S i e, nicht die Staaten, zu akzeptieren: darauf lautet die Forderung. Staaten sind, nicht anders Gemeinden, Verwaltungseinheiten und haben keine andere Rechtfertigung als eine der Praktikabilität. Es sind Ordnungskategorien, also funktionaler Natur, und nicht Kategorien der Seele. Sie für solche zu nehmen, bedeutet, Krieg zu wollen. Wo auch immer der National„gedanke“ noch wirkt.
Anders als Nationalgrenzen überlagern Kulturräume sich, sie tendieren weitflächig zur Unschärfe und diffundieren zunehmend weiter. Wie Identitäten. Kein festes Haus ist.
(CCCCXIV).
Das mag so richtig sein, dass es schon wieder Banalitätscharakter bekommt. Indes gibt es eine Kraft des staatlichen Faktums, die auch für Durchseher existentiell werden kann. Auch banal, zugegeben.
Eine andere Sichtweise: Staaten, die qua Over“head“ (gute Idee: Könige) Identität stiften. Hier keine individuelle, sondern ein rein kollektive. Letztlich geht es doch darum, Individuen davon abzuhalten, allzuviel Scheiße zu bauen im Miteinander.
Für die nächsten tausend Jahre (geschätzt) werden dazu Krücken nötig sein. Solange „Kunst“ und „Kultur“ für weite Kreise unserer geliebten Mitmenschen starke Nähe zu Schimpfwörtern wie „Subventionen“ haben, ist ein Identifikationsmodell „Kultur“ eine schöne Illusion, fast pubertär. Aber etwas zum Festhalten angesichts des großen Nichts.
Die Idee des nicht-festen Hauses (Caravan, Zelt, Wolkenzelt) ist schön.
Es gibt keine andere Identität als Kultur für viele Menschen. J e d e andere ist mörderisch. Jede. Und zwar mutwillig. Die der Nation allen voran. Besser „pubertär“ als ein Mörder.
nicht festes haus… nomaden… beduinen… die mit dem lineal gezogenen grenzen in afrika und vorderasien (irak), allen kulturkreisen zum trotz. einem ingenieur ist es egal, wer seine maschine bedienen wird. (wobei mir plötzlich mit dem begriff zelt und wolkenzelt eine unerträgliche romantik anschwemmt).
Dem Beduinen war es ja auch egal, wer wo welche Grenze projizierte, so meinten wir Entwickelten in unserem unheilvollen Kulturromantizismus, bis uns spätestens Dafour eines besseren belehrte.
@ANH: leider ist „Kultur“ halt sehr kulturell und unterschiedlich… Auch Josef Goebbels vertrat seine Kultur. Der Kulturbegriff taugt ja nicht mal zur Unterscheidung vom Tiere. Verstehen Sie nicht falsch: es geht mir nicht um den gelebten Pragmatismus, sondern um die Zustandsbeschreibung. Dass ich persönlich lieben in einem Utopia William Morris‘ lebte, ist davon unbenommen.
@ Grau: Goebbels vertrat nicht „seine“ Kultur. Sondern einen Aspekt deutscher (Un-)Kultur, der eine (kleine) Schnittmenge auch anderer Kultur-Mentalitäten, aber in einem Übergeordneten beinhaltet ist, das sich sehr wohl, aber eben nicht scharf, fassen läßt. Insoweit gab es durchaus etwa deutsche Kultur in Prag, die sich von tschechischer tatsächlich unterschied, aber an ihren Grenzen, die sehr weit waren, auf tschechische gelegt war. Auch Kant war ganz gewiß niemals Pole, so wenig wie all die in Paris lebenden russischen Emiganten Franzosen waren – oder wie Cortázar, der in Paris zuhause war, kulturell immer Südamerikaner blieb. Letztlich ist Kultur das einzige, was Zusammengehörigkeiten beschreibt.
Um zu begreifen, was gemeint sei, hilft es stets, den Blick eines Ausländers aufzusetzen: In Japan ist sehr genau erfaßt, was unter „deutscher Kultur“ verstanden werden kann, ebenso wie auch wir japanische, jedenfalls fernöstliche Kultur nahezu auf den ersten Blick erkennen. Gehen wir freilich nahe heran, diffundiert das Bild – ein Characteristicum nahezu aller, sagen wir, Wesenheiten.
Einwand Wer von Nationalgedanken spricht und im gleichen Atemzug von Krieg, dagegen den Kulturraum setzt, muss auch von Kulturbewusstsein sprechen. Der gegenwärtige Terrorismus rekrutiert seine Täter nicht unter den Staatsbürgern e i n e r Nation. Ebenso explosiv und gefährlich ist, denke ich, wenn das Bewusstsein für die eigene Kultur (die ja immer ein Vieles, Differenziertes, Widersprüchliches ist) fehlt. Dann sucht man Zuflucht in einem Nationalgedanken oder in einer Religion, die einem die gesuchten, benötigten Identifikationsmöglichkeiten bietet. Von Nationalgedanke zu sprechen scheint mir in diesem Zusammenhang zu eng gefasst. Es sei denn, Kirche oder Religionsangehörigkeit wird auch als Staatsbürgerschaft gesehen. Auch hier geht es um eine Zusammenrottung gegen das Andere.
Sie irren, Hediger. Der gegenwärtige – Sie meinen den islamistischen – Terror organisiert sich e b e n aus einem Kulturraum, der von hegemonialen (Wirtschafts)Interessen anderer N a t i o n e n existentiell bedroht ist. Wahrscheinlich ist eine andere Form des Widerstandes überhaupt nicht möglich, weil etwa demokratische Formen gerade b e d e u t e n würden, die Basis der eigenen Kultur zu verlassen – sie also zu verraten.
Das mag ein Aspekt sein (was Sie über demokratische Formen sagen – das sehe ich ähnlich), dennoch ist es auffällig, dass der islamistische Terrorismus sich einer pauschalen, religiösen Rechtfertigung bedient, die der kulturellen Vielfalt des Kulturraums, von dem Sie sprechen, keinerlei Rechnung trägt – sie gewaltsam geradezu leugnet und verrät.
Präzisierung: Was ich sagen will: Fundamentalismus schafft immer radikale Oppositionen. Egal ob christlicher oder islamistischer Fundamentalismus. Wer sich in fundamentalistische Strukturen hineinbegibt, s u c h t den Widerstand. Aus diesem schafft er sich seine Identität. Eine Welt, die nicht länger in die Achse Gut vs. Böse aufgeteilt werden kann (z.B. weil sich die ganze Welt zum „richtigen“ Glauben bekehrt hat) ist den Fundis eine Horrorvorstellung.