Ist kristallisiertes Leid.
(CCCLXXXVI).
[Vieles hiervon weiß der Splitter (!), der dem kleinen Kay bei Andersen ins Herz dringt.
Das Böse ist das genaue Gegenteil des Organischen und hält das Leid f e s t. Es gibt ihm dingliche Gestalt.
D e s h a l b das Licht der Erlösung, das dem Grafen übers Gesicht huscht, als Morris’ Messer in sein Herz dringt:
der Kristall zerfällt und wird Staub, so daß die Seele freikommt.]
Das Böse ist das genaue Gegenteil des Organischen und hält das Leid f e s t. Es gibt ihm dingliche Gestalt.
D e s h a l b das Licht der Erlösung, das dem Grafen übers Gesicht huscht, als Morris’ Messer in sein Herz dringt:
der Kristall zerfällt und wird Staub, so daß die Seele freikommt.]
Dazu muss man aber ersteinmal anerkennen, dass es das Böse überhaupt gibt. Wenn man anerkennt, dass das Böse Fleisch und Blut ist, nicht davon zu lösen ist, dann kann man es nur ad absurdum führen. Das Böse wird erst böse, wenn es abgespalten wird.
Es spaltet s i c h ab. Dann entsteht der Kristall. Aussagen wie diese können auch symbolische sein, um zu stimmen. Was zur Erkenntnis führt, muß es nicht geben. So wenig wie den Meter oder den Sonnenaufgang. Es sind praktikable Größen zur Gewinnung wahrer Aussagen. Wenn hier vom ‘Bösen’ gesprochen wird, dann bedeutet das nicht, daß jemand böse s e i, wohl aber läßt sich vermittels des Paralipomenons erklären, weshalb jemand so ist, wie er ist, den man böse n e n n t, weil er Böses getan hat. Nicht grundlos wurde das Böse im Nachsatz mit dem Begriff der Erlösung verknüpft.
ich wollte eigentlich in ihrem tagebuch antworten, aber da geht es ja nicht. und löschen sie nur, wenn ihnen das hier nicht paßt. bezieht sich auf ihren eintrag 18.20 Uhr:
da werfen sie unsereiner (in ihrem rundumschlag fühle auch ich mich angesprochen) schwäche vor. angst. da haben sie sicher recht. aber so ist das nun mal. ihre stärke würd ich auch gern besitzen. aber wenn ihnen damit geholfen ist, so wenig das hier auch möglich ist, kann ich ihnen nur sagen, daß mir ihre gedankenanstöße diesbezüglich schon lange im kopf herumgehen und ich immerhin schon ein wenig nachvorne gerückt bin. wenig zwar, aber was noch nicht ist, wird sicher werden, auch wenn es nicht so ausfallen wird wie bei ihnen. da bin ich einfach anders mensch.
@acroshka. Nein, das lösche ich nicht. Und was meine Stärke angeht, so fühlt sie sich momentan verdammt beschissen an. Sie kostet so viel. Deshalb: Glauben Sie mir, daß ich sie verstehe, Ihre Angst. Auch wenn ich auf elend hilflose Weise um so wütender auf sie bin.
wütend? kenne ich. und habe mich lange gefragt, warum diese wut sich nicht umlenken läßt. meine einzige antwort darauf lautet: weil man in gefahr gerät, zuneigung, menschliche zuwendung, wärme, und ja, auch liebe zu verlieren. und das macht mich wütend. weil die eigentliche voraussetzung von liebe das ja eben ist, oder besser gesagt, wäre, daß man der sein kann, der man ist. bedingungslos.
nur zu rotweinen sie bedingungslose liebe ist kunst nicht leben, n u r ein idealzustand oder die momentaufmahme eines ersten letzten kusses. finde ich.
jedenfalls wünsche ich es mir so. jemanden so lieben zu können, wie er ist. von jemandem so geliebt zu werden, wie ich bin. ohne alle umschweife.
