Ich könnte diese Erzählung aus dem Character des Weblogs herausschreiben: immer wieder nur einzelne unverbundene Passagen, die ganz bewußt darauf verzichten, einen steuernden Zusammenhang herzustellen, die einander vielleicht sogar widersprechen, sei’s in der Handlungsfolge, sei’s in den Zuschreibungen. Sondern Episoden aus Melissas Leben, wie sie mir jeweils an den Tagen einfallen, da ich das Gefühl habe, es müsse ein neues Fragment formuliert werden. Tatsächlich geht mir Melissa immer mal wieder aus dem Kopf, aber taucht unversehens drin neuerlich auf. Wie eben jetzt. Da ich mich erinnere, daß sie einen Abscheu geradezu gegen die Schrift entwickelte oder vielleicht immer schon hatte. Es wäre aufschlußreich, mir ihre alten Schulhefte anzusehen; vielleicht sind ja noch welche da. „Warum schreibst du so viel?“ fragte sie mich vor drei Jahren. „Du stellst damit doch alles fest, fixierst es. Wozu soll das gut sein? Es nimmt dem Leben die Wandlung.“ Deshalb verkaufte sie ihre Bilder auch immer nur unter Eigentumsvorbehalt; das wurde vertraglich geregelt, selbst bei kleinen Blättern. Und sie nahm das Eigentumsrecht wahr, erschien bisweilen bei den Sammlern, hatte Farbe dabei, veränderte die Bilder wieder. Einmal zerschnitt sie eines: zog ein Küchenmesser und zog es dreiviermal durch Leinwand und Öl. In Fetzen blieb das Bild im Rahmen zurück. Das Bild zeigte ein Liebespaar: der Mann berührte die ungefähr gleichgroße Frau mit der Rechten an der Hüfte; so standen sie voreinander und sahen einander je über die Schulter hinweg. „Es ist noch immer nicht fertig“, soll sie gesagt haben, als sie ging. „Lassen Sie es so hängen.“
Das tat der Sammler nicht. Ich erinnere mich, daß er Oliver Senftmut hieß, weil sich an den Vorfall ein Prozeß anschloß, den freilich Melissa wegen der eindeutigen Vertragslage gewann. Senftmut schickte uns das zerstörte Bild zurück. „Dieser Idiot!“ rief Melissa aus, sie glühte vor Wut. „Jetzt ist alles dahin, jetzt ist das Bild wirklich nichts mehr wert!“ Und warf es auf den Müll.