Sonnabend, der 24. September 2005.

4.46 Uhr:
[Nono, Stille, An Diotima.]
Nein, ich öffne heute früh nicht gleich Post, auch wenn mir an der Klärung dessen liegt, worüber ich mich gestern nacht noch ärgerte. Aber ARGO geht auch allem persönlich Wichtigen (mit Ausnahme meines Jungen) vor. Wobei mich auch schon solche Entscheidungen Energie kosten. Das ist freilich nicht so wahnsinnig zu bejammern, da ich genug davon habe.
War bereits zehn vor halb fünf wach; es gab gestern abend noch ein kleines Donnerwetter zwischen meinem Sohn und mir, weil er wieder einmal seine Hose im Hochbett auszog und nicht unten. Also war alles voller SpielplatzSand. Manchmal ist die Übernachtung gemeinsam mit dem Jungen eine PeelingTherapie. So, hinein in ein modernistisches Treppenhaus, dessen Gebäude insgesamt unter einem Denkmalschutz stehen, dem es egal ist, ob etwas unmenschlich war. Und etwas Menschliches entgegensetzen.

(Die Ratten, übrigens, Felix und Jonathan, die Adrian und ich heute abholen wollten, müssen noch ein wenig bei der Mama bleiben. „Sie trinken noch sehr viel“, hat mir >>>> die Züchterin gestern am Telefon gesagt. Als ich Adrian das erzählte, begriff er es sofort. „Weißt du, in der Milch einer Mama sind Stoffe drin, die es nirgendwo anders gibt auf der Welt. Und diese Stoffe machen ein Baby ganz stark und ganz gesund.“ Wir fahren jetzt also am nächsten Donnerstag nach der Schule hin und holen die Kleinen.)

7 Uhr:
[Dallapiccola, Volo di notte.]
“Guten Morgen!” ruft der kleine Junge. Und wutscht ins Bad. Kommt her, läßt sich Papas Trainings- (FrühmorgenArbeits)jacke anziehen. „Magst was frühstücken?“ „Nein, ich möchte erstmal den Teufel malen.“ Und schiebt mit leerem DIN-A4-Blatt und Bleistift erst einmal wieder in sein Zimmer ab.
[Den Teufel, weil wir gestern abend zusammen noch Ridley Scotts LEGENDE sahen, mit einem unvergleichlich sinnlichen Tim Curry als Teufel. Allein sein H u f hat es in sich!]

18.57 Uhr:
[Boccherini, La real camera.]
Immerhin morgens drei Seiten ARGO geschafft. Dann eine email-Nachricht wegen >>>> eines Artikels von Marius Meller im TAGESSPIEGEL bekommen: er lobe Kehlmann und lasse nebenbei gegen Biller und mich „das Blut spritzen“. Ich holte mir die Zeitung und fand, was da stand, dann eher belanglos; ein bißchen hämisch, na gut, ich habe Meller vor ein paar wenigen Wochen ja sozusagen auch aus dem Atamé gefeuert, jedenfalls nichts mehr von ihm wissen wollen. Was seine Gründe hat, über die ich vielleicht später einmal schreibe. Jedenfalls hält er sich nun öffentlich schadlos; so ist das halt mit der Feuilletonage. Was er Kehlmann sagen läßt (oder was Kehlmann wirklich gesagt hat, keine Ahnung), ist wirklich nur etwas… nein, nicht ‚dumm‘, aber doch von eingeschränkter Sicht. Es wären sonst auch Goethe, der späte Nabokov, Louis Aragon, André Breton, Max Frisch und viele viele andere Schriftsteller gewesen, die ihr Handwerk nur ungenügend verstanden; ich meine, bei solchen Urteilen wird ganz sicher auch ein Daniel Kehlmann vorsichtiger sein, als Marius Meller das nun darstellt.
Daß Marius Meller einmal ein starker Befürworter meines verbotenen Buches gewesen ist, bis ihm die Feuilletonage so kalt ins Gesicht blies, daß er an seine Karriere zu denken begann, steht auf einem anderen ein wenig peinlichen Blatt. Von der seinerzeitigen Einführungsveranstaltung im Literaturhaus Berlin, die Meller namentlich mittrug, existiert sogar ein Bandmitschnitt, der aus prozeßtechnischen Gründen wichtig war. Jedenfalls hatte der Herr Meller es damals noch nicht so sehr mit meinem mangelhaften Handwerk. Er scheint halt bisweilen wen zu brauchen, der ihn drüber aufklärt. Oder ihm Folgen bewußt macht.

Es gibt jetzt Abendessen, die Jungs haben Hunger; vom Nachmittag berichte ich Ihnen dann später. Mir war jetzt eben nur der Herr Marius Meller wichtig.

23.48 Uhr:
Schaff ich nicht mehr, vom Nachmittag zu berichten. Es gab viele Bilder, viel Schönes. Aber ich bin zu traurig. Und Adrian liest es ja jetzt noch nicht nach. Eines fernen Tages vielleicht, dann wird es ihm aber auch nicht darauf ankommen, daß ich von der Kinder-Zauberflöte berichte. Ich kann das jetzt nicht. Bin zu getroffen von vielem. Sehe zu viel Aussichtsloses. Kann und mag jetzt nicht so tun, als wäre alles okay. Das mit dem verbotenen Buch ist nach wie vor schlimm. Nicht wegen der Sache an sich. Sondern wegen der Häme, die von allen möglichen Seiten deshalb verteilt wird, die sich davon einen Vorteil versprechen – und ihn sehr wahrscheinlich auch ‚einfahren’ werden. Man kann letztlich nichts tun, als die Namen zu nennen. Sie an die Wände zu schreiben: wie es Borkenbrod tat, bevor er mit seiner Frau in Lough Leane einging.
Ich weiß, ich habe zu viel getrunken. Ich merke, auch Freunde, die mich aus Nähe warnen, wollen nicht genannt sein in diesem Kampf. Auch sie haben Angst. Es zieht sich vieles von mir zurück, weil Anpassung erwartet wird. Aber es wird keine Anpassung geben, nicht ästhetisch, nicht neo-und-scheinbar-moralisch. Da ist kein Gerhard Schröder in mir, dessen Häppchen sie alle so gerne aßen.

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