Zu lieben, denke ich, bedeutet. Die Ambivalenzen aushalten zu wollen. An jemandem und für jemanden. Dazu bereit zu sein. Und nicht, eine Bedingungslosigkeit zu erwarten und zu geben, für die es objektiv keinen Grund geben kann. (Ich will um meiner selbst willen geliebt werden, zieht nämlich notwendigerweise und völlig berechtigt die Frage nach sich, was “man selbst” denn sei, von der physiologischen – chemisch-physikalischen – Erscheinung einmal abgesehen.) Sondern zu lieben, heißt gerade, auch dann zu lieben, wenn man grad nicht liebt. Und genau das – gegenseitig – aushalten zu wollen. – Ob das dann gutgeht, ist ungewiß. Doch zu lieben bedeutet ebenfalls, das Risiko einzugehen, daß man scheitert. Auch das verbindet Liebe mit Kunst. W e n n man scheitert, ist das katastrophal, man mache sich da nichts vor. In dieser und in jener.
(Die vielen “lieben” sind keine Redundanzen. Und schon gar kein Zirkelschluß.)
auch dann zu lieben, wenn man grad nicht liebt. das ist gut ausgedrückt. aber das trotzige kind in mir stampft mit dem fuß und will auch in all seiner unausstehlichkeit angenommen sein… 🙂 ja, das hat oft genug was mit aushalten zu tun. und wie lang man aushalten kann. und was man auszuhalten bereit ist. ängste, fällt mir grad ein, rühren ja auch vom scheitern her. und was einem vorgelebt wurde, einst.
“…und was einem vorgelebt wurde, einst.” Eben.
(Ich spreche deshalb von – denke deshalb nach über – M u s t e r. Familienmuster zum Beispiel. Verallgemeinert man sie, löst man sie von ihren jeweiligen Bedingtheiten, dann werden sie zu Allegorien – oder, deutlicher, sie lassen sich als Reflektionen von Allegorien, flüchtige Schatten von Allegorien erkennen, die ihrerseits sowohl etwas Ewiges, Permanentes, auch Penetrantes, wie zugleich etwas nur Ähnliches haben. Daß sie nicht völlig identisch sind, macht sie so ungreifbar. Wohl aber werden sie, mit allem Leid, e r l e b t.)
ich glaube noch nicht einmal, daß familienmuster – oder muster ganz allgemein – für eigenes scheitern verantwortlich sind. abgesehen davon, daß solcherart folien ja von beiden seiten aus übereinandergelegt werden und jedesmal andere bilder und mischungen ergeben. das ist – in der tat – fatal und schürt weitere ängste. das erleben wiederum speist sich aus unendlich viel mehr. auch in seiner intensität. außerdem wäre mein innigster wunsch in diesem zusammenhang der, nicht zum wiederholungstäter zu werden. oder zu wiederholten malen opfer sein. die janusköpfigkeit dieser zusammenhänge kennt man ja.
und doch schleicht sich ab und an ein ohnmächtiges gefühl ein. dem will ich entgegen halten (und wäre es das letzte, was ich tue. vielleicht schließt sich so der kreis zu dem, was man selbst denn sei – was anders, als vielleicht gerade dieser kleine widerstand. und wäre es nur der sanft gleitende widerstand gegensätzlicher pole, die sich im magnetfeld aneinander reiben, ohne sich jemals zu berühren).
wünsche gut geruht zu haben – morgens.
Hierfür gilt eventuell das (wir können’s nur hoffen), was mir in der letzten Woche eine Leserin schrieb.
…an einer Stelle seines Buches “Die moderne Leugnung der menschlichen Natur”
spricht der Harvard-Psychologe Steven Pinker auch von einem “molekularen
Münzwurf”. An einer anderen Stelle heißt es:
“Die Entwicklung von Organismen muss sich an komplexen
Rückkopplungsschleifen orientieren und nicht an von vornherein festgelegten
Bauplänen. Zufallsereignisse können den Entwicklungsverlauf verändern, doch
sind die Verläufe eingegrenzt auf einen bestimmten Bereich, innerhalb dessen
die Funktionsfähigkeit der Art gewährleistet ist. (…) Wenn die unerklärte
Varianz ein Produkt von Zufallsereignissen in der Gehirnentwicklung ist,
wäre noch ein weiterer Teil unserer Persönlichkeit “biologisch (wenn auch
nicht genetisch) determiniert” und damit den wohlmeinendsten Plänen von
Eltern und Gesellschaft entzogen. (…) die alte Schicksalsidee – im Sinne
einer unkontrollierbaren Macht, nicht in dem strikter Vorherbestimmung –
lässt sich durchaus mit der modernen Biologie in Einklang bringen, wenn wir
uns vergegenwärtigen, wie viele Möglichkeiten dem Zufall offen stehen, in
die Entwicklung einzugreifen.”
