Sonnabend, der 11. Februar 2006.

6.42 Uhr:
[Kinderwohnung. Filterkaffee. Klägliche Versuche, mir Zigaretten zu drehen.]
„Ich kann Dir sagen“, ließe sich ins Tagebuch rufen, „>>>> d a s war vielleicht ein Traum!“ Aber den können Sie nachher in den TRAUMPROTOKOLLEn lesen, wenn ich das sehr kleine, außerdem, was meine Erinnerung anbelangt, inhaltslose Stück notiert und vielleicht etwas umformuliert, es – poetisch gesprochen – ‚erfunden’ haben werde. Denn erst einmal möchte ich ein weniges zu gestern abend, zu >>>> der Lesung, dem 3. Mittenwalder Salon, nachtragen, auch wenn das scheinbar von ARGO wegführt, woran ich heute noch gar nicht saß. Ich glaube ja nicht, daß irgend etwas, das einen beschäftigt, tatsächlich von einem anderen wegführen k a n n, mit dem man eigentlich befaßt ist: Es denkt sich weiter, wechselt aber die innere Konstruktionsplattform, denkt sich nämlich innerlich, im Unbewußten, das nach ganz ähnlich harten Regeln und Gesetzen formt, wie es die bewußte, ‚wache’ Poetologie tut – und vielleicht sogar nach härteren. Unvermittelt setzt man dann dort, wo aufgehört wurde, wieder an – und wirft in die Datei eine völlig ausgefeilte, eine fertige Szene, die aus dem Unbewußten lediglich abzuschreiben, aus ihm herauszuschreiben war. Wobei das s o wahrscheinlich nur funktioniert, ist jemand bereits über Jahre künstlerisch beschäftigt. Was Kafka geschah, mit dem so formvollendeten „Urteil“, das er in einer einzigen Nacht hingeworfen habe, ist n i c h t allgemeiner, schon gar nicht ein normaler Fall.
Die Lesung also gestern abend. Ich werde >>>> diesen Fehler nicht abermals begehen, n i c h t über die Mitvortragenden, also ihre Texte, sprechen; was mir gefiel, was mir nicht gefiel; es gab damals im Nachgang ein zu böses Blut. Nein, ich konzentriere mich auf meinen kleinen Text und vor allem auf seine Wirkung. Er ist im >>>> Schöngeist erschienen; Sie können sich DIE UNHEIL h i e r herunterladen und selber lesen, worum es geht. Ich halte das Textchen für f a s t vollendet; es i s t eines jener Stücke, die mit einem Mal, ohne langes Fackeln, entstehen, die sich schreiben und nachher einiger stilistischer Eingriffe bedürfen, mehr aber nicht. Das Interessante an ihnen ist, daß sie einem selbst, der sie schrieb, sogleich fremd sind, vollendet und fremd, vielleicht verstehen Sie, was ich meine.
Der Text kam nicht rüber, wie man sagt, jedenfalls nicht bei denen, die sich nachher zu Wort meldeten; wer denn „Die Unheil“ s e i, wollte man wissen, wieso „die“, wieso nicht „der“ oder weshalb sowieso nicht „das“? Es sei viel zu ungewiß, war ein anderes Argument, man wolle genau wissen, um was es eigentlich gehe. Pragmatiker suchten nach dem ‚Boden’; eine junge Autorin meinte gar, sie habe sich die ganze Zeit gefragt, wie denn der Vorname von „Frau Unheil“ laute. Usw. Dabei stand ganz offensichtlich im Raum die Geschlossenheit dieses Textchens, auch die Zumutung, die es bedeutet: den Hörern Das Fremde zuzumuten, etwas, das anders ist als sie sind (auch, als ich bin, sicher). Das sich nicht mit realistischen Modi erklären läßt.
