Das Private und die Kunst.

An eb:
Es geht mir aber nicht schlecht jetzt; ich habe das gerade im Dschungel-Tagebuch notiert. Nur eines schmerzt mich: Ich hätte gern, um dem Tag gerecht zu sein, das eine Bild ***’s und meines Sohnes mit eingestellt. Das traue ich mich nicht; es wäre, zum einen, anders als mein verbotenes Buch tatsächlich ein Übergriff, weil es mit Erkennbarkeit arbeitete; und zum anderen stellte es in Den Dschungeln etwas her, das so nicht stimmt – obwohl es in seinem realen Zusammenhang selbstverständlich gestimmt hat. Also sah ich, und das beklomm mich ein wenig, davon ab.

19 thoughts on “Das Private und die Kunst.

  1. bin froh, dass sie das bild nicht reingestellt haben. das ist mein thema, seit jahren, das privileg der öffentlichen rede, der öffentlichen darstellung. es gibt nur eine person, mit der sie
    schonungslos umgehen dürfen – und das sind sie selbst. ihr sohn ist zu klein, um ihnen sein einverständnis zu geben, ihn abzubilden. Meine schwägerin hat rechtsstreits geführt um die abildung ihrer tochter. sie können IHR privates öffentlich machen, aber woher nehmen sie das
    recht, das der anderen öffentlich zu machen? ich sehe mich ausserstande zu einer konsequenz, die unbeteiligte – “unschuldige” – in meine arbeit hineinzieht.

    1. Ich bin daran interessiert, was Produktivität – und w i e sie es – auslöst. Und auf welche Weise sich dann diese Beweggründe umsetzen. Seit Beginn des Moderne war es eine Bewegung der Kunst, ihre eigene Entstehungsgeschichte nicht nur zu protokollieren, sondern selber künstlerisch zur Darstellung zu bringen. Deshalb etwa schrieb Th. Mann “Die Entstehung des Doktor Faustus” – also ein (teils fiktives, teils sehr real grundiertes) Buch über die Entstehung seines wahrscheinlich besten Romans. Gustav Mahler komponierte die Entstehungsmodalitäten seiner Musiken spätestens seit der Dritten mit ein – in der Sechsten ist das so manifest, daß er das Thema des Andante-Satzes direkt als “Portrait Almas” benennt. Ich habe ein wenig den Verdacht, daß das auf eine thematische Erfindung Alma Mahler-Werfels selbst zurückggeht, die ja ebenfalls komponierte (und eine hochbegabte Schülerin Zemlinskis war; damals hieß sie noch Schindler). Es ist nicht unwahrscheinlich, daß Mahler, um seine vergötterte Frau in der Komposition nämlich gerade in einer Zeit sozusagen persönlich zugegen zu haben, als die Ehe zu zerbrechen drohte – daß er ihr die Erfindung also weggenommen hat, und zwar in dem Wissen, daß sie nicht die Fähigkeiten hätte, es auch nur ungefähr so perfekt und groß umzusetzen wie er selbst. – Sie hat sich später gerächt und nicht selten – vor allem in ihrem “And the Bridge is Love” – s ä m t l i c h e seine Kompositionen als eigentlich von ihr bewirkt ausgegeben. In gewissem Sinn ist, glaube ich, etwas daran.

