Nun doch mal ein Wort zur Zeit. Fußball-Weltmeisterschaft 2006.

Daß im Augenblick alles in einem solchen Fußballwahn schäumt, zusammen mit Nationalhymnen-Gesinge und einer schon peinlichen und politisch unangenehmen Deutschlandfahnerei, möchte ich lieber als etwas Vorübergehendes begreifen, das den Gesetzen der Massenpsychologie gehorcht – von dem ganzen ungeheuren Merchandising-Markt und der Mediendiktatur einmal abgesehen. Wir hätten wieder einen positiven Patriotismus, hat DIE WELT heute getitelt. Das find ich deutlich genug.

[In Polen wurden die rückkehrenden Verlierer angespuckt. Hier bin ich ganz offensichtlich einer Fehlinformation aufgesessen, die sich allerdings noch verwirklichen könnte.]

12 thoughts on “Nun doch mal ein Wort zur Zeit. Fußball-Weltmeisterschaft 2006.

  1. gut, daß ich keine zeitung lese: hatte mir während des spiels deutschland-polen notiert: die kamera-aufnahmen der deutschland-fans: zeigen : wie sehr : es darauf ankommt : polen zu erobern : hübsch auf jeden fall : der titel der “Welt”… gestern stellte ich mir vor, wie condoleeza rice und massimo d’alema gemeinsam vorm fernseher sitzen : und sich : wie die fußballer : gegenseitig ins schienbein treten : USA-Italien : 1:1

  2. Mich erinnert dieser ganze Vermarktungsrummel samt seinem eigentümlichen “Patriotismus”-Geschwafel doch bisweilen arg an Riefenstahl 1936….

    1. bezeichenderweise kann man ungefähr einen alters oder generationenunterschied feststellen,wenn es darum geht wie deutschlandflaggen gewertet werden …und wichtig ist doch aus welchem grund diese fahnen geschwenkt werden.,es scheint weltweit egal in welchem land dieses bedürfnis zu bestehen und deshalb ist das doch nicht unbedingt gleich immer mit unserem kollektivtrauma des nationalsozialismus zu bewerten..bei mir kommen auch diese gefühle auf,dennoch bin ich froh,dass nachfolgende generationen sich diese opferhaltung der deutschen aus den letzten jahrzehnten nicht mehr auf die brust schreiben,denn gerade die versteht im ausland wirklich niemand und macht uns so deutsch…

    2. Es war eine C h a n c e, daß Deutschland keine Fahnen mehr schwenkte. Und den Grund dafür immer unter der Haut behalten hat. Daß dieses Bewußtsein, es sei a n s i c h etwas falsch am Nationalismus oder auch nur an dem Glauben an eine Nation, nunmehr schwindet, kann ich nicht als Fortschritt sehen, sondern werte es als Regreß. Die Fahnenschwenkerei etwa in den USA, die Menschenrechtsverbrechen genug begangen haben, ist nicht besser, auch nicht die in Frankreich. Es wäre die Verpflichtung und vielleicht ein eigentlicher Patriotismus Deutschlands, da eben nicht mehr mitzumachen. In der Tat geht aber Geschichtsbewußtsein verloren. Neulich sprach ich mit ein paar Studenten. Keiner von denen wußte, daß Wernher von Braun ein Menschenrechtsverbrecher war, der seinen Persilschein bekam und später den internationalen Ruhm allein deshalb genießen durfte, weil sein wissenschaftlicher Geist gegen seine Verbrechen aufgerechnet wurde. Das mag an sich noch angehen, nicht aber, daß man es vergißt.