Ich reagierte ruhig, wirkte sicherlich arrogant, aber das i s t so, wenn jemand aus der Fülle einer Bildung argumentiert,die die anderen nicht haben – das ist kein Hochmut, sondern s i e wissen a n d e r e s; der Umstand selbst ist aber Fakt. Ich merkte das, als ich mit dem Beispiel der h-moll-Messe kam. Man wußte einfach nicht, was ich meinte, man hatte, was ich meinte, nie gefühlt (man hatte, ich will hier bewußt vorsichtig sein, a n d e r e s gefühlt). So argumentierte ich auch: „Wenn der Text nicht an Sie herangeht, dann kann ich das nicht ändern. Dann möchte ich das auch gar nicht ändern. Ich find das auch nicht schlimm.“ „Weshalb lesen Sie’s dann vor?“ (Darin schwang mit ein „Sie haben die Verpflichtung, mich konsumieren können zu lassen.“) „Weil es möglicherweise Menschen gibt, an d i e es herankommt.“
Es wurde aggressiv im Raum. Ich sprach von dem „metaphysischen Schauer“, um den es gehe. Eine Hörerin wurde deswegen ausgesprochen ärgerlich; sie und ihr rheinisch-dialektaler Begleiter hatten die Diskussion ziemlich bestimmt; jetzt lachte sie ein wenig höhnisch auf: Was das denn sein solle, ein „metaphysicher Schauer“. Ich: „Das fühlen Sie.“ Sie: „Was für einen Unfug Sie da sprechen, was für Worte Sie benutzen!“ Ihr ganzer innerer Pragmatismus, das war gut zu spüren, lehnte sich in ihr auf, dieses „Ich habe die Welt im Griff und lasse mir nicht von einem arroganten Schnösel sagen, sie sei in Wirklichkeit anders“. Es brodelte in ihr, und ich spürte, wie sich das in mir spiegelte. Viele Emotionen, gerade Aggression, sind übertragbar. Ich ließ mich meinerseits aber nicht oder doch nur wenig provozieren, blieb möglichst strikt bei der Sache; Versuchen, sie zu veralbern, setzte ich meinen Ernst entgegen, so glitten die aus. Dabei entstand ein Ungleichgewicht in der, sagen wir einmal, rhetorischen Präsenz. Ich war ja um keine Antwort verlegen, saß da, merkte es selbst, wie ein fremdes unsoziales Ding, das mitten in eine sozialregulativ organisierte Gemeinschaft von lauter einander wohlmeinenden Menschen gefallen ist. Das war aber nicht ich, sondern das war dieses Textchen, für das ich einstand. Ein Begriff (ich meine selbstverständlich den Inhalt) wie „metaphysischer Schauer“, der übrigens nicht von mir ist, sondern von einem meiner Erzverächter, dem Literaturjournalisten Thomas Steinfeld (Süddeutsche Zeitung) – ich übernahm das Wort gestern abend spontan und weiß selber gar nicht, warum, bestehe nun aber drauf – … ein solcher Begriff m u ß auf Konsum oder bewußtes Begreifen gerichteten Hörern nicht nur fremd, nein, auch skandalös sein; zumindest provoziert er das ‚aufgeklärte’ Bewußtsein. Auch Pop-Sozialisation spielt wohl eine Rolle, also kapitalistische Ideologie, die eine säkularisierte Form von Glaube, von Religion ist. „Ich