      Meine Handlungen sind von anderen Menschen und durch deren Einflüsse stark bestimmt, wie sollte das anders mit meiner Kunst sein? Indem ich diese oben geschilderte ‘alte’ Bewegung der Moderne ganz bewußt wiederaufnehme, komme ich letztlich, wenn ich das darstellen und zugleich künstlerisch verarbeiten will, um ein Privates nicht herum, dessen Natur immer a u c h das Private der anderen ist. So sind die Gesetze der Wechselwirkung. Ich werde diesen Weg weiter verfolgen, ich habe die tiefe Ahnung, hier etwas ungemein Wichtiges zu tun. Daß ich dabei auf Widerstände stoße, ist nur selbstverständlich. Daß ich dabei verletze, auch. Meine einzige (moralische, nicht künstlerische) Rechtfertigung besteht darin, daß ich mich selbst aus diesem Prozeß nicht hinausnehme und auch bereit bin, dafür ins Gefängnis zu gehen, etwa aufgrund einer Beugehaft, sollte man mir nämlich Strafen aufbrummen, die ich wegen meiner Finanzlage nicht bezahlen kann. Dieses Schwert kreist ja längst über mir, wegen des verbotenen Buches. Mein Anwaltsfreund G. ist mehr als alarmiert über Die Dschungel; er würde das ganze Weblog am liebsten abschaffen – aus Sorge, auch aus juristischer Sorge, um meine Zukunft. Biller verhält sich bezüglich s e i n e s Prozesses – justizstrategisch betrachtet – sehr viel klüger als ich und äußert sich g a r nicht. Ich wurde von den Anwälten fast beschworen, das ebenso zu halten. Und ich habe ihnen in gleichem Sinn entgegnet wie nun Ihnen. Das heißt aber auch, daß ich vor einer Öffentlichungmachung dort absähe und absehe, wo ich spüre, es liegt letztendlich ein sentimentaler Grund vor. Will ich meiner eigenen Sentimentalität als Ursache einer Kunstbewegung nachspüren, finden sich geeignetere ‘Gegenstände’. Hätte ich also, ohne sie zu fragen, ***’s Bild eingestellt, wäre das ein unnötiger Übergriff gewesen. Und hätte überdies etwas konkretisiert, das ich ganz bewußt literarisch halten möchte; nämlich in d e m Sinn: Was ist an dem, was mich zur Kunst und s o zur Kunst treibt, möglicherweise allgemein. Da es aber Menschen gibt, die *** von Aussehen überhaupt nicht so schön finden wie ich, kann es ihr Gesicht nicht s e i n. So tief es auch jedesmal in mich eindringt, begegnet es mir.

    2. das ist ein hübscher kleiner aufsatz, lieber herbst. aber sie haben mir nicht geantwortet. woher nehmen sie das recht, wer hat sie autorisiert (gott? die kunst?), die, die sie lieben, und die, die sie bumsen, und die, die sie nicht mögen, namentlich und detailgetreu ins scheinwerferlicht zu zerren, und das, obwohl es jene nicht ins scheinwerferlicht dr ä n g t? ich finde, kein künstler darf sich selber schonen oder schützen. alles andere ist nicht auf seinem tisch. der rechtsstreit um die tochter meiner schwägerin wurde geführt, weil es nötig war, nicht wegen des zusammenhangs. wird ein kind einer “relativen person der zeitgeschichte” einmal widerspruchslos in medien gezeigt, darf es von da an IMMER fotografiert und abgebildet werden.

    3. Es ist keine Frage des “Rechts”. Als Ovid die Matarmorphosen schrieb, handelte er objektiv g e g e n römisches Recht. Gegen geltendes Recht verstieß übrigens auch, wer im Dritten Reich projüdisch schrieb (und handelte). Recht ist eine Frage der Übereinkunft von vielen. Ich folge der Maßgabe meines künstlerischen Gewissens; wenn das mit geltendem Recht in Konflikt gerät, werde ich nicht klagen, wenn ich Konsequenzen ziehen muß; aber ich werde kämpfen. Nach objektiv in Deutschland geltendem Recht darf mein verbotenes Buch nun nicht mehr ausgeliefert und vom Verlag und mir in keiner Weise beworben werden. Ich halte das für nicht nur falsch, sondern auch für verhängnisvoll. Das geltende Recht sieht hierzulande derzeit eine massive Stärkung des Privatrechts vor und setzt sie auch durch – wobei die Hintergründe diejenigen sind, daß Privatrecht nach dem HGB und BGB eben auch F i r m e nrecht ist. Die (etwa für den Barock absurde) Stärkung des Urheberrechts zielt in die gleich Richtung: Würde heutiges Recht auf, sagen wir, Händel oder Bach angewandt, wäre uns ein Großteil der für unsere Kultur wichtigsten Arbeiten verloren.
      Selbstverständlich ist all dies auch für mich – also was die Darstellung anderer in meinen Arbeiten anbelangt – eine reine Frage der Abwägung: Was gewinnt ein Werk, wenn ich es tue, und was verliert es, wenn ich es nicht tue. Nur danach darf ich entscheiden. Abgesehen davon “zerre” ich niemanden in die Öffentlichkeit, die oder der nicht ohnedies schon darinsteht. Wenn ich Klarnamen und klare Zusammenhänge verwende, ist das abgesprochen oder die mit Klarnamen verwendete Figur eine völlig andere als die “tatsächlich” existente. Ich halte das lediglich anders, wenn ich bewußt in die Attacke gehe (eine solche Bewegung, ganz massiv, findet sich etwa bei Karl Krauss oder den frz. Surrealisten). Tue ich das aber so, wundere ich mich auch über Gegenattacken nicht.
      Hierneben waren für unsere Kultur – und unsere kulturelle Anthropologie – grundlegende Texte, z.B. Dantes Göttliche Komödie, auf e i n e r Ebene insgesamt nichts anderes als Abrechnungen mit verhaßten Personen, sei’s des rein-persönlichen, sei’s des öffentlchen Umgangs. Für Shakespeare gilt das gleiche. Bei Thomas Mann hätte es, aber das wissen Sie, fast einen Prozeß mit Gerhard Hauptmann gegeben; Lübeck kann Mann heute noch nicht richtig leiden. Die Frage, die Sie stellen, hat also eine ziemlich lange Tradition.
      Für mich würde immer gelten: Ist das, was jemand macht, g u t gemacht. Alles andere steht für mich dahinter zurück, und zwar auch dann, wenn ich selbst Gegenstand solcher Publikationen wurde (was der Fall war).

