Was ist die Schönheit? Bedroht sie uns nicht, ist sie leer, reine Fläche,
Hat sie Geheimnis indes, erfüllt es lockend nicht sie nur,
Uns erfüllt’s auch und f ü l l t uns, die wir’s so sehnend begehren,
s e h e n d begehren. Nicht ablassen können wir mit den Augen,
fahrn ihr Dir dahin über Ohren und Brüste, im Schoß ihr Dir versenkend
ahnungsvoll witternd die Blicke. Gierig zugleich wie beschwörend,
beten allein ihren Deinen Fuß wir an, jeder einzelnen Zehe
Nagel, den Perllack, der Perlmutter schimmernde Mutter.
Sie hebt Du hebst den herrlichen Kopf. Ihre Deine Kehle entblößend, lockt sie lockst Du,
f o r d e r s t das Raubtier in uns, sie Dich zu reißen, aber verhöhnst uns,
da wir’s nicht können, sondern versagen – weil wir wissen,
s i e Du beißt zurück, hast die stärkeren, schärferen Zähne und nutzt sie.
Wirkliche Schönheit kennt nicht Moral und nicht schützende Hemmung:
Wer erreicht mich? ruft sie statt dessen, wer sieht mich und wagt mich?
(Immer noch fährt unsre Zunge feucht ihren Deinen gliedrigen Nacken,
fährt entlang ihr Dir des seitlich gebogenen Halses Sehnen,
immer noch beißen wir nicht – ach unsre schändliche Feigheit!
Was für Produkte wir sind! Unzugegeben, die Träume
klebrig zwischen Backe und Backe heimlich verkneifend!
Wie wenig Ich! Dauernd um Zeugen besorgt und um Ansehn!)
Immer noch steht ihr Dein fordernder Blick im Raum, doch erlischt ihr Dir
voll einer Melancholie, die bitter und milde verachtet.
Jede Schönheit ist traurig darum, auch Anahits Schönheit,
deine. Du leckst am Geschmack einer kleinen währenden Blutung,
sichtbar nicht uns, aber schmerzhaft Dir auf der Lippe, Geliebte,
von einem Biß des bleibenden Tiers, das w i r ahnend scheuen.
Das wir zugleich in Deiner Schönheit verehren und brauchen,
ohne ihn, diesen Schmerz, noch selber spüren zu wollen
Deshalb sperrt Unantastbarkeit Dich so ein und quält Dich –
nicht, weil Du leer wärst! Sondern weil Du etwas geschaut hast,
Das Dein Körper b a n n t in seiner perfekten Gestaltung
Und in sich h ä l t: Das wütet in Dir. Du aber lächelst,
arrogant aus Vollendung, so lockend um Wollust wie leidend.
Michael Serres – Schönheit. Aus: Über Malerei. Vermeer – La Tour – Turner Dank Prunier erinnerte ich mich endlich an M. Serres Sätze:
“Noch niemals hat jemand Schönheit erreicht oder hervorgebracht, wenn er sie um ihrer selbst willen wollte.Denn sie ist das Überschießende, das sich fast wie von selbst aus der Spannung hin zu etwas anderem ergibt. Ein unerwarteter Lohn, der sich hinterrücks einstellt. Reine Modalität, Adverb einer Arbeit, eines Prozesses, eines Weges……………Es ist kein Beruf und auch kein Talent, Schönes zu machen oder Schönes zu sagen; man macht es, und fertig. Das unmittelbar Ästhetische hat kein Objekt, es ist eine modale Ergänzung, Ad-verb der Adverbien; wer sich zum Ästheten oder zum Rhetoriker macht, der sagt ihm auf immer Lebewohl. Schänden, was einen nicht lieben kann.”
“Was ist die Schönheit? Bedroht sie uns nicht, ist sie leer, reine Fläche,
Hat sie Geheimnis indes, erfüllt es lockend nicht sie nur,
Uns erfüllt’s auch und f ü l l t uns, die wir’s so sehnend begehren,
s e h e n d begehren.”
Dieser Anfang, seine Fragestellung brachte mich in Serres Nähe und unerwarteter Lohn stellte sich für mich im Nachsprechen der Elegie ein.