verstehe diese Reaktion auf den Text nicht“, sagte mir auf dem Stück gemeinsamen Nachhauseweges >>>> Juliette Guttmann, „er ist doch – von der sprachliche Formung einmal ganz abgesehen – völlig klar, alles stimmt. Aber vielleicht liegt es daran: Man sagt Ihnen, Ihr Text kam nicht an. So etwas ist zwar meist freundlich formuliert, aber ja doch ein heftiges Urteil. Und was man nun nicht gewöhnt ist, das ist, daß Sie selbstüberzeugt auf diesem Text beharren und dabei ruhig bleiben und den Text logisch und poeto/logisch zu verteidigen wissen.“ „Ich bin mir ganz sicher“, sagte ich ihr, „daß dieser kleine Text vielen Leuten im Bewußtsein bleiben wird, unbewußt im Bewußtsein, um das paradox auszudrücken.“ Und jener Hörerin, die dem Begriff des metaphysischen Schauers so höhnisch begegnet war, hatte ich lachend entgegnet: „Aber Sie können m i r doch nicht I h r e n Mangel an Kunsterfahrung vorwerfen.“ Da wallte es durchs Publikum. „Ich k e n n e diesen Schauer“, so legte ich nach, „Sie offenbar nicht. Das hat sicherlich Gründe, gar keine Frage, aber was Sie jetzt so ärgerlich stimmt, ist Ihr Gefühl, möglicherweise etwas verpaßt zu haben.“
Die Blicke im langen Flur, wo geraucht werden durfte, waren eisig. Wobei ich das Gefühl hatte, i c h sei das Eis, ein Eisb l o c k, dem man übelnimmt, daß er ästhetische, fast prophezeiende Kälte gebracht hat. Als prophezeiend empfinde ich ja selbst diesen Text, fremd prophezeiend, meine persönliche Sicht auf die Dinge ist ganz anders, ist wohlwollend, angstfrei, weniger mythisch und fast optimistisch. Ist sehr viel spielerischer. Aber ebendie die Kälte, die in die Biergärten und die Büros einbrach, wovon das Textchen erzählt, die Kälte Der Unheil, von der niemals klarwird: hat sie den Erzähler wahnsinnig gemacht, und die Geschichte stellt den Ausbruch einer Geisteskrankheit dar, oder hat recht, der sie erzählt… – eben diese Kälte stand nun in Gestalt meines Körpers im Flur. Wobei der Umstand noch eine kleine rezeptionsironische Volte war, daß ein anderer Text dieses Abends von Heinrich von Kleist erzählte. Er wurde direkt vor dem meinen gelesen und erzählt auf pfiffig-rhtyhmisierte, die Sprache verstellende Weise (Kleist stotterte, das nimmt dieser Text in die Form) das Unglück dieses für mich überaus wichtigen Dichters – und wie ins Herz es ihm dringt, daß er nicht verstanden wird. Dazu war nun die Wirkung, bzw. Wirkungslosigkeit meines eigenen Textchens geradezu eine allegorische Fußnote.
Mein kleiner Junge war auf einem Sofa eingeschlafen, er war schlaff wie eine tote Katze; es war nicht leicht, ihn zu wecken. Enorm tapfer ist er gewesen, in der S-Bahn schlief er sofort wieder ein, und während der kleinen Fußgänge trug ich ihn auf den Schultern durch die kalte Nacht nach Hause. Ich entkleidete ihn im Bett, er lächelte, wir sprachen noch miteinander, bis meine Worte in seinen Traum übergingen, für den er irgendwann und immer noch lächelnd bereitwar.

