B.L.’s 14.11. – Stolz und Vorurteil

17.34
Seit ich heute morgen die Kommentare zu Paul Reichenbachs TB-Eintrag von gestern las mit der Zerstörung der Fotografie, geht mir der Satz hinter dem Asterisk in einem der Kommentare nicht aus dem Kopf: „Bruno Lampe wünsche ich ein bisschen mehr Stolz, vielleicht würde seine Frau sich dann ein bisschen zügeln in ihren ihn abwertenden Äußerungen.“ Heute morgen habe ich in Ruhe darauf eingehen können, denn das impliziert wieder ein ganzes Gebäude aus Verschachtelungen, die aufzudröseln ich nun seit über einem Jahr wieder mal therapeutisch bei einem Psychologen versuche, bei dem ich heute wieder war, drum auch die wenige Zeit. Ich weiß nicht, ob ich je diesen Stolz werde vorweisen können, und zwar als solchen. Und gelingt es mir mal, stolz aufzutreten, dann erreiche ich damit auch nicht viel, höchstens sehe ich dann, wie sie plötzlich stille wird. Aber was bringt mir das? Eher schon ist etwas zu verankern, daß man vielleicht Eigenliebe nennen sollte. Die aber so auf sich zurückgeworfen und ohne Gegengewicht auf der anderen Seite auch wieder leicht ins Wanken gerät. Ich versuchte mir heute morgen diesen Mangel an Stolz und Eigenliebe durch meine mißglückte Sozialisation von klein auf zu erklären. Und sicher steckt einiges darin. Überrascht hat mich allerdings eine Bemerkung des Psychologen heute: Er hätte mich gerne filmen und meine Stimme registrieren wollen. Er hatte meine Körperhaltung beobachtet, einmal als ich von der bevorstehenden Reise erzählte (ich werde ab Samstag zwei Wochen in B. sein und das Tagebuch in dieser Zeit Paul Reichenbach überlassen), zum anderen, als ich wieder anfing, von meiner Frau zu erzählen. In Bezug auf die Reise sah er mich mit erhobenem Kopfe und klarer, deutlicher Stimme, im anderen Fall senkte sich unbewußt alles, der Kopf und auch die Stimme.
Tagebuch: Wenn es schon den Alltag beschreiben soll, dann muß man damit rechnen, sich auch oft zu wiederholen. Der Alltag ist ein langsamer Prozeß, er ist keine Erzählung von 365 Seiten, sondern eine 365 Tage lange Erzählung. Und das ist ein fundamentaler Unterschied. Wichtig erscheint mir hier, dennoch diese vielfach sich wiederholenden Facetten festzuhalten. Sicher, in einer Erzählung läßt man sich ein paar Lamentationen gefallen. Eine einzige große Lamentation wäre auch mir nicht behaglich. Es sei denn, ich wollte tatsächlich das Buch Jeremiah lesen. Ich weiß aber um diese Falle des Lamentierens. Habe aber schon an anderer Stelle gesagt, daß ein Tagebuch diese Falle stellt, und ich mir dessen bewußt bin.
Ein anderes Thema der Kommentare betraf den Bereich des Matriarchalen und Patriarchalen. Ich bin mittlerweile der Meinung, daß ihre Wahl damals auf mich fiel, weil ich das Gegenteil ihres streng partriarchalen Vaters war (ich selbst habe ihn gehaßt: er kommandierte und beleidigte seine Frau den lieben langen Tag lang), andererseits ahmt sie in ihren Haltungen diesen Vater nach, d.h. es muß immer alles in Ordnung sein (der Vater war beim Militär), alles muß mit unglaublicher Vorhersicht vorhergeplant werden, was alles gegen meine Last-Minute-Mentalität geht (ergo ich immer der zu späte, der nicht mal denkt und sich keine Sorgen macht), andererseits die Verehrung für die geduldige Mutter, die all das zu ertragen sich katholisch auferlegte. Das spielt dann wieder in ihre Opferhaltungen und Schuldfragen. Übrigens haben zwei ihrer Schwestern ähnliche Gegenfiguren zum Vater gewählt, oder vielmehr hatten: eine ist schon lange geschieden, die andere noch länger (nach der Scheidung starb er dann sogar). Die dritte Schwester hat sich nie entschieden, höchstens dann für einen, der zwar als Vater der Zwillinge gut war, aber nicht als Mann, mit dem sie zusammenleben wollte. Dasselbe galt für ihn. Dann kommen wieder Situationen, in denen sie mich als die böse Vaterfigur sieht und entsprechend aggressiv reagiert. Als Mädchen habe sie einmal monatelang nicht ein einziges Wort an ihren Vater gerichtet.
Ich selbst fühle mich gehandicapt: Ganz sicher habe ich mich in eine Mutter-Sohn-Rolle hineinbugsieren lassen, bzw. ich habe mich nicht genug dagegen gewehrt. Und ich komme mir auch jetzt vor, wie jemand, der endlich das Haus verlassen will, um auf eigenen Beinen zu stehen. Mein Vater war eigentlich ein Schwächling. Suchte schon früh Zuflucht im Alkohol. Starb auch mit 51 an der kaputten Leber. Meine Mutter verlor ich, als ich 19 war, was auch einiges erklären mag. Eine mir mittlerweile sehr blasse Figur, die eher schon dem Privatmythos angehören, als einer realen Erinnerung. Was mir leid tut. Und auch wieder nicht.
Es ist alles kompliziert. Ich sagte es schon gestern, bevor noch Paul Reichenbach es ebenfalls in einem seiner Kommentare betonte. Es geht immerhin um Beziehungen, die nicht erst seit Jahren bestehen, sondern seit Jahrzehnten (25 Jahre sind’s in meinem Fall seit dem Kennenlernen). Auf diese Weise ist man miteinander versponnen auf vielerlei Weise, und um so schwieriger wird’s, das alles wieder aufzudröseln.

3 thoughts on “B.L.’s 14.11. – Stolz und Vorurteil

  1. Danke… jetzt versteh’ ich einiges. Es ist zwar mein subjektives Verständnis für Ihre Situation, aber ich lese jetzt anders bei Ihnen.

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