Argo. Anderswelt. (32).

Ungefugger drückte abermals die Hand gegens fehlende Ohr. Über einen jähen Moment zuckte ein so heftiger Schmerz durch seine linke Wange, daß die Minister den Anfall bemerkten und alle schnell zu Boden sahen. Sie wußten gut, ohne das wären sie in ihre Ressorts entlassen. Frau Luysmans, um die Not des Präsidenten zu überspielen, erhob sich bereits und sprach Giovanni Crescenzo auf die kartellrechtliche Behandlung der prekären Verhandlungen an, die Martinot mit Mädle führte. Ein neuerlicher Anfall, Ungefuggers Augen verdrehten sich und sein Gehirn geriet kurz in Gefahr, sich selbst zu vereisen. Der ganze mächtige Mann eine einzige Katalepsie. Man konnte schon verstehen, daß ihn nichts so quälte wie Musik. Auch Crescenzo erhob sich, dem folgten von Zarczynski und Prunier. Schließlich saßen nur noch Fischer und Ungefugger selbst. Alles andere geriet ins Gespräch, während der Präsident hinter seinem Schreibtisch in ein Leeres starrte, aber akustisch war er in einen Feuersturm gewirbelt, der ihn mitten in den alten SchänderOsten stellte, in den Osten der Hundsgötter und der wütenden Frauen. Aber das wußte er nicht. Und wußte nicht, daß alle Harpyien sich so fühlten. Daß es das Feuer ihrer biomechanischen Wut war, ihm zumindest entsprach. Er hatte momentan ohnedies keinen Raum, etwas zu wissen.
Schulze stand n i c h t mehr. Er bückte sich, bückte sich zu Ungefugger hinunter, eine Spritze in der Hand. Vorsichtig schob er dem Präsidenten links Jackett- und Hemdsärmel hoch. Es war nicht häufig nötig, daß er eingriff, meist bekam sich Ungefugger ganz von alleine in die Gewalt. Deshalb hatte Schulze die Momente abgewartet. Er wußte, wie tief es Ungefugger haßte, auf anderer Leute Hilfe angewiesen zu sein, ja, er verübelte es ihnen noch lange im Nachhinein, daß und wenn er sie hatte entgegennehmen müssen. Er höre jetzt, wußte Schulze, tagelang kein freundliches Wort mehr. Auch die Minister, übrigens, bekämen für lange keines zu hören. Denn es demütigte den harten Mann ganz ebenso, wurde jemand Zeuge seiner Schwäche. Insofern war er, als das Anästhetikum wirkte und langsam sein Bewußtsein zu sich kam, ausgesprochen erleichtert darüber, das Kabinett in konzentrierten Diskussionen zu sehen. Zu sehen, richtig, denn er hörte momentan nichts, das sollte die Spritze ja bewirken. Dezent ließ Schulze das kleine medizinische Instrument, auf dessen Spitze schon die Kappe gesteckt war, in seine rechte Jackentasche fallen. Und stand, eine Skulptur, schon wieder da. Nur Fischer, außer seinem Präsidenten, saß noch, doch machte er sich immerhin Notizen.
„Meine Damen und Herren, das war es für heute früh.“
Ficher sah auf, räusperte sich, schloß den Notizblock. Erhob sich. Die anderen wünschten einander einen guten Tag, als sie mit ihm Ungefuggers Arbeitszimmer verließen, dreie glichen vor der Tür noch schnell gemeinsame Termine ab. Dann hatte der parlamentarische Alltag begonnen. Der Präsident indes, indem er einen sinnenden Blick auf das Fallerhäuschen warf, murmelte ruppig und mehr für sich selbst als an Schulze gerichtet: „Ich will in spätestens zehn Minuten Skamander bei mir sehen.“

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