      Verfolgt man I h r e n Weg weiter, dann landen wir schließlich bei einer völlig ‘politisch korrekten’ Kultur und damit zum Ende der Kunst, was wohlgemerkt nicht das Ende der Unterhaltungsindustrie ist. Und Ihr Satz, Sie dürften nur mit sich selbst so umgehen, setzt voraus, daß Sie selbst autonom sind. Das halte ich – für jeden Menschen, auch für mich – für einen erkenntnistheoretischen Irrtum. Er ist sehr jung und entstand zeitgleich mit den Nationen, dem ‘freien’ Handel und der Verdinglichung von Welt als Ware. – Ich meine das nicht theoretisch abgehoben, sondern f ü h l e auch so. Aber ich respektiere Ihre Haltung. Sie ist bloß nicht die meine.

    4. sie wollen mich nicht verstehen? ich rede nicht von recht und gesetz, ich rede von etwas altmodischem, was man herzenbildung nennen könnte. ich rede davon, und sie werden sich sicher schon mit agape, mit dem atman, befasst haben, dass alles, was wir sagen, das leben anderer verändert, auch wenn s nur „guten
      tag” ist oder “blöde sau”.
      ich will nicht unken, aber theoretisch können sich aus dieser schonungslosigkeit, die sie sich ja nicht nur sich abverlangen, sondern auch anderen, konsequenzen ergeben, die sich gar nicht überschauen können, weil sie niemand überschauen kann.
      ganz sicher rede ich nicht über political correctness; mich dessen zu bezichtigen, wäre regelrecht absurd. aber, gut, im eifer des gefechts, so mitten im pseudo-juristischenvortrag—
      sie haben mich nicht überzeugt. sie sprechen nicht mit dem herzen. ich kann sie nicht hören. Ich höre nur worte, fallstricke, rechtfertigungen, mit genervtheit und aggression gemischt.
      das muss nicht sein.
      der diskutierte konflikt ist mir wohlbekannt.
      aber.
      wen ich liebe, den schütze ich.

