→ Dort:
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Für mich hat das mit dem grassierenden Kulturalismus zu tun. Die Kulturen holen sich jetzt ihre angestammte Macht zurück. Und das tun sie, indem sie gegen das Individuum zu Felde ziehen. Auf der einen Seite stehen also die Kollektiventscheidungen der Gremien, Ausschüsse und Parlamente, auf der anderen Humanismus, Individualismus und Universalismus, wie sie seit dem 14. Jahrhundert in den Künsten und in den Wissenschaften zu Hause sind.
Das müssen Sie genauer erklären. Sie machen hier einen klaren Unterschied zwischen Kultur und Kunst auf. Diese Kategorien scheinen für Sie sogar nicht nur nicht das Gleiche zu sein, sie scheinen sich geradezu gegenseitig zu bekämpfen.
Genau so ist es. Wir müssen uns da doch nur an die historischen Tatsachen zurückerinnern und dürfen nicht gleich alles Kunst nennen, was uns irgendwie – und zumeist in propagandistischer Absicht – zur Kunst erklärt wird. Es gab in der Geschichte der Menschheit hoch entwickelte Kulturen – in China oder in Afrika zum Beispiel –, die waren Europa weit überlegen, und die hatten dennoch keinen Begriff von Kunst. Kunst, das ist Malen und Geigen; Kultur, das ist Besteuerung, Verkehrsordnung, Müllabfuhr. Kultur hatten die Kreter, Perser, Chinesen und Römer. Kunst hingegen ist im 14. Jahrhundert in Europa als ein Ringen des Individuums gegen eben diese Kultur entstanden.
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