeben, als sie tatsächlich waren; sie tun es, gerade die kleinen, aus Notwehr).
Was Sie, Freundin, wahrscheinlich nicht wissen, jedenfalls kaum im Blick haben werden, ist, daß Kritiken nicht „nur“ für den Verkauf wichtig sind (für den haben sie an Bedeutung sogar eklatant verloren), sondern sie sind es vor allem auch für Übersetzungen, die wiederum die Akzeptanz einer Autorin, eines Autors deutlich steigern, und zwar im eigenen Land; es kommt ja von draußen dann Botschaft: Seit sie → den Bookerpreis bekam, wird Jenny Erpenbeck auch hierzulande nicht mehr geschnitten.

Egal.
Was ich sagen wollte:

Die Israeli führten Krieg gegen Kinder, heißt es jetzt nicht nur → dort; gemeint ist Gaza. Haben die Alliierten, als sie Hitlerdeutschland bombardierten, auch einen Krieg gegen Kinder geführt? Kinder kamen auch da zu Tausenden um. In Kriegen kommen Kinder jedesmal um, Behinderte, Alte, es ist furchtbar. Nur: Kriege sind es selbst, furchtbar – immer und in jedem Fall. Und diesen hat nicht Israel begonnen, Israel wehrt sich – ist das Skandal? Israel will einen nächsten 7. Oktober verhindern, zumal er schon angekündigt wurde. Ja, die Hamas hat nicht „nur“ einen weiteren Massenmeuchelmord angekündigt. Es ist sogar die Pflicht einer Regierung, seine Bevölkerung vor so etwas zu schützen. Daß ihr ein Krimineller vorsteht, ist selbstverständlich ungut; doch jede und jeder andere, die oder der für das Wohl eines derart bedrohten Landes Verantwortung trägt, würde ebenso handeln. Die ultrarechten Fraktionen nutzen dies für ihre“Religion“ nur genannte, weil geradezu völkische Ideologie jetzt zwar schlimm aus, versuchen es jedenfalls; doch darüber ist erst zu rechten, wenn der Krieg gewonnen, die Bedrohung abgewendet ist. Dann ist es Zeit, sie anzuklagen, sie und endlich Netanjahu auch.
Bei allen Rufen nach und den internationalen Bemühungen um einen Waffenstillstand schon jetzt geht es, denke ich, nicht im entferntesten, wie uns Medien und studentische Jugendproteste weismachen wollen, gar nicht um das Wohl der Palästinenser. Das wäre erst dann in den Blick zu nehmen, wenn das palästinensische Volk sich gegen die Hamas, nämlich  dagegen wenden würde, daß sie die Bevölkerung als Schutzschild mißbraucht, Kliniken, Kindergärten, Schulen. Solange es hier keinen Widerstand gibt, sind es nicht die Israeli, die die Kinder töten, sondern es selbst, das palästinensische Volk, legt sie auf den Opferaltar und sieht ihrer Schlachtung noch zu – genauso, wie es, selbst mit deutschem Paß, nach dem Massaker des 7. Oktobers, dieses Massaker gefeiert hat. Sonnenalleen, wohin ich nur blicke.
Doch denke ich, daß es bei den internationalen Friedensbemühungen um diese Kinder, Alten, Behinderten in gar keiner Weise geht. Der erstrebte Waffenstillstand soll vielmehr dem Weltfrieden dienen, genauer: den dritten Weltkrieg verhüten. Den USA, vor allem aber Europa geht es darum, sich erst einmal selber zu schützen. Denn ein Großer Krieg in Nahost, etwa Israels gegen den Iran, nutzte, egal, wie er ausgeht, alleine Rußland, hinter ihm China und auch ein wenig Afrika. Wobei es in Rußland Widerstand gibt, anders als in Gaza, als auf der Westbank, und zwar einen, der sogar in den Tod geht, den eigenen, oder, wenn es „gut“geht, in Jahrzehnte der Zwangslagerhaft, inkl. Folter. Die M a s s e des Volks freilich schweigt auch da, und wer schweigt, macht sich schuldig. Nur daß dies der internationale Diplomatie ebenso egal ist; ihre Aufrufe zur Menschlichkeit sind taktische Waffen, die nicht das Wohlergehen des palästinensischen Volkes im Blick hat, sondern jeweils des eignen. Nämlich zurecht.

Das ist es, woran ich permanent kaue, mein Kopf kaut. Mit Emotionen kommen wir nicht weiter. Wir haben sie, wir alle, doch läuft uns das Blut in die Augen, sieht keiner von uns mehr scharf. Geschieht das, dann wird der Gegner gewinnen, und eine Welt wird sein, die niemand von uns wünscht: im Wortsinn beherrscht von der Scharia des islamischen Religionswahns und säkularen, womöglich faschistoiden Diktaturen. Wie die dann miteinander zurechtkommen werden, mal ich mir besser gar nicht erst aus.

           ANH, 11.50 Uhr

Manchmal schauert es mich, wie viel von alledem dort schon erzählt worden ist:

(Wie schrieb Hubert Winkels? → Futuristisches Tamtam.)




 

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