Profanierung vs. Hoher Ton. Von Pfaller (5).

Alles, was an den Zauber der Kunst erinnert – das Extravagante ihrer Formen, ihr Glamour, der Starkult, das Ekstatische, Exzessive, Auratische, Überraschende, Hinreißende, Obsessive, das Charisma, die Ansprüche auf Größe und überzeitliche Geltung – all das wird nun mißtrauisch beäugt, wenn nicht bekämpft und aus dem Betrieb ausgeschlossen; ganz so, als hätte man soeben zum ersten Mal in der Geschichte erkannt, daß es sich dabei nicht um Wahrheiten, sondern um Mythen handelt. Die früheren Habitusformen der Kunst werden nunmehr als autoritär und übertrieben feierlich betrachtet, und darum erlebt und feiert man jenes Programm, das der Kunstheoretiker Wolfgang Ulrich unter der Maxime „Tiefer hängen!“ treffend zusammengefaßt und analysiert hat, als eine Befreiung.
(…)
Die Strategie der Postmoderne bestand im Versuch, dem Prinzip der Autorschaft auszuweichen (z.B. durch kollektives Arbeiten oder Publikumsbeteiligung). Denn sie erblickte in der inividuellen Autorschaft eine narzißtische Pose – und Anspüche auf eine selbsttransparente Subjektivität, die durch die Kritiken von Psychoanalyse und Strukturalismus philosophisch überholt schienen (…).
Die Moderne der klassischen Avantgarden (…) hatte jedoch zuvor bereits das Gegenteil bewiesen.; gerade durch indiviuelle Autorschaft wird „kopfloses“ Gestalten (das die Gruppe um Georges Bataille als „acéphale“ bezeichnete) möglich. Zum Autor werden heißt hier daum, sich als Autorenperson auflösen und unpersönlich werden – wie es Giorgio Agamben in einem schönen Essay über das Genie bemerkt hat (…). Wenn man in der Kunst der Avantgarde (selbst) spricht, dann um (von etwas anderem) gesprochen zu werden. Und nur wenn jemand die Rolle des Autors übernimmt, kann das zustande kommen, was Roland Barthes den „Tod des Autors“ genannt hat (…): eine unpersönliche, von jeglicher Individualität abgekoppelte artifizielle Stimme, die (in welchem Medium auch immer) einen bestechenden Text spricht.
(…)
Alles, was einen solchen Effekt erzeugt, was so stark „einfährt“ und spontan den Eindruck erweckt, daß es nur so sein kann, wie es ist, besitzt diese Qualitäten (…) deshalb, weil es „überdeterminiert“ ist: in einem einzigen solchen perfekten Zeichen sind mehrere Gedankenlinien zusammengeführt. Darum sind sie nicht paraphrasierbar – jedenfalls nicht ohne Verlust. Man kann nur der Reihe nach die einzelnen Linien fomulieren, aber dann geht eben das Großartige ihre Kopräsenz in einem einzigen Zeichen verloren.
Der Triumph, den solche Herrensignifikanten auslösen, rührt daher, daß sie mehrere, oft sogar einander widersprechende Bedeutungen in sich vereinen. Sie setzen sich damit, wie es eben die Art von richtigen Herren ist, über alle Regeln hinweg: sie sagen, anders als die Sprache es sonst fordert, in einem Moment nicht nur das eine, sondern auch noch etwas anderes; sie ordnen sich nicht dem Satz vom ausgeschlossenen Dritten unter und behaupten nicht nur etwas, sondern zugleich auch noch dessen Gegenteil. Sie sind „perfekte Kompromißbildungen zwischen den verdängten und den verdängenden Vorstellungen“ (…).
Wenigstens im Moment blitzt darum in solchen perfekten Zeichen das Totale einer Wuncherfüllung auf, die alle mäßigenden Einschränkungen jeglicher symbolischer Ordnung überschreitet (…): Die perfekten Zeichen erlauben uns eine totale Bejahung (denn mit ihnen sind wir mehr als dafür; wir sind zugleich auch dagegen (…), denn alles, was an einschränkenden Vorbedingungen bedacht werden müßte, kann nun vergessen werden).


Robert Pfaller, >>>> Das schmutzige Heilige
und die reine Vernunft
, S. 243, S. 281-283.

4 thoughts on “Profanierung vs. Hoher Ton. Von Pfaller (5).

  1. Was wesentlich nicht außer Acht gelassen werden darf. “(…denn alles, was an einschränkenden Vorbedingungen bedacht werden müsste, kann nun vergessen werden).”
    Mehrfach wurde Marx in England von Ferdinand Lassalle besucht. Als Lassalle einmal bemerkte, dass doch der Kapitalist ins Licht gehalten von dem die Menschen auf den Nullpunkt herunterbringenden Kapitalismus nicht weniger betroffen sei als der Prolet, antwortete Marx: „Das mag wohl sein; aber er hat etwas davon.“

  2. kann ich so nicht erkennen. glamour, strahlkraft, hinreissendes, auratisches..findet man doch genug, zum beispiel bei vielen schauspielern.

    1. Es wie mit den schönen Frauen (die ja auch nicht weniger werden) und dem Aphorismus von Lichtenberg: “Das Mädchen ist gut, man muß nur einen anderen Rahmen darum herum machen.”

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