    5. Damit bin ich völlig einverstanden. Ich habe noch in keinem meiner Bücher jemanden, den ich liebte, “ans Messer” geliefert. Wo sollte das etwa in Den Dschungeln vorgekommen sein? Und in dem verbotenen Buch nun g e r a d e nicht. Ich habe dem Kläger sogar, lange bevor der Roman erschien, immer wieder Auszüge zugeschickt, ich habe ihm sogar noch vor dem Lektorat das ganze Buch zu lesen angeboten; er wollte aber nicht, sondern hat expressis verbis geschrieben: “Ich will das erst lesen, wenn es erschienen ist.” Was immer ich in darin nun formulierte, schrieb ich aus einer Haltung von Respekt und Leidenschaft, beides ineinander verquickt. Wo ich auch nur ahnen konnte, es sei jemandem nicht recht, habe ich Namen, Orte, Umstände umgeschrieben, teils erfunden, teils völlig modifiziert. Aber die Geschehen selbst, die zu beschreiben, darum komme ich nicht herum.
      Gegen den pseudo-juristischen Vortrag verwahre ich mich; ich rede hier aus einer ausgesprochen nahen Erfahrung. Und ich spreche sehr wohl mit dem Herzen. Ihre Meinung ist mir allerdings vertraut: Es scheint den Menschen nicht einzugehen, daß Theorie und Herz einander, jedenfalls in mir, nicht ausschließen, sondern zueinandergehören. Genauso wie meine Arbeit und meine innerste Person.
      Ich verstehe außerdem die “Messer” nicht, von denen Sie sprechen. Welche meinen Sie? Die Meinung von Mitbürgern? Oder die ‘öffentliche Meinung’, die bereits Offenbach aufs Korn nahm? Das kann es doch wohl nicht sein.
      Es gibt in keinem meiner Bücher auch nur eine einzige Person, die ich je denunziert hätte. Auch keine Figur. Ich täte das nicht einmal da, wo ich privat sehr wohl verachte. Sondern auch da, gestalte ich eine solche Person, suche ich immer nach Gründen, die geradezu restlos emphatisch sind. Und wenn ich d o c h einmal denunziere, dann so, daß das Ergebnis eine Kunstfigur ist, die sich sehr weit von der realen entfernt hat. Ich habe darüber einen kleinen Dschungel-Beitrag geschrieben: Es g e h t gar nicht, daß ich nach Gutdünken in einem Text entscheide, sondern der Text zwingt mir eine Form auf, in die sich die Figuren geradezu selbsttätig – und oft gegen meinen Willen – bewegen.

    6. aber woher w i s s e n sie denn, dass sie nie jemanden denunziert haben? sie haben doch nur ihre eigene wahrheit – eine von hunderttausenden. sie können sogar jemanden nach ihrem ermessen höchst schmeichelhaft erwähnen und damit unheil anrichten.
      ich will sie nicht angreifen. es interessiert mich, weil ich mich seit jahren damit auseinandersetzen muss.
      Aber die Geschehen selbst, die zu beschreiben, darum komme ich nicht herum.warum nicht? sie kommen nicht drum herum, also dürfen auch die anderen
      beteiligten nicht drumherum kommen?

      wie schützen sie ihren sohn, wenn sie ihn abbilden? wissen sie, wieviele irre es da draussen gibt? wer sich in die öffentlichkeit begibt, kommt darin um. und das weiss er ja auch, wenn er schlau genug ist. aber muss er andere mitzerren?

    7. Zu denunzieren bedeutet: a b s i c h t l i c h jemanden hämisch oder für ihn schädlich dazustellen. In d i e s e m Sinn habe ich nie denunziert. Daß jemand etwas anders auffassen kann als ich, will ich gar nicht bestreiten; aber wenn ich das grundsätzlich berücksichtigen will, was ich im übrigen gar nicht k a n n, da ich nie weiß, was jemanden subjektiv verletzt und was nicht, – wenn ich das also berücksichtige, kann ich überhaupt nicht über Menschen schreiben. Von manchen Darstellungen in Büchern oder Filmen sind nicht wenige Personen verletzt, die mit diesen Büchern und Filmen nicht das entfernteste zu tun haben: Es verletzt sie bereits (und sie laufen Front gegen sie), daß es sie g i b t. Auch das hat, in I h r e m Sinn, sein Recht. Also auch das Verbot, sagen wir, Henry Millers oder Jean Genets.
      Ich weiß, daß dies eine heikle moralische Grundfrage ist; die einzig klare Position, die ich dazu einnehmen kann, ist diejenige: Inwieweit ist jemand, der etwas tut, auch bereit, dafür die Konsequenzen zu tragen. Das heißt nicht, daß er sich ‘ergibt’, aber das heißt, daß ich Haltung erwarte, auch von mir selbst. Zu dieser Haltung gehört, daß Menschen, an denen mir gelegen ist, mich – aus m e i n e r Perspektive gesehen – mit Entzug bedrohen oder sie sich gar gänzlich von mir abwenden,wenn ich so handle, w i e ich handle. Das muß ich dann tragen.
      Denn: Hier stehe ich und kann nicht anders.