    3. ein sehr komplexes feld… ..interessanterweise kann man feststellen,dass je mehr globalisierung auf die menschen in aller welt zurollt ,umso mehr besinnen sie sich auf ihre kultur,ihre nationen und alles ,was damit einher geht..es scheint das bedürfnis nach nationaler identität und heimat zu bestehen und auch wenn es einzelne nicht haben,scheint der gedanke der auflösung eher ein besonders starkes festhalten an teils auch merkwürdigen werten zu verursachen..deutschland ist sicher besonders in diesem fall,denn es ist verpönt so etwas zu äussern…das ist anscheinend im aufbruch,denn sonst wären diese diskussionen über positiven patriotismus weiterhin ein tabu…vor 20 jahren noch völlig undenkbar..
      dennoch halte ich das nichtausleben ,natürlich in balancierter form ,eben auf dauer auch für umso gefährlicher,denn genau das könnte eines tages dann wieder schlimmes hervorbringen..
      interessant ist es auch in bezug auf unsere multikulti-gesellschaft und die eingliederung der einwanderer…der gedanke,dass man sich nicht eingliedern kann in ein land, auf das kein deutscher stolz ist(geäussert von einem türkischem mitbürger)ist vielleicht ein punkt?dennoch nett finde ich zu sehen,dass die hier lebenden türken häufig deutschlandfahnen hängen haben(was dann aber eben auch zeigt ,so politisch ist das doch nicht),da die türkei ja nicht dabei ist…
      wichtig und da stimme ich ihnen zu,ist das wissen um die vergangenheit …
      im übrigen habe ich mich gestern zum deutschlandspiel auch in die öffentlichkeit begeben,zwischen junge menschen und als die nationalhymne gespielt wurde,fiel mir ein älterer herr auf,der voller inbrunst die nationalhymne mit erhobenem arm sang…also da wurde mir wirklich schlecht!!!…aber keiner von den jungen und das hat mich gefreut!insofern ist der fussball vielleicht ein gesunder katalysator,denn solange die menschen dort ihre nationalen bedürfnisse ausleben,besteht vielleicht nicht so viel bedürfnis das politisch weiterzutreiben?

    4. @ china-blue. Ich verstehe Ihre Argumentation. Aber Nationalismus ist doch kein Natur-Bedürfnis! Er ist völlig unwichtig fürs Überleben. Und um kulturelle Identität geht’s doch schon mal g a r nicht. Oder glauben Sie im Ernst, auch nur ein Drittel der “Deutschen” hätte außer in der Schule je Goethe gelesen, von Kleist und Jahnn mal zu schweigen? Und die Musik! Was hören die alle denn? Tatsächlich Händel, Beethoven, Stockhausen, Rihm? Hörn Sie mir auf. Dieser Nationalismus ist g e m a c h t und politisch gewollt.Es geht hier um M a r k t und um Oligarchie.
      Ja, ein Bedürfnis nach Heimat kann ich, obwohl ich’s selber nicht habe, nachvollziehen. Aber Heimat ist an Landschaft gebunden, an eine Küste, eine Ebene, ein Mittelgebirge und, wichtig, an einen Dialekt, also an Sprache. MUTTERsprache: das ist geradezu das Gegenteil von PATRiotsmus. Außerdem ist’s an Freunde gebunden, an Lieben. Was in den Stadien zusammenkommt und sich gemeinschaftlich aufführt, ist auch in der ‘positiven’ Variante strukturell ganz das Gleiche, was zusammenkam, als man zum totalen Krieg ‘Ja!” gebrüllt hat. Es werden hier massenpsychologische Dynamiken wieder gesellschaftsfähig gemacht und von den Medien eingeübt, die man jederzeit anderweitig einsetzen könnte. Weil massenwirksam ein Tabu bricht. Als ich mit meinem Kollegen Zschorsch gestern abend vor der Uni Bamberg saß und solch eine Horde Gejubel vorbeitobte, fragte er mich: “Was machen die bloß nach dem 9. Juli?” Ich antwortete: “Sie melden sich freiwillig zum Militär gehen fahnenschwenkend in ein Drittland.” Vergessen Sie nicht, daß wir auch in s o l c h e n Verhältnissen wieder leben, daß der Auslandseinsatz des deutschen Militärs wieder möglich wurde. Und das ist nun wirklich ein Argument in Zeiten des Globalismus’.