14 thoughts on “Sonnabend, der 11. Februar 2006.

  1. Bereicherung Lieber Herr Herbst,

    ich habe mich sehr gefreut, dass Sie auf dem Mittenwalder Salon gelesen habe. Ich bedaure außerordentlich, dass diejenigen, die sehr wohl etwas mit Ihrem Text und dem “metaphysischen Schauer” anzufangen wussten, sich nicht zu Wort gemeldet haben. Als Veranstalterin des Salons kann ich Ihnen aber die Rückmeldung geben, dass viele Sie als absolute Bereicherung des Abends empfunden haben.

    1. sehr geehrter Herr Herbst, auf mich wirkte die beschriebene szene eher belustigend denn bedrückend, habe ich sie doch auf lesungen etlicher autoren so oder ähnlich erlebt. der grad der unbelesenheit von menschen, die bereits auf einige jahrzehnte zurückblicken können müssten, ist mitunter erschütternd. Tschernikau schrieb Hacks in einem brief, zwei von drei bei ihm eingehenden manuskripten beschäftigten sich mehr oder minder deutlich mit dem faustmotiv, ohne dass das den autoren überhaupt bewusst sei.
      nun, wenn schon die autoren es nicht gelernt haben, querverbindungen zu erkennen und b e w u s s t herzustellen, ist das einem publikum, das sich kaum gedanken über ästhetik und deren bezug zum politischen macht, schwerlich abzuverlangen.
      “metaphysischer schauer” sprang mich in meiner jugend erstmals bei der lektüre der gedichte Georg Heyms an, ein literaturkritiker der 50er jahre sprach mit blick auf das werk Benns von “leerer transzendenz”. in jener zeit war auch das interesse für barocklyrik wiedererwacht, in die ähnliches hineingelesen wurde. das phänomen ist also über jahrhunderte zu beobachten, nicht besonders typisch für die gegenwart. Benn selbst, der unübertroffene essayist, berief sich auf die “formfordernde gewalt des nichts”. in einer fast kleistschen wendung spricht Benjamin vom engel der geschichte, in dessen flügeln sich der “sturm vom paradiese her” verfangen habe und der mit angstgeweiteten augen die trümmer der geschichte zu betrachten verurteilt sei. und hierin überschneiden sich die drei namen, Kleist, Benn, Benjamin, dass sie das bewusstsein als fluch erleben.
      dennoch waren sie durch und durch politische menschen, im falle Benns muss man fast “leider” sagen, aber anders fehlte seinem werk die tiefe.
      auf der suche nach dem hundertsten namen gottes, von dem ich weiß, dass es ihn nicht gibt, sowenig wie Mallarmé außer im gedicht eine sieben erwürfeln kann, verbleibe ich Ihnen unbekannt als
      vunkenvlug.

    2. ergänzung Hugo Friedrich lautet der name des erwähnten literaturkritikers, den ich vergessen hatte.
      sein bekanntestes werk, nach wie vor lesenswert, erschloss mir zum erstenmal sozusagen einen totalblick auf die lyrik verschiedener jahrhunderte, von Gongora bis Benn. als ich sein werk las, dessen titel ich ergoogeln müsste, war es bereits überholt, die damals heranwachsende schriftstellergeneration wollte von hermetismus, manierismus nichts mehr wissen, sie wollte einen unverstellten blick auf den alltag, woran sie jämmerlich scheiterte. “was alles hat platz in einem gedicht?” titelte eine streitschrift, eine andere “was interessiert mich Goethes geliebte”, woraus ein stumpfer hund gar “was interessieren mich Goethes gedichte?” machte.
      wenn ich mich richtig erinnere, ich habe da so meine schwierigkeiten, fand die Brigitte Reimann in der DDR mit dem wort “aufbruch im alltag” eine parole, die lauffeuerartig etwas in gang setzen wollte, dem nur entgegenstand, dass das gras und reisig bereits verbrannt war.
      “wann leben die bücher endlich?” [Hölderlin]. oder soll man sie alle verbrennen? [Marinetti]
      das waren die fragen, die die damalige generation bewegten, zu der ich, jahrgang 54, auch nicht mehr gehöre.
      meine generation ist die der platitüden, des abfalls und der orientierungslosigkeit.
      und nachdem wir den Kalten Krieg verloren haben, in den wir gar nicht involviert waren, sind wir in die tristitia post oder die tristitia ante verfallen und erstarrt. jeunesse nebbich, wenn auch nicht mehr jung.

      der alte Lenz, der, über den Büchner schreibt, erkannte verblüffend früh, dass es mit der deutschen klassik nicht weit her sei und sie bereits am ende stehe. da hatte sie noch gar nicht begonnen, sein freund Goethe war bloß ein projektemacher.
      und Büchner, der das klassikprojekt überschauen konnte, weil es abgeschlossen und gescheitert war, fand in Lenz den voraussehenden, der die radices für faul befunden hatte.
      Büchners leistung, von der vorklassik auf die nachklassik zu springen, war gewagt, abenteuerlich und genial.
      was soll machen, wer sich heute an Kleist heranwagt?
      mit seiner Kleist-hymne blamierte sich schon Becher. er identifizierte sich mit ihm, und das im hohen pathetischen stil. das konnte nur schiefgehen.
      ich glaub, Günther Blöcker heißt er,.der eine biographie Kleists vorgelegt und sie mit interessanten interpretationen angereichert hat, die die kleistschen tiefen auszuloten trachten.

      ich weiß nicht, was soll machen, wer.