      Und was meinen Jungen anbelangt: Irre laufen draußen zu Tausenden herum, aber dazu braucht es nicht Die Dschungel, um die zu holen; es wäre im Gegenteil eine Form der Selbstüberschätzung zu glauben, ausgerechnet s i e lockten diese Irren an. Das käme mir so absurd vor wie jemand, der in einem tiefen Wald die Furcht hat, von einem Fremden vergewaltigt zu werden; diese Furcht ist in Städten sehr viel berechtigter; im tiefen Wald kommt vielleicht jedes halbe Jahr mal einer vorbei.
      Insgesamt aber möchte ich Ihnen mit Biermann antworten, mit einem seiner g u t e n Sätze, noch ganz zu Anfang seiner West-Karriere: “Wer sich n i c h t in Gefahr begibt, kommt darin um.” Tatsächlich hat es unterm Emblem des Privaten sehr viel mehr gewaltsame, allerbrutalste Übergriffe gegeben, als jemals in der Öffentlichkeit: Da ist man nämlich immer beobachtet.

      Mich interessiert, was in uns vorgeht, was uns bewegt, was uns in Gang bringt und uns irren und richtiggehen läßt Alles, was ich schriebe, wäre sonst Onanie. Oder aber ich konzentrierte mich rein auf mich selbst, zöge mich – wie ein Einsiedler – völlig zurück, beobachtete nur noch mich und das, was ich tue, denke, fühle… sowas Handkesches also. Dann wäre das, was ich schriebe, völlig für die Katz und ohne jeden Aussagewert. Ich bin ein soziales Geschöpf, ich will auch kein Autistendasein; aus dieser meiner Haltung ergeben sich Konsequenzen, sofern ich denn künstlerisch, das heißt öffentlich, tätig bin.

    8. eins noch: aber das heißt, daß ich Haltung erwarte, auch von mir selbst.that’s exactly where i’m losing you: sie können NUR von s i c h haltung erwarten oder verlangen, von niemandem sonst. meine meinung.

    9. mir geht das nach. vornehmlich deswegen, weil wir uns gar nicht streiten müssen. sie sind eben so, ich bin eben anders, und eine annäherung ist vollkommen unmöglich. ihre letzte antwort zeigt das sehr schön. sie schrieben sinngemäss: ich erwarte das eben auch von anderen. basta.

    10. Wenn Sie eine Annäherung für vollkommen unmöglich halten. Dann ist das wohl das Ende dieses Kommentarwechsels. Denn dann müssen Sie der Meinung sein, daß das verbotene Buch verboten gehört, auch wenn Sie den Roman, wie Sie mir selbst einmal schrieben, für ‘großartig’ halten. Denn ganz offensichtlich h a t er jemandes Empfindungen verletzt, und deshalb hätte er, folgt man Ihrer Meinung, nicht veröffentlich werden dürfen. Das gleiche gilt für jedes andere Buch, jedes andere Bild und auch jeden anderen Film, der das tut. Mir ist insofern nicht recht klar, wie Sie das in sich mit Ihrer mir einmal geschilderten Begeisterung für Fassbinder in eins bekommen, der ja nun ein ganz besonderer Kandidat in Bezug darauf gewesen ist, die Empfindungen anderer Leute zu verletzen. Denken Sie nur an die große Auseinandersetzung um sein Stück am Frankfurter Schauspiel in den Siebzigern: “Die Stadt, der Müll und der Tod.”

      Daß ich “das” auch von anderen erwarte, hängt nicht zuletzt damit zusammen, daß auch andere an mich Erwartungen haben, und zwar keine geringen. In diesem Zwischenfeld ist abzuwägen und zu entscheiden, und zwar ständig. Ich kann aber nicht von einer allgemein verbindlichen Norm ausgehen, weil eine solche alles künstlerisch Mögliche auf ein kleinstes gemeinsames Vielfaches reduzieren würde, das gerade d i e Kunstwerke aus der Kultur hinauszensierte, die auf Überschreitung, wie Foucault das nannte, aus sind.Und das sind nun tatsächlich so gut wie alle großen Werke gewesen. Das Mittelmaß freilich bliebe erhalten. In einer solchen Welt würde ich für meinen Teil nicht mehr arbeiten, also nicht mehr dasein wollen.

