Zu „Twentyfour“ insgesamt.

Kam mir – wegen der in der Serie permanent gestalteten Konflikte von Staatsraison und innerstem Eigeninteresse, wegen der Verluste Liebes- und politischen Konflikte, vor allem aber derjenigen moralischer Natur – immer wieder Heinrich v. Kleist in den Sinn. Und das, was seine Textmaschinen genannt wird. Es ist mir eigentlich kein anderer moderner Autor, außer vielleicht Kafka noch, bekannt, der so unerbittlich d a s wieder ins Recht der literarischen Wahrheit gesetzt hat, was in der Antike ‚Tragik’ genannt wurde und was wiederum ich mit den Allegorien zu fassen versuche. Wobei es bei Kleist eben grundsätzlich um moralische Fragen geht und nicht, wie bei Kafka, um ein unbewußt von außen auf den Handelnden wirkendes, ihm letztlich unbegreifliches Geschehen. Kafkas Erzählungen bekommen das als Projektionen innerer Zustände in den Griff; deshalb verlangen sie so nach ihrer Interpretation. Bei Kleist g i b t es nichts zu interpretieren; alles folgt einer unerbittlichen moralischen Notwendigkeit. Er ist furchtbar realistisch. Und er ist immer bewußt.
Auf „Twentyfour“ gewandt: Es ist ohne jede Frage notwendig, daß aus jemandem, der möglicherweise weiß, welches Ziel die abgeschossene Missile hat, ebendas herausbekommen werden muß, und zwar in gebotener Kürze; da ist jedes Mittel recht, auch Folter. Es ist aber ebenfalls ohne Frage notwendig, daß die verfassungsgemäßen Rechte solcher Befragten einzuhalten sind. Dieser Konflikt ist o b j e k t i v. Zählt die Einhaltung dieser Rechte mehr als die Rettung von Millionen? Es k a n n nur, wird es gebrochen – und sei es mit Erfolg, also w i r d wegen angewandter Folter die Katastrophe verhindert – – es k a n n nur, obwohl er Recht hatte und Millionen Menschen mit seiner Handlung das Leben rettete, der Folterer angeklagt und verurteilt werden. Wenn denn die proklamierten Menschenrechte-insgesamt in unbefragbarer Grundsätzlichkeit erhalten bleiben sollen.
Das ist eine typisch kleistsche Konstruktion. Jack Bauer erhält vom Päsisidenten den – inoffiziellen – Auftrag, unter Anwendung jedes Mittels die Katastrophe abzuwenden, er wendet Folter an, er wendet die Katastrophe damit a b – und wird von demselben Auftraggeber offiziell eines Menschenrechtsverbrechens angeklagt und dann im Zweifel seinerseits hingerichtet. Kleist geht da noch weiter: Derjenige, der weiß, daß er, um höchsten Schaden abzuwenden, Menschenrecht bricht, hat sich hinterher selbst anzuzeigen und einem Verfahren und auch der Hinrichtung zu stellen. Und zwar wegen des moralischen Prinzips, das die Grundlage auf Menschenrechtsbasis gestalteter Gesellschaften ist.
Für die Serie typisch ist, daß immer wieder gefoltert wird, auf beiden Seiten, zwecks Erreichung des je gesetzten Zieles. Das hat für den Zuschauer etwas ebenso Selbstverständliches wie Furchtbares, der Griff der CTU-Agenten zum Folterkoffer (hier: gefüllt mit Chemikalien, die den zu Vernehmenden gespritzt werden), zu Elektroschlägen und Apparaturen, die psychische Qualen bereiten, ist in „Twentyfour“ geradezu routiniert; solange davon offiziell nichts lautwird, hat auch niemand ein Problem damit; ist aber als Weisungsgeber der US-Präsident involviert, zieht sich Kleists Textmaschine um die Beteiligten zusammen.
In den gleichen textmaschinellen Zusammenhang, nur umgekehrt, gehört, was in der Art einer Kronzeugenregelung funktioniert: Damit Informationen erlangt werden, die das Schreckliche nicht-Vorstellbare verhindern können, garantiert man mehrfachen Mördern Berufskillern fanatischsten Terroristen ihre spätere Immunität. Und zwar auch denen, die eigene Liebste umbrachten. Überhaupt behandelt „Twentyfour“ vor allem Trennungen, Ab-Trennungen, Abtrennungen von eigenen Gefühlen und die Veruneigentlichung – Textmaschinisierung – der Personen. „This is, why I flew this job“, sagt Almeida seiner wiedergefundenen Geliebten. Sie antwortet: „You want me to leave all, I ever was?“ Er nickt und sieht sie an, mit einem Blick, in dem zugleich radikale berufliche Entschlossenheit und seine Tränen stehen.
Und was die „Kronzeugen“ anbelangt, so ist es eine große und zugleich furchtbare Stärke dieser Serie, daß das Drehbuch oft keinen Ausgleich dadurch schafft, daß solche Freikommenden aus anderen, zufälligen Günden dann d o c h umkommen, sondern daß sie hinterher tatsächlich freisind. Übrigens habe ich den Eindruck, daß die volle Gewalt der Zusammenhänge wirklich nur deutlich wird, wenn man die Serie, wie ich nun schon zum vierten Mal, am Stück sieht, also in ihr lebt, ohne daß Werbeblöcke und Alltag diese erlebten Zusammenhänge zerreißen, bzw. verwischen können.
Insgesamt ist die Neigung zum Happyend für eine US-Produktion dieser Bedeutung auffallend gering – was sehr wahrscheinlich an der Menge von Personen liegt, mit denen hier umgegangen werden muß. Und manchmal läßt es einen ganz anders aufhorchen, nämlich wenn es bei allem propagandistisch transportierten US-Patriotismus und bei aller Idealisierung der Army unvermittelt zu solchen Dialogen kommt:
Habbib Marwan (ich weiß nicht, ob man ihn so schreibt), der planende Kopf der Terroristen, sitzt dem US-Agenten gefesselt gegenüber. Der bietet ihm, erfolglos, eine solche Kronzeugenregelung an. Marwan sagt: „And besides, there is a problem. Your president is seeing me evil.“ Bauer: “As you see us.” Marwan: “Yes.”
Damit ist der Grundkonflikt in allerkürzester Zeit auf den textmaschinellen Punkt gebracht.
(Daß das, was den terroristischen Akten vorausging und von den Terroristen auch öffentlich als Imperialismus und Mißachtung der Menschenrechte seitens der USA formuliert wird, auf weltpolitischer Ebene tatsächlich nicht an den Haaren herbeigezogen ist, im Film k e i n e Darstellung findet – also die Vorgeschichte und Motivation fanatischer terroristischer Aktionen -, muß nicht eigens gesagt sein; aus dramaturgischen Gründen ginge es auch gar nicht anders. Doch wann immer US-Militär und US-Agenten in dieser Serie US-Interessen schützen und/oder durchsetzen wollen, zeigt die action sehr genau, was gemeint ist.)

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