    3. das absolute ich betitelt Blöcker seine kleistbiographie, in der er Kleist indirekt mit dem dean of st. patrick vergleicht.
      von dem überliefert Lichtenberg gleich zwei letzte worte: “I am an I” [bevor ihm der hirnschädel barst] und “la vie, le bagatelle” [auf dem sterbebett].
      schriftsteller haben es mit letzten worten und treiben es mit ihnen, weil ihnen bewusst ist, dass jedes wort das letzte sein kann oder ein erstes.
      Swift, der kämpferische, war ausgerechnet mit Berkeley befreundet, dem vordenker des radikalen solipsismus, den er leider noch, ähnlich wie Leibnitz seine monadologie, in gott verankerte und dadurch ad absurdum führte.
      bei Kleist gibt es diesen gottesbezug nicht mehr, die leere des universums setzt er als bekannt voraus, er hat seinen Lucrez gelesen und wahrscheinlich bewundert. in den großen aufsätzen und den briefen an Ulrike bezieht er sich aber nicht auf ihn, sondern auf die kritiken Kants, die von abenteuerlichen nebenschriften eingerahmt sind, die zweifeln lassen, ob Kant wirklich der aufklärer war als der er gilt.
      wir leben nicht nur im schatten Hiroshimas, im schatten von tausend sonnen, in allen schatten lebt es uns.
      Lucrez, der sein atheistisches lehrgedicht anhebt mit einem lobpreis der Venus, “aeneadum genetrix”, soll sich im liebeswahn umgebracht haben. diese überlieferung ist so wahr, dass sie nicht stimmen muss.

  2. Der “genießende” Spiel – da hast Du Deinen Vornamen Hallo Alban,
    wenn mir Sprache so leicht von der Hand ginge wie Dir …
    aber nein, ich wollte nicht von mir reden.
    Das von dir skizzierte Beispiel einer um des Recht haben willens mitdiskutierenden Hörerin erinnert mich an die vielen unsäglichen “Aussprachen” nach Filmvor(urauf)führungen, in denen oft völlig abstruse Fragen an den Macher gestellt werden, und man sich im Nachhinein fragt, an welcher Stelle ihrer Persönlichkeit diese Leute wohl erREICHt worden sind.Du jedenfalls bist nach meiner Sicht reich, wenn auch nicht an Geld so doch an Ideen und – es wäre zu mühsam, ins Detail bezüglich Deiner Schriftstellerei zu gehen – im Zusamensein und Erleben Deines Sohnes. Ich freue mich immer, wenn Du von euch berichtest.
    Herzlichst
    Barbara

    1. sprache geht nicht “leicht von der hand” dem, der um sie ringen muss wie Jakob, dem die hüfte brach als er mit seinem gott rang.
      von Kleist und Heym ist bekannt, dass ihnen das wort nicht geschmeidig von der zunge floss, die sätze Kleists erschüttern gerade deswegen, weil sie der sprache mühsam abgerungen sind.
      ganz anders z.b. Thomas Mann, dessen Settembrini die wörter wie knusprige brötchen aus dem munde fließen. “fließende brötchen” verursachen den gleichen ekel wie Manns schriften überhaupt, des schriftstellernden großkophtas, der sich mit viel weniger berechtigung als Ibsen schüler Goethes wähnte..

    2. Wissen Sie, Vunkenvlug. Wer den Mund gegen Thomas Mann aufmachen möchte, sollte erst etwas vorgelegt haben, das auch nur von ungefähr an seinen Doktor Faustus heranreicht. Vorher ist eher Scham angebracht.
      Kleist, da gebe ich Ihnen recht, m u ß die nicht haben. Aber jeder, der nicht selbst etwas vorweist oder vorweisen möchte, das sich messen lassen will.
      Ihr Ekel gegenüber Thomas Mann hat insofern – einstweilen – etwas Lächerliches. Aber warten wir ab, was Sie in die Waage zu werfen haben. Noch kann und mag ich dazu nichts sagen. Sie haben vielleicht recht, vielleicht unrecht. Keiner von uns, die Sie hier lesen, kann das sagen.

    3. aus einem anderen forum zu einem faden, in dem zu Mozart dilettiert wurde. ich fand den kurzbeitrag eben zufällig wieder und meine, dass er aus verschiedenen gründen hierher passt. auch dort benutzte ich bekannte namen wie metaphern, um mit ihnen etwas anderes als ein gepflegtes kulturgespräch zu führen.
      (dass der beitrag vor meiner kenntnis dieses forums entstand, bezeugt, dass mir das thema seit langem am herzen liegt, unabhängig vom aktuellen anlass. )

      30.01.2006 12:39 Uhr
      Auf “nur wer im Wohlstand lebt, lebt angenehm” (Brecht) antwortet Benn “Glück ist nicht im Wohlstand leben” und verfehlt das Thema, indem er die Metaphysik bemüht, um sich der handfesten Erkenntnis zu entziehen, dass ein jaches Glücksempfinden auch unmittelbar vor der Hinrichtung (beschrieben z.b. in Kleists Homburg) möglich ist, aber mit angenehmem leben nicht das Geringste zu tun hat.
      Gerade im zitierten Auszug der Interpretation mozartscher Musik wird mir deutlich, warum ich mit dem gängigen Mozart nichts anfangen kann (den Giovanni ausgenommen), wohl aber mit dem bürgerlich-revolutionären Beethoven, der keine private Augenblicksstimmung beschwört sondern ein gesellschaftliches Konzept der Freien und Gleichen feiert, dessen höchsten Ausdruck ich im Fidelio erkenne. Seine “namenlose Freude” muss sich mitteilen, sprengt den Rahmen der Individualität; das Herz gerät außer Rand und Band.
      Für einen Moment scheint es, wir wären des Paradieses wieder würdig geworden.
      [ende des selbstzitats]

      die für meine beiträge unübliche großschreibung benutzte ich, um nicht sofort wiedererkannt zu werden, wer mehreres von mir kennt und stilempfinden hat, erkennt mich trotzdem an einigen eigenheiten, die manchen maniriert erscheinen mögen.
      unausgesprochener hintergrund ist eine anekdote, die von Ernst Bloch berichtet, dass er am abend seines todes, wie bei ihm vorm schlafengehen üblich, in den Fidelio hineinhörte und am nächsten tag entschlafen aufgefunden wurde..
      im Fidelio erblickte er einen “vorschein” des paradieses, wie er, Bloch, sich in hegelscher manier mehrdeutig ausdrückte. und die bürgerliche revolution, die dieses werk wie kein anderes im deutschsprachigen raum verklärt, war wiederum der “vorschein” der allgemeinen, ein notwendiger zwischenschritt (oder ein “etappenziel”, um es blasser auszudrücken) auf dem weg zum kommunismus
      dass die bürgerliche revolution das blaue vom himmel versprach, aber blutig getränkt war, sowohl in England wie in Frankreich, gehört zur ambivalenz jeder revolution, wobei das mit dem “blut” nicht unbedingt wörtlich zu verstehen ist.

      die bedeutendheit eines werkes der kunst liegt nicht in seiner epischen breite sondern in der verdichtung und verknüpfung der motive. nicht umsonst sprechen wir von einem “text” wie von einem teppich.
      dass Sie meinen ausführungen nicht oder nur sehr eingeschränkt zustimmen können, liegt in der natur unterschiedlicher ansätze und den daraus abgeleiteten unterschiedlichen poetiken.
      mir liegt nicht daran, meinen namen bekannt zu machen, mit ihm unterzeichne ich nur, wenn es unumgänglich ist, z.b. offenbarungseide. mir gefällt es, immer wieder bei null zu beginnen. daraus empfange ich selbstbestätigung meiner negativen eitelkeit, die ich weder leugnen will noch kann. unter den gegenwärtigen literaten schätze ich z..b. Czernin, der ähnlich zu denken scheint, freilich begabter ist als ich es bin. (warum hat der nicht längst schon den büchnerpreis?)

      unter den traditionalisten des vergangenen jahrhunderts schätze ich besonders Musil, dem es in seinen besten texten, die leider ohne pfadfinderkunst schwer aufzuspüren sind, z.b. “atemzüge eines sommertages”, beinahe gelungen ist, die zeit stillzustellen und des uhrwerks gehäuse zu betrachten.
      “tief ist der brunnen der vergangenheit, sollten wir ihn gar unergründlich nennen?” ist für mich einer der verfehltesten einleitungssätze eines epischen werkes überhaupt. .

      episches schaffen ist mir nicht gegeben, ich bin zu nervös und zappelig dafür. meine einzige große anstrengung in dieser richtung, der versuch, den narzissmythos neu zu deuten, endete beinahe in einer katastrophe. diese aufgabe überforderte mich damals jugendlichen und ich weiß auch von keiner unternehmung, die einem so schwierigen thema gerecht geworden wäre, das höchstens Goethe selbst bearbeiten hätte können, wie der Tasso vermuten lässt.
      einen narzisstischen charakter vorzustellen ist aber was ganz anderes und leichteres als dies mit Narziss selbst zu wagen. dazu braucht es joycescher egomanie.

      freundlich grüßt
      vunkenvlug, den Sie künftig bitte mit zwei kleinen “v”s schreiben, sozusagen wie ein eingetragenes warenzeichen.

    4. das letzte buch der Sibylle,
      das unverständlichste und rätselhafteste,
      vielleicht eines der stille,
      wog der senat mit gold auf
      und ließ einen tempel errichten um die verbliebenen blätter,
      die dennoch verflatterten.

      diese verse sind in den wind gemeißelt.
      wie die der Sybille oder Susanne.

    5. mir fällt spät auf, dass ich hier zu ausgedehnt schreibe und vielleicht den blog versaue.
      damit dies nicht geschieht, biete ich meinen eigenen blog für weiterführende diskussionen an:

      http://vuvu.beeplog.de

      dort steht nichts überraschendes, könnte aber stehen, vorausgesetzt, es hält sich jeder an die netiquette.

      gruß vuvu

    6. Sie versauen Die Dschungel nicht, vunkenflug. Daß ich nicht eingehend antworte, antworten k a n n, liegt an meinem gegenwärtigen Zustand, der mich noch immer tief in SAN MICHELE verharren läßt.

    7. Die Dschungel ich glaube, in meiner kindheit mal ein buch von Rudyard Kipling gelesen zu haben, in dem er sich gegen das maskuline genus des wortes “dschungel” aussprach.
      heute fällt mir auf, dass ich damals kein wort englisch verstand und die genusfrage sich im englischen kaum stellt, wohl aber im deutschen.
      jetzt erinner ich mich an die reaktionen auf “Die Unheil”, deren titel als anstößig empfunden wurde, weil er genus mit sexus verwirbelte. das war den kritikern nicht bewusst, aber sie reagierten bilderbuchgetreu.

      ich vermeide vergeschlechtlichungen von wörtern, damit ich die sprache nicht unnötig verkomplizieren muss, will schließlich nicht, dass das deutsche sich nach dem vorbild des sumerischen in eine allgemein- und in eine frauensprache gabelt.
      eine sprache, die “das kind” und “das weib” kennt, “das mensch” gar, hat schon genug sünden auf dem kerbholz, frauen zu entsexualisieren.

      räbin und ich sprachen neulich über bäumebezeichnungen und stellten fest, dass sie mit ausnahme des ahorns alle weiblich sind. auch der holler macht da keine ausnahme, denn er geht auf eine alte zusammensetzung zurück und zusammensetzungen gelten nicht.

      das unheil ist nicht weiblich und der tod nicht männlich. obwohl “mynherr, der tod” macht schon etwas her.

Schreiben Sie einen Kommentar

Ihre E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahren Sie mehr darüber, wie Ihre Kommentardaten verarbeitet werden .