    11. den wahrheitsgehalt ihres verbotenen buches kann ich nicht einschätzen. ich hab nicht die lampe gehalten, ich weiss nicht, ob wirklich sperma aus töpfchen getrunken wurde. aber ich weiss, dass grossartige bücher entstehen können, ohne dass man andere verrät. ich bin überhaupt nie der meinung, dass irgendwas verboten gehört. ich versuche, mich mit menschen zu umgeben, die erkennen, dass, was immer sie grosses verlangen, sie nur von sich verlangen können, nicht von anderen. nur von sich selbst. wer das nicht versteht, verstehen will oder akzeptiert, der verletzt, und es ist ihm egal.
      sicher hätte ich mit fassbinder, wären wir einander begegnen, genauso diskutiert. aber ihre beiträge, die ich nun noch mal durchlese, zeigt in jedem punkt, dass sie im besitz der wahrheit sind, ich dagegen verbohrt und ihren offenen und wunderbaren argumenten gegenüber unaufgeschlossen. sie führen diese art von streits, das machen alle dominanten menschen. es
      fruchtete nur nichts, in meinem fall.
      sie haben meine sympathie und mein interesse. ich interessiere mich für ihre arbeit. aber ich spring nicht aus dem fenster, wenn sie mir hier – und ich empfinde das so – ein ultimatum stellen, das in etwa heisst: versteh mich oder geh.

      es ist vollkommen gegenstandslos, was andere für erwartungen an sie haben. und die erwartungen, die sie an andere stellen, sind naturgemäss zu hoch, werden also naturgemäss enttäuscht. das resultat: die welt versteht mich nicht. ich rede von herz, sie von zensur. ich rede von diskretion, sie von political correctness.

    12. Ich bin keineswegs im Besitz der objektiven Wahrheit, von der ich eher annehme, es gebe sie gar nicht. Sondern ich diskutiere. Wenn ich hinter jede meiner Einlassungen sogleich ein Fragezeichen setze, können wir die Diskussion gleich sein lassen. Zu Diskussionen gehören Argumente, und die suche ich derzeit zusammen – was auch mich selbst klärt und vielleicht, im Idealfall, zu einer gegenseitigen Klärung beitragen kann. Ich stehe mit meiner ganz speziellen Ästhetik in einem Kampf und habe eine Position, die ich verteidige.
      Was das verbotene Buch anbelangt, so müßte es Ihnen doch zu wissen reichen, daß jemand gegen den Roman prozessiert hat und weiterprozessiert, daß also eine Verletzung v o r l i e g t. Daß sie als eine solche empfunden wird, habe ich auch vor Gericht nie bestritten; das kann tatsächlich so sein. Das hebt aber den Grundkonflikt zwischen dem privaten Bedürfnis nach Diskretion und der künstlerischen Bewegung nach Darstellung nicht aus den Angeln. Der Konflikt ist objektiv. Deshalb wird er vor Gericht ja auch verhandelt.

      Auch h i e r, finde ich, denken Sie zu einfach:
      wer das nicht versteht, verstehen will oder akzeptiert, der verletzt, und es ist ihm egal.Das ist so nämlich nicht wahr, weil es mit einem ziemlichen Schmerz erkauft wird. Oder glauben Sie, es ist die reine Lust für mich, Romane wie das verbotene Buch zu schreiben? Das tut verdammt weh. Aber wenn ich künstlerisch konsequent sein will, g e r a t e ich – jedenfalls in m e i n e r Arbeit, die eine ausgrabende ist – immer in solche Konflikte und habe die nicht nach meinen persönlichen Hoffnungen und Wünschen zu entscheiden, sondern ganz allein nach der ästhetischen Notwendigkeit. Hätte ich das verbotene Buch anders geschrieben, es hätte sich nicht diese eigenwillige poetische Gerechtigkeit hergestellt, die in dem Roman imgrunde ganz auf der Seite Irene Adhanaris steht und eben n i c h t auf derjenigen Fichtes. Persönlich sehe ich das völlig anders, persönlich nähme ich – einmal angenommen, ich wäre mit Fichte identisch – Irene vieles von dem sehr übel, was das Buch ganz zu ihren Gunsten darstellt.

