Argo. Anderswelt. (31).

Man wohnte längst simuliert, das sparte nicht nur die Putzfrau. Röhren aus Energie leiteten Wasser, es kam nicht einmal mehr heiß aus dem Hahn: an die Stelle der Durchlauferhitzer waren Kühlaggregate gerückt. Die über Hunderte Quadratkilometer hochgezogenen, dich aneinanderstehenden, meist quaderförmigen Arkologien, die so sehr an Transistoren auf überdimensionierte Schaltplatinen erinnert hatten, waren nun von fantastisch in sich gedrehten, jedem irdisch-gravitativen Gesetz spottenden und dennoch von Tausenden bewohnbaren Gebilden überwachsen, teils sogar ersetzt worden. In Salamanca gab es – im Volksmund „die Bollen“ genannt – dichte Mietskomplexe wie silberne, raumschiffhafte Kugeln, die wie auf Stengeln auf kaum menschbreiten in den Himmel ragenden Schäften standen, etwa der von Tallinn ganze 314, der von Pudong sogar 520 Meter hinauf. Die Kugeln schwankten in jedem Wind, was für die Einrichtungsgegenstände, da teils selbst im hodnischen Feld erzeugt, teils in ihm gut ausbalanziert, unproblematisch war, und die Menschen, hatten sie sich erst einmal daran gewöhnt, fühlten sich nirgendwo besser; die ständige, meist nur leichte Schaukelei lasse in ihnen, so erklärten Psychologen den run auf diese Wohnungen, ein pränatales, geborgenes Glück erstehen. Über Udelnaja lagen Behörden wie beschirmende Flügel, das Arbeitsamt etwa, der Kultursenat. Die Technologie hatte den Nachbau der Akropolis möglich gemacht und übertraf die vor der Großen Geologischen Revision unternommene Restaurierung durch Markos Toufeklis an Genauigkeit und Schönheit um ein Vielfaches, ja es war der gesamte Parthenon mit Hilfe der Computergrafik als ursprünglicher Bau in die Gegenwart herübertragen, man spazierte durch ein steinernes Weiß, als wäre die Tempelanlage Marmor wie einst. Man konnte es anfassen, doch nichts davon brechen: Das Kraftfeld hielt die Form. In Slim City weitete sich Frank Phersons Medienbau in die Gestalt eines kleinstadtgroßen Computerbildschirms, auf dem – das war bis Würzburg, ja Salamanca zu sehen – unentwegt die jeweils neueste Telenovela lief, allerdings tonlos, weil zum einen die Anwohner protestiert hätten und weil diese Werbung vor allem als Anreiz gedacht war, das bilderzählte Produkt auch zu kaufen. Schließlich gab es das sogenannte Thetis-Museum der ESA, das die Schiff-, vor allem aber die Raumfahrt dokumentierte, ein ganzer Mondkrater war darin in Originalgröße durchkletterbar nachprojiziert, man konnte ein Mondwerk besichtigen, in dem tatsächlich Holomorfe den Bergbau betrieben. Man bekam dabei schmutzige Hände, das Schuhwerk nutzte sich ab und b l i e b abgenutzt, sofern nicht seinerseits hodnisch produziert.
Bei so viel materialisiertem NIRGENDS WIRD WELT SEIN, GELIEBTE, ALS INNEN wirkte die Vision einiger Konservativer, die eine dingliche ECONOMIA projektierten, nicht nur unzeitgemäß, sondern lächerlich. Anfangs lachte auch der halbe Europarat, lachte mit seinem auf das Dossier mit nichts als Spott reagierenden Präsidenten. Drei Achtel der Abgeordneten schwiegen. Dann jedoch stellte sich nicht nur Hugues hinter das Vorhaben – das war aus Gründen der alten Wirtschaftsfeindschaft gegen Ungefugger zu erwarten gewesen. Sondern es schlugen sich auch Karpov und Martinot, die schon gegen die Wahrheitsimpfung opponiert hatten, außerdem der Freiherr Balat von den Macardbanken zur Konservativen. Schon war ein neuer Widerstand gegen das Europäische Kabinett losgetreten, es ging imgrunde nicht um die Sache selbst. Nicht denen jedenfalls, die schließlich entschieden. Markus Goltz aber doch.

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