Nave onirica, amerina (1). PP212, 19 August 2014: Dienstag. Meine Ankunft, seine Abfahrt (Erster und Zweiter Tag).



So offen stand heute die Tür, nachdem ich mich erhoben hatte
und um den ersten Kaffee zu nehmen.


[9.22 Uhr.
Kaminraum, Tisch:

]


