Arbeitsjournal. Freitag, der 12. Januar 2006. Und Luc Besson mit Angela.

4.53 Uhr:
[Berlin. Küchentisch.]
Als ich die Geliebte, die dringend schlafen mußte, verließ, besorgte ich mir als DVD >>>> „Angela“ von Luc Besson und sah mir den Film an. Gut, daß ich >>>> die Kritiken erst hinterher las. Man spürt aus ihnen fast rundweg die Kleinbürger heraus, die dem Regisseur neiden, was er liebt und, wohl besonders, daß es sich ihm offenbar zubeugt. (Überhaupt ist auffällig, wie oft die kleinbürgerliche Disposition gerade unter Intellektuellen durchschlägt. Sie verstellen sich in aller Regel nur gut, verfügen über die Techniken, sich zu verstellen.) Mir fiel eben ein Aphorismus dazu ein, mitten auf der Leiter vom Hochbett hinab; aber er ‚steht‘ noch nicht, deshalb kommt er h i e r hin und nicht in die >>>> Paralipomena, zu denen er später einmal gehören wird.

Kitsch, wenn man ihn lebt, ist anspruchsvoll. Deshalb lehnen die Intellektuellen ihn ab. Anders als das einfache Herz wissen sie, was er verlangt, und wollen das nicht zahlen.Man muß das noch genauer – zugespitzer – formulieren, also daß gerade in Liebesdingen diejenigen vom Kitsch begeistert sind, die ihn sowieso nur zu sehen und zu lesen bekommen, nämlich über ihn a l s Gelesenes (Gesehenes/Gehörtes); das ist der sogenannte ‚einfache‘ Mensch. Der komplexe hingegen scheut ihn – und wirft ihn Künstlern dann vor -, weil er sehr wohl weiß, was gegebenenfalls auf ihn zukäme. Deshalb ist die intellektuelle Ablehnung von Kitsch meistens A b w e h r. Sie will die Autonomie des Subjekts, nämlich des eigenen Ichs, bewahren. Etwas davon findet sich auch in >>>> dieser Einlassung. Und >>>> dort.
Jedenfalls muß das alles in die zwei Sätze rein, o h n e die Erklärung, die ich Ihnen eben gab, und die ich mir selbst gab. Um klarzusehen.

Es geht nur langsam voran mit der ARGO-Korrektur, zu vieles wird jetzt genau gefaßt und ins Gefüge eingestrichen; ich arbeite mich um Satzrevision für Satzrevision voran. Ob ich bis Sonntag die nun noch ausstehenden 43 Seiten (bis EF TS 640) schaffe, damit wenigstens die drei ersten Teile ARGO erstkorrigiert beim Döblinpreis eingereicht werden können, ist deshalb ungewiß. Ich tu zwar, was ich kann; doch hab ich meine Familie zu tragen und w i l l das auch; die neue Situation bindet mich enorm ein. Selbst zwei Hörstück-CDs, die eine Leserin bei mir bestellt hat, schick ich erst heut, mit Verzug, raus.
Um sieben muß ich hier weg, um den Jungen abzuholen und zur Schule zu bringen; dann sind wegen des Buchprozesses Unterlagen in der Arbeitswohnung zu suchen; ‚zwischendurch‘ will ich ins Krankenhaus, um zu sehen und mitzuversorgen. Und nachmittags hab ich den Jungen wieder. Eigentlich müßte ich mich durchexerzieren, auch gegen meine Unfähigkeit anzugehen, abends zu arbeiten. Daß ich eh täglich nur vier bis fünf Stunden schlafe, reicht nicht.

12 thoughts on “Arbeitsjournal. Freitag, der 12. Januar 2006. Und Luc Besson mit Angela.

  1. KITSCH als Thema… scheint irgenwie in der >>‚Luft‘ zu liegen…

    Das ist, denke ich hier auf die Schnelle, auch ein Wahrnehmungsproblem…Das Reale sieht sich vom Kitsch infiziert, ob das jetzt die ‚Grabpflege‘ einer liebenden Hinterbliebenen ist, oder der soundsovielte Bombenanschlag im Irgendwo…
    Abwehr ist da sicherlich ein Muster…

    1. Kontext Das Zitat von Hermann Broch auf Ihrer Website. Hat Broch dies SO gemeint, wie das Zitat da so lose mit drei Pünktchen für die Auslassung in der Mitte dasteht, oder ist es eher zynisch, ironisch, oder sonstwie zu deuten? Das Problem mit den Zitaten ist, dass meist der KONtext, aus dem dieses Zitat entnommen wurde, fehlt.

