Also: „Hast du mal ein paper?“ — Dunckerstraße, kurz oberhalb des Helmholtzplatzes („Helmis“).
Der junge Mann, bei ihm ein Freund, beide deutlich Globetrotter (wird das Wort noch verwendet?) tritt auf mich zu, lächelt. Er ist selbstbewußt, kein Schnorrer. Das gefällt mir sehr gut, er gefällt mir gut.
„Tut mir leid, ich rauche nicht mehr.“
Ich weiß, Freundin, auch Ihnen ist das neu. Doch zur Begründung ziehe ich mein rechtes Hosenbein hoch. Der Globetrotter hatte, zur freundlichen Entschuldigung, beide Hände gehoben. „Oh, verstehe.“ Verstand aber erst, als er hinsah.
„Und ich weiß auch, warum“, sage ich. Eine weitere Erklärung ist nicht vonnöten. Auch gegenüber Ihnen, Freundin, nicht. Und obwohl die ganze Narbe, also der, sagen wir, „Verbandssteg“ (er reicht bis knapp unter die rechte Leiste) zu sehen gar nicht ist, sondern bloß dieser kleine Ausschnitt an der Wade, versteht der Globetrotter sofort – so, wie auch Sie verstanden haben werden, jetzt … verstanden auch, weshalb ich schwieg (nun gut, ich schweig‘ in letzter Zeit recht häufig) und womit ich in den letzten zwei Wochen meine Tage hab verbracht … und wo, das können Sie sich denken. Ich war → schon einmal hier. Nur daß es diesmal minimal-invasiv nicht ging.
Das überwiegend geradezu jugendliche Ärztinnen- und Ärzteteam hat mich in Ehrfurcht versetzt, einer staunenden, glückhaften aber. Denn welch eine Kunst! Sie haben mir eine quasi komplett neue Hauptarterie durch fast das ganze Bein gelegt (links die Bypass-Grafik KI-generiert). Der Stent von 2018 war verstopft, eventuell auch von Körpergewebe, das ihn einmanteln wollte, umwachsen worden, jedenfalls zu. Die junge Gefäßchirurgin, die mich so klug wie einfühlsam betreute, malte mir, dem Ultraschall folgend, ein Schnittmuster aufs Bein (und brachte mich, materialiter, auf eine Geschäftsidee; davon vielleicht mal später); doch während der OP entschied sich das Team, noch weiter oben anzusetzen. Ich selbst bekam davon nichts mit. Zwar hätte ich gerne, nur lokal anästhesiert, dem ganzen Vorgang zugeschaut, doch stieß das nicht auf Gegenliebe. Also schnitt man (und frau tat es auch) rund fünfeinhalb Stunden aus meiner erinnerten Lebenszeit raus. Ich wachte auf und hatte diesen Katheter im Schwanz, den ich diesmal allerdings postwendend loswurd‘, noch auf der ICS (Intermediate Care Station: eine Intensivstation „light“). So war ich diesmal gleich versöhnt. Ich blieb auch nicht lange dort, man brauchte den Platz, ich selbst war schon stabil. Kam auf die Normalstation und stand am Abend bereits auf. Gut, es wär geprahlt, jetzt schon von „gehen“ zu sprechen; ein bisserl rumgehumpelt bin ich.
Aber, aber, immerhin.
Nein, ich erzähl Ihnen jetzt nicht die komplette „Kranken“geschichte. Sie sollen bloß, liebste Freundin, ein wenig wieder im Bilde sein. Ich könnte Ihnen auch ein Foto des gesamten Schnittes einstellen, laß es aber bleiben. Einige haben, als sie es sahen, ziemlich gezuckt; da hingen aber auch die Drainagen noch raus. Wer’s also sehen möchte, sage Bescheid.
Ihr ANH
[Arbeitswohnung, 20.52 Uhr]
P.S.:
„Tut mir leid, ich rauche nicht mehr.“ — Nun jà, knapp fünf Wochen vorher eine Lungenentzündung, spontan von nachts auf spätnachts, hochgekeucht im Schlaf. Das war schon, empfand ich, die Warnung und nutzte die fünf Antibiotikatage, an denen ich nur lag (ich habe eh nie rauchen mögen im Bett, selbst in den süchtigsten Zeiten nicht). Das Schlimmste war da vorbei, ich schwieg aber noch, wartete weitere fünf Tage, wie nimmt man den Latte macchiato, morgens, ohne zu rauchen? Echt ein Problem. (Das eigentliche ist ein anderes).
Funktionierte.
Nach zehn Tagen machte ich’s offiziell. Von nun an war mein Stolz gefordert. Der ist fast immer Garantie.
Das eigentliche Problem: Sämtliche Inspiration ist weg, also der künstlerische Wille. Hatte ich schon m a l. Genau deshalb habe ich irgendwann nach der Krebs-OP zu rauchen wieder angefangen. Hat auch funktioniert. Einen großen Roman habe ich da → weiter- und zuendeschreiben können,
viele Gedichte, Erzählungen auch. Aber es ist eine Psychofalle, eine, die ich mir selbst gebaut hab. Die muß ich jetzt austricksen. (Es geht nur mit Gelassenheit. Werde ich nervös, etwa des PrenzlauerBerg-Buches wegen, das im September abzugeben ist, gucke ich auf den Meter meiner bisherigen Bücher und denke mir: Gut, eigentlich ist’s ja mehr als genug, den Abdruck hat mein Fuß schon hinterlassen. Ist wirklich noch m e h r nötig? Und zucke mit den Schultern.
Seltsam, Freundin, seltsam, seltsam. Aber Julian Theilen hat → heute in der NZZ sehr klug zu diesem Nexus geschrieben.)