Wobei ich auch einer solchen Auslegung skeptisch gegenüberstehe, da ich die Kategorie des Zufalls bezweifle; auch das Ergebnis des Würfelwurfs ist keiner, sondern das physikalisch notwendige Ergebnis der angewandten Kräfte im Verhältnis zur Wurfsituation. Nur sind die Determinanten unendliche, so daß Zufall nicht tatsächlich zufällig m e i n t, sondern unüberschaubar und sehr wahrscheinlich sogar p r i n z i pi e l l unüberschaubar. Andererseits wären Allegorien tatsächlich ein waltendes Odnungsprinzip; so auch Muster. Es bleibt zu konstatieren, daß sich diese auffällig oft wiederholen und fortsetzen, und zwar – im antiken Sinn von ‘tragisch’ – gerade auch dann, wenn man einem Muster zu entgehen versucht. Ja, dieser Versuch selbst wird zur dynamischen Grundlage des sich auf solche Weise tragisch wiederholenden Musters. Stimmt das, dann ist der Begriff ‘Verantwortlichkeit’, den Sie jetzt in die Diskussion eingeführt haben, nichts anderes als ein ebensolches rein-regulatives Prinzip wie bei Kant die Proklamation Gottes, dessen Existenz er zugleich leugnet. Wir einigen uns auf ihn, damit wir eine Grundlage für objektives moralisches Handeln haben; ohne diese Proklamation, so Kants höchst skeptische Ausrufung, wäre eine Verwurzlung des kategorischen Imperativs im (gesellschaftlichen) Sein ohne Inhalt.
Ich spreche d e s h a l b von Allegorie, weil sie gewissermaßen der künstlerische Ausdruck und ihre Entsprechung der objektiven Wirkmuster ist, wie es Familienmuster s i n d. Unsere erzählende Literatur (und das meint die – auch epische – Dichtung der Welt, quer durch alle Kulturen) ist voll von Beispielen dafür. Neu an Der Dschungel ist, daß hier versucht wird, das Allgemeine oder Modellhafte der Künste ganz direkt auf ein Einzelbeispiel zu legen, für das ich das Experimentat bin: eine Versuchsratte, die vorherzusehen versucht, was man als nächstes mit ihr anstellen wird und ihre Empfindungen davon notiert, um ihrerseits diese mit in den Versuchsaufbau zu geben. Das ist nicht mehr, wie Literatur gemeinhin, modellhaft, sondern mit der Konkretion verkoppelt. Das ‘tatsächliche Sein’ wird insofern Teil eines Romanes und/oder der Roman Teil der Konkretion; auf diese Weise erhält er, glaube ich, die gesellschaftliche (moralische) Relevanz zurück, die ihm ansonsten längst verloren ging, jedenfalls im Feld der hochtechnologischen Zivilisation. Vielleicht hat Nabokov, der ja a u c h Erfahrung mit verbotenen Büchern hatte, d a s gemeint, als er im Alter notierte, er habe die Fiktionen satt. Und erzählt also, w i e einen Roman, sein Leben. Das Buch gehört, neben >>>> Ada oder Das Verlangen, zu seinen besten.
Ich glaube, “Zufall” bei Pinker bezieht sich auf die Unvorhersehbarkeit von Ereignissen (“unkontrollierbare Macht”). Dass diese Ereignisse nicht im luftleeren Raum stattfinden, sondern physikalischen oder anderen Gesetzmäßigkeiten gehorchen, kollidiert doch nicht mit diesem Konzept der Unvorhersehbarkeit, oder? (Ich versuche, Ihre Skepsis zu verstehen, finde aber keinen Widerspruch zwischen Pinkers und Ihrer Auffassung).