    2. Den wenig philologischen… Umgang mit dem Zitat monieren Sie zu Recht. Soviel, es stammt aus:
      ‚Das Böse im Wertsystem der Kunst. (1933); Zum Problem des Kitsches. In: Die Idee ist ewig. Essays und Briefe. (1968)
      Ich besitze das Buch leider nicht mehr, um den Kontext zu benennen…Aus der Erinnerung heraus aber ist eben der Kontext zeitgenössisch, d. h. Broch hat auch und mit die ‚Scheinkunst‘ der Nazis im Sinn gehabt. Das mag die Emotionalität des Zitats begründen helfen…

    1. Kitschproduktion… Mir ist dieses Broch-Zitat in der Erinnerung geblieben, als etwas, was mich in seiner Rigidität durchaus verunsichert hat…
      Diese Verunsicherung betrifft das Gefühlsleben…Zeit meines Lebens bin ich für ‚Sentimentales‘ empfänglich, oft über Gebühr und ebenso oft einhergehend mit einem ’schlechten Gewissen’…
      Das Thema ist für mich insofern durchaus ‚existentiell‘ und nicht funktional…
      Auf die Gefahren eines ‚Diskurs-Kitsches‘ hat Herr Schneck mich ja bereits hingewiesen und ich glaube, in Ihrem Kommentar eben diese Warnung ausführlicher zu hören….Aber glauben Sie mir, Herr Raminer:
      Vom Anprangern bin ich (s.o.) gerade bei diesem Thema weit enfernt.
      Der Zwerg, der mich vertritt, ist dafür sicher ein Zeichen.
      Auch jener Kitsch, den Broch so vehement perhorresziert, gehört zu meinem emotionalen Wahrnehmungsapparat…
      Wäre es nicht eher pervers, aus Furcht vor dem ‚Diskurs-Kitsch,
      darüber nicht zu sprechen?

    2. kitsch hat ja im grunde mit emotionen überhaupt nichts zu tun: kitsch ist eine etikette, mehr nicht.
      meist wird sie rigoros abwertend eingesetzt, und zumeist auf eine sehr unreflektierte art und weise, quasi jeglichem diskurse ausweichend, in der art von „da es ja kitsch ist (auch wenn der betreffende so gut wie nie eingrenzen kann, was er damit meint) beleidigt ja schon der gedankliche ansatz, mich damit zu konfrontieren“.
      mich erinnert die „kitsch-karte“ bei kunstbesprechungen immer an die autoritätsschwachen lehrer, die bei manchen beurteilungsentscheidungen den eigenen geschmack ungebührlich und unbegründbar herangezogen haben, etwa in der bildenden kunst, aber auch im deutschunterricht, abteilung: „du hast das thema verfehlt“.

      es wäre natürlich pervers, über kitsch nicht zu sprechen; denn furcht ist ihm gegenüber keine am platze: da ist nichts bedrohliches. etiketten bedrohen nicht.
      da aber der begriff so schwammig ist, fällt es mir schwer, ihn ernst zu nehmen (und auch diejenigen, die ihn in ernstem kontext einsetzen (ich erlebte das einmal bei einem germanistenprofessor als fulminantes eigentor)).

  2. Ist Neid… …auf „Kleinbürger“ beschränkt? Ich dachte, Neid sei in der menschlichen Natur verankert, in je individueller Ausprägung. Und ein intellektueller Kleinbürger (oder kleinbürgerlicher Intellektueller) ist dann einer, der seinen Neid in so viele hübsche Worte verpacken kann, dass es nur bei sehr genauem Hinsehen als Neid erkennbar ist? Und ein „echter“ Intellektueller verspürt also niemals Neid?

    1. @ a. Neid. In meiner morgendlichen Überlegung steht nur „die Kleinbürger heraus, die dem Regisseur neiden, was er liebt „, nicht, daß nicht auch andere neiden könnten. Der hier gemeinte Kleinbürgerneid ist eigentlich ein anderer: ein tragischer. Er weiß, daß er, w a s er beneidet, prinzipiell nicht bekommen wird. Die Trauer darüber wird auf eine Aggression gegen den Bevorteilten verschoben.
      Mein spezielles Beispiel bezog sich auf eine Schönheit vom Range der >>>> Rasmussen.

    2. Kleinbürger Das scheint zu stimmen, mit den Kleinbürgern. Mir viel in meiner beruflichen Praxis, in der ich in Jahren zahllose Wohnungen von Bürgern besichtigen durfte, auf, dass hin und wieder auch – ähem – Großbürger in ihren Wohnhöhlen Gegenstände angehortet hatten, die man dem landläufigen Begriff des Kitschs zuordnen konnte. Der Begriff Kitsch bedarf in einer Kulturkritik natürlich einer deutlichen Begründung – sonst bleibt es nur ein Schlagwort, das ist klar.
      Da fällt mir das japanische Kaufhaus in Düsseldorf ein, wo man zahllose Räuchermännchen erwerben kann. Wenn das in Deutschland Kitsch ist (vermutlich), was ist es dann für die Japaner, die diese Püppchen offensichtlich heiß begehren? Was des einen Kitsch…

    3. Kitsch’n Kunst Kleinbürger – Grossbürger. Bürger! Bitte betonen wir stakkatös und zeigen mit dem Finger drauf, bevor wir uns verhusten. Der Kitsch des Künstlers wird immer der bessere Kitsch sein, denn der hat ihn gemacht.

Schreiben Sie einen Kommentar

Ihre E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahren Sie mehr darüber, wie Ihre Kommentardaten verarbeitet werden .