Wieder schäumte die Menge in Unmut, wieder rief das Ordner auf den Plan. Schlagstöcke hieben. Lautsprecher schnarrten gegen die Panik. Dann brüllten sie. Was alle nur noch mehr aufbrachte, und die Menge brüllte zurück. Paar Leute gerieten dabei in Streit. Es fiel sogar ein Schuß, es würde von zweien der erste sein. Doch anders als dieser war jener gedämpft und ginge nur noch ins Leere eines aufgelösten Molekülverbands. Martinshörner waren zu hören, gewaltsam wurde eine Bahn durch die Leute geschnitten, ganz wie man eine Torte teilt; weich ist und klebrig rot, was an dem Kuchenmesser haftet. Auch von der gegenüberliegenden Seite, aus der weitere und weitere Menge sich herbeidrängte, schnitt sich eine Bahn durchs Gelee zu dem Verletzten, vielleicht längst Toten. Ein Wunder, daß nicht mehr Leute verwundet worden waren. Die Bahn schnitt sich fast direkt an Balthus vorbei: Erst drei, die Arme sehr weit ausgeholt, gleichsam das Nichts sensende Gummiknüppler, denn kaum, daß man sie bemerkte, wich alles zur Seite, dann schon die eine Liege tragenden Sanitäter. Ein wenig hintennach und wortwörtlich rückwärts gehend, rückwärtss s e n s e n d, abermals Polizisten. Oder privater Wachschutz, einerlei. Dann ein tatsächlicher Polizist, der einen Dobermann führte; der abgelöste Maulkorb des Tieres baumelte am Halsband. Dahinter schloß sich die Menge. Aber Balthus nahm die Chance wahr, wie weiter hinten auch zuvor schon jemand anderes, der die sich nur locker neu zusammenfügende Masse mit einer ganz ähnlichen Entschlossenheit durchzog, wie sie Balthus dem kleinen Hilfspulk folgen ließ. Beide, Verfolger und Verfolgter, kamen ungefähr gleichschnell voran, obwohl der eine von dem anderen wußte; dieser von jenem aber nicht. Nur daß der Dieser an der Unheilsstelle selbst abermals gestopt wurde.
Er steckte seine rechte Hand in die Tasche. Und verstand.
„Lassen Sie mich durch, ich bin Arzt“, rief er, mußte er zweidreimal rufen. Dann beugte er sich über den Verletzten, der ihn glasig anstarrte. Die Kugel war ihm durch den Unterleib gegangen, über der rechten Leiste hatte sich der Hosenstoff dunkel mit Blut vollgesogen. Balthus riß dem Mann das Hemd auf, auch das Unterhemd, steckte sich die elfenbeinfarbenen Kegelchen in die Ohren und ging langsam mit der Hörplatte über den sehr nackt wirkenden Oberkörper des Mannes hin.
„Geben Sie die Decke“, sagte er dann, indem er zu den Sanitätern aufsah. Auf die Idee, ihn nach einem Ausweis zu fragen, kam niemand. Unterdessen war der Verfolger bereits nahe heran und hatte den mit einem Schalldämpfer verschraubten Revolver aus dem Hosengurt gezogen, was sich in dem Gedränge völlig unbemerkt machen ließ. „Tut mir leid“, sagte Balthus und legte dem toten Körper die weiße leinene Decke bis übers Gesicht, „da ist nichts mehr zu machen.“ Die Sanitäter stellten die Trage auf ihre vier Stumpen, oben faßte einer den Mann unter die Achseln, der andere, indem er zwischen seine Beine trat und sich bückte, nahm ihn bei den hinteren Oberschenkeln. So wuchteten sie ihn hinüber.
Es war wieder Unruhe in die Menge gekommen, nur die direkt bei dem Toten standen, verhielten sich auf eine ausgesprochen stumme Weise betroffen. Sie wurden aber nun gegen Sanitäter, Polizisten und Balthus gedrückt, so daß erneut die Schlagstöcke zum Einsatz kamen und noch immer niemand den Betrüger um Angabe seiner Personalien bat, was schon für den Totenschein erforderlich gewesen wäre. Balthus nutzte die Unruhe und schob sich rückwärts die Rampe weiter hinauf. Schon schlug die Menge um ihn zusammen. Sein Verfolger, auf der anderen Seite, kam nunmehr seinerseits nicht weiter; in der Nähe von Polizei verbarg er sogar die Waffe unterm Jackett, hielt den Knauf aber weiter umfaßt. Er wurde, wie die übrige Menge hier auch, zur Seite gedängt, als die Ordner um sich schlagend den Weg zurückzubahnen begannen, von der nun sehr viel schwerer gewordenen Trage und ihren beiden Trägern gefolgt, sowie von den wieder rückwärtsgehenden Polizisten. Nicht aber der sechste Polizist, der mit dem Dobermann. Der schaute hilflos nach Balthus, weil ihm endlich die Formalitäten eingefallen waren. Noch und noch drehte er sich in der Menge um die eigene Achse, die ebenfalls etwas Rotierendes bekam, ein Zentrifügchen im zäh Richtung Lappenschleuse vorangeschobenen Menschenmeer. In einem der äußeren Arme dieser kleinen Milchstraße flößte es darum den Verfolger um ihr Zentrum außen herum, so daß nun auch er, abermals die Waffe gezogen, wieder weiterkam, einen 45er Colt automatic aus dem Arsenal der Mudschaheddin Sheik Jessins und ursprünglich einmal zur Abwehr der Islamisten eingesetzt.1 Cordes konnte nur ahnen, wie er in die Hände des Roten Mahmuts geraten war; es gehört in die Erzählung einer anderen, einer vorhergegangenen Realität.
the Moro (Muslim) warriors,” according to a booklet handed out in one of the cultural
sensitivity seminars. “ Siehe >>>> h i e r].