Dialektik der Tradition: Über den Konservatismus.

Dem Kapitalismus, dem es auf den Einzelnen als Konsumenten ankommt, kann >>>> solch ein Traditionsgedanke wenig gefallen, er will seine Bürger vielmehr auch familiengeschichtlich vereinzeln und verbrämt das mit dem Gedanken einer Freiheit des Subjekts, auf dem die kapitalistische Demokratie emotional recht eigentlich fußt: Sie tut so, als wählten wir frei, ohne Gründe, und läßt ganz bewußt übersehen, in welchem Ausmaß es unsere Prägungen sind, die uns ‚wählen’ lassen. Wobei an die Stelle einer Prägung, die kulturgetragen sein sollte, ein marktdefiniertes, immer sehr schnell wandelbares “Bedürfnis“ gesetzt wurde; es ist im Warenhandel – der, unterdessen sehr eingleisig in eine Richtung verlaufend, gar kein ‚Handel’ mehr i s t – immer ein Sell: das Subjekt wird zum puren Empfänger und soll selber nicht mehr senden.
Vieles hat sich umgekehrt. Der Pop, der seinen Ursprung in nicht zu unterschätzendem Maß einmal im Widerstand hatte, ist unterdessen ein systemstabilisierender, der Warengesellschaft enorm förderlicher, ja imgrunde der einzige emotionale Identitätszusammenhang geworden, den sie hat. Er i s t ihre Kultur. Und das, wogegen er einmal anrennen wollte, nämlich sie selbst, die Warengesellschaft in ihren meist brutalen Ausswirkungen vor allem in der Dritten Welt, sowie gegen ihre ‚bürgerliche Heuchelei’ im eigenen Land – das wird nunmehr von einigen jener einst mit Recht als solche angeklagten, heute aber nur noch scheinbar „konservativ“ daherkommenden Kulturauffassungen getragen. Der Traditionalismus bekommt ein wenn nicht revolutionäres, so doch stark rebellisches Moment. Der Kapitalismus hat ihn bald drei Jahrhunderte lang zu seinem Werden und seiner schließlichen Perfektionierung genutzt; jetzt will er ihn loswerden, da er nicht mehr taugt. Er ist nicht wendig genug für den Markt; alles, was mit Herkunft und Beharren zu tun hat, behindert seine Ausbreitung. Deshalb wird, sich auf ihn zu besinnen, Skandal. Die politisch wirksame Linke hat das noch nicht begriffen und scheitert an ihrer eigenen Dialektik.
In diesen Zusammenhang gehört a u c h die westliche Haltung gegenüber dem fundamentalistischen Islam. Wie immer man zu ihm und seinen Ausprägungen stehen mag; daß diese teils ziemlich mittelalterlich sind, ist ja unter anderem in einer westlichen Politik von Kolonialismus und Imperialismus b e g r ü n d e t; die Globalisierung übersieht und w i l l übersehen, daß fundamentalislamische Länder sich in einer früheren historischen Entwicklung befinden als der Westen, nämlich weitgehend noch stammesorientiert, wenn nicht feudal. Oder sie sind diktatorisch: das ist einer perversen, weil zu frühen Aneignung westlicher Errungenschaften geschuldet, etwa der Technologien, die ihnen der Westen ja selber verkauft hat und immer noch weiterverkaufen will. Gib einem (von seiner Moral sehr überzeugten, also ‚rechtgläubigen’) Kreuzritter eine Maschinenpistole in die Hand, und du wirst sehen, was passiert. Er wird Jerusalem ‚befreien’. Darüber zu klagen, daß er die moderne Waffe in diesem seinem mittelalterlichen Interesse nutzt, ist nicht nur wohlfeil, sondern heuchelt. Es verwischt absichtsvoll den Zusammenhang, und zwar, um einen Grund zu haben, seinerseits eine ‚Befreiung’ moralisch zu legitimieren. So geschehen in Afghanistan, so geschehen im Irak. Im Namen der ‚Demokratie’.

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