    5. aber herr herbst…lacht.. ich bezweifle,dass sich nur ein leser der dschungel hier mit denen identifizieren kann,vor denen man ängste entwickeln könnte…weil sie manipulierbar sind und egal durch welches regime zu bösem verleitbar…aber das sicher traurige ist,war und wird so bleiben,dass es eine hohe prozentzahl der bevölkerung ist und zwar nicht nur der deutschen sondern der weltbevölkerung.es wird sich nicht ändern,es ist nicht gewollt und wäre vielleicht auch in anderer weise obsessiv und chaotisch,denn wenn keiner mehr irgendwem oder was folgt..was wäre dann eigentlich????
      ob nationalismus nicht aus einem erweitertem familien-stammes-sinn rührt,weiß ich nicht,könnte ich mir aber vorstellen…dennoch er wird in jedem land gepflegt und auch wenn deutschland es abschaffen würde,der große rest der welt täte es nicht…also (als praktischdenkende frau ;-)..)nützt es wenig ,gleich die welt verändern zu wollen(übrigens das ist auch etwas sehr typisch deutsches und hat manchmal auch einen komischen beigeschmack,ich beziehe das aber nicht auf ihren text,denn ich weiss,dass sie diese intension nicht hatten)sondern dann eher zu überlegen wie man dann dieses bedürfnis(es muss ja kein naturbedürfnis sein!)vielleicht positiv und unschädlich leben kann für die,die das brauchen…
      kulturelle identität ist auch an bestimmte zubereitung des essens,kleidung,liedgut,tänze -schlicht brauchtum nicht nur literatur,musik und kunst gekoppelt und um sich besonders deutsch zu fühlen reicht da schon eisbein,hax`n und bier…
      dennoch,nein,ich habe gestern auch joints gerochen(das spricht nicht unbedingt fürs militär)und das ganze event sehr jung ,multikulti und sehr vermischt wahrgenommen,es ist ein hype,fast eine art neue mode,die eben noch nie da gewesen ist(in dieser generation)und das wird so gelebt wie irgendeine popband und es wird vergehen….
      für diese menschen ist es ein ausdruck an freude und leben,hat schon happening-charakter und nun sind die deutschen mal fröhlich (alle anderen verhalten sich genauso!)und vielleicht globalisiert das viel mehr als alles andere?
      besonders deutsch ist es jedoch und das spüren sie selbst als künstler,immer alles ins negative zu wenden..ich bezweifle nämlich,dass sich diese gedanken ,die wir uns hier machen auch nur irgend einer in italien,spanien …machen würde,aber genau das ist die kunst des dolce vitas,die wir ja so anhimmeln…das leben zu geniessen,die vergangenheit im hinterkopf,aber nicht schon vorher leiden…

    6. Wenn Sie beklagen, lieber ANH, dass das “Bewußtsein, es sei a n s i c h etwas falsch am Nationalismus oder auch nur an dem Glauben an eine Nation, nunmehr schwindet”, setzen Sie damit voraus, dass es eine Mehrheit in D gegeben hat, die diese Haltung bisher vertrat? Ich nehme dagegen an, dass die Haltung “Nie wieder Deutschland” auf zahlenmäßig kleine Kreise begrenzt war und ist. Nur weil Sie früher weniger Fahnen in D gesehen haben, heißt das – so zumindest mein Eindruck – noch lange nicht, dass Sie in einem Land voller aufgeklärter Antipatrioten lebten, die mitleidig auf andere fahnenschwenkende Völker blickten, in dem Wissen, sich selbst schon weiterentwickelt zu haben.

      Ich behaupte, dass im Grunde jedes Volk und jede Nation der Erde mehrheitlich gerne Fähnchen oder Vergleichbares schwenkt – entscheidend ist dabei, dass das jeweilige Staats- und Gesellschaftswesen so organisiert ist, dass die schädlichen Folgen des Fähnchenschwenkens begrenzt bleiben.
      Aber den Leuten so Sachen am liebsten verbieten und sie stattdessen zum Lesen von Katastrophen heraufbeschwörenden Feuilleton-Artikeln verdonnern zu wollen (sagen nicht Sie, ich weiß, aber das schimmert durch manch hochintellektuelle Herablassung gegenüber Fähnchenschwenkern durch), finde ich viel antidemokratischer als die derzeitige Fußballparty.

      Im Dritten Reich wäre eine solche Haltung ehrenwert und notwendig gewesen, aber die wenigen Deutschen, die sie vertraten, haben leider nichts bewirkt. Heute ist aber nicht Drittes Reich, und dieselbe Haltung, die damals, wäre sie millionenfach vertreten worden, die Katastrophe womöglich hätte verhindern können, wirkt im heutigen D ein bisschen…wie soll ich sagen… vielleicht übermotiviert?

  3. Fussball ohne Bierernst, der Wein verfasste diese Zeilen 😉 spielerei(h)en (reportage)

    Rilke in der verteidigung ist äußerst schwach,
    das kann Majakowski im sturm nicht wettmachen,
    dagegen ganz souverän george im tor
    vaterländisch prallt jeder angriff ab
    wird in einem sonett aufgefangen

    und Byron läuft, läuft,
    läuft den griechen direkt in die arme.
    was soll trainer Rimbaud nur machen ?
    saufen, was sonst, nichts als saufen.

    Goethe steht einsam am feldrand,
    schüttelt den kopf, hatte er doch immer gesagt ,
    dass Kleist nur große töne spuckt
    und nichts in den knochen hat, der kerl !

    George Sand derweil raucht
    auf der tribüne einen joint,
    während ihr Chopin den walzer linkshändig spielt
    und nirgends ein tor, ein tor….

    nur da: seht Cervantes !
    er steht davor…

  4. Ich geb Ihnen beiden prinzipiell ja recht. Es wird mir, unter den kapitalistischen Markt-Auspizien, vielleicht nur ein bißchen zu viel derzeit. Man kann so gut wie nirgendwo mehr hingehen, ohne in diesen Markt mit hineingerissen zu werden; er schreit einen von fast allen Seiten her an. Ich hatte eigentlich zu alledem schweigen wollen, aber hier sind mir ebensolche Illusionen über Deutschland und vergangenen Nationalismus geplatzt wie nach dem Mauerfall – als pötzlich viele Vertreter derselben Linken, die mich jahrelang als konservativen Ästhetizisten beschimpften, geradezu im Spontansprung zu beglückten US-Amerikanern mutierten. So daß nun ausgerechnet ich, der ich’s nie war, plötzlich ganz links außen stehe. Wahrscheinlich ist es d i e s e Bewegung, die mich gegenüber der kollektiven Nationallust so mißtrauisch macht.

    1. Speers Lichtdome, Frankfurter Lichtspektakel und Olympiastadien Der Eventcharakter postmoderner Ästhetik, der uns vor Jahren aus den Kehlen der 3 Tenöre im Münchner Olympiastadion entgegenschallte und sich gestern und heute mit Schlachtgesängen in den Fußballstadien offenbart, der sich im Dekor von Schwarzrotgold die Straßen entlang -und emporwimpelt, kann seine ästh. Nähe zu Speers Lichtdomen und Riefenstahls Inszenierungen nicht leugnen. Die Sehnsucht der Massen Woge sein zu wollen und von u. in ihr aufgesogen zu siegen, stimmt sehr nachdenklich.Die präpositionelle, heitere Einübung in La Ola Wellen, die auch „anders können“ betrachte ich mit sehr viel Misstrauen und Skepsis.

      Ihr Unbehagen kann ich gut nachvollziehen.

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