  2. Was ist Öffentlichkeit, was ist Liebe? An eb:

    Ich finde Ihre Form der Diskussion ein wenig befremdend.
    Was soll dieser Spruch: wen ich liebe, den schütze ich? Diese Form ihrer Argumentation im Zeichen der Liebe empfinde ich als einen Missbrauch dieser für ihr eigenes moralisches Denken.
    Im übrigen vermischen sie häufig ein moralisches mit einem rechtlichen Recht in ihrer Diskussion.
    Wer gibt ihnen das Recht zu bestimmen was überhaupt Öffentlichkeit ist. Öffentlichkeit ist es auch, wenn sie oder andere Menschen sich auf der Straße zeigen. Fragen sie z.B. ihr Kind erst ob es sich dieser Öffentlichkeit aussetzen will – und das noch im Zeichen der Liebe.
    Wo beginnt Öffentlichkeit und wo endet diese? Was ist Teil einer Öffentlichkeit. Anders herum könnte man genauso moralisch diskutieren, was ihnen das Recht gibt, die “Größe” von Öffentlichkeit zu definieren und anderen diese vorzuschreiben. In bestimmten Kulturen müssen Frauen verschleiert herumlaufen, weil der Begriff der Öffentlichkeit noch moralisch enger aufgefasst wird.

    Was ist eigentlich an Öffentlichkeit gut oder schlecht? Stellt Kunst nicht immer eine Form der Veröffentlichung dar? Ich meine, Kunst wird erst zur Kunst durch die Veröffentlichung.

    Jetzt könnte ich andersherum fragen, wie sie einerseits Kunst sicherlich schätzen, andererseits, wehe sie sollen ihren gesellschaftlichen Beitrag an dieser Leisten. Dann kommt offensichtlich die moralische Keule. Dürfen Papa und Mama nicht sehen, dass sie auf dem Spielplatz waren? Oder was oder wen wollen sie denn eigentlich schützen? – so wie die Männer bestimmter Kulturen sich vor ihrer eigenen Geilheit, in dem sie die Frauen verdecken und damit im Zeichen der Moral diese wie sie offensichtlich die Kunst sanktionieren. Oder andersherum, geht es um sie oder um die anderen?

    Einige meiner Freunde sind Fotografen. Keine der auf ihren Homepages erschienenen Bildern von Menschen passierte mit der direkten Zustimmung dieser. Ich denke, das Internet gehört zu einem Teil in die “normale Öffentlichkeit” besonders die der Kunst.
    Ich habe den Eindruck, es geht bei den Sanktionen nicht mehr um dieses Thema, sondern direkt gegen Herrn Herbst und die Verhinderung seiner Kunst. Genau das hatten wir schon in allen gesellschaftlichen Epochen.

    1. Also d a r u m geht es eb ganz gewiß nicht:
      Ich habe den Eindruck, es geht bei den Sanktionen nicht mehr um dieses Thema, sondern direkt gegen Herrn Herbst und die Verhinderung seiner Kunst.
      Sondern dieser Argumentationswchsel wird nicht nur geführt, sondern auch in Den Dschungeln publiziert, weil beide Briefpartner der drängenden Ansicht sind, in ihm werde etwas für das Verhältnis von menschlicher Existenz und Publizität Grundlegendes verhandelt. Ganz offenbar sehen das auch die Gerichte so; deshalb wird gestritten. Wir klopfen Gründe und Ursachen ab, zu denen auch persönliche Empfindlichkeien und Überempfindlichkeiten gehören, und zwar zu Hunderttausenden und zu Hunderttausenden mit vollem Recht. Nämlich Ihren, die meinen, eb’s, des Klägers, der Richter, der Anwälte und sämtlicher irgendwie mit einem ‘Fall’ verknüpften anderer Personen. Das macht die sowohl moralische wie juristische Auseinandersetzung derart heikel. Künstlerisch stellt sich eine andere Frage: Wenn die Moralverfassung einer Gesellschaft etwas bestimmt, dürfen dann Einzelne – Wissenschaftler, Künstler, irgendwelche Visionäre – diese Moralverfassung ignorieren, bzw. verletzen? Müssen Sie das nicht vielleicht sogar? Oder wäre es lediglich ein Vorwand? Hierüber streitet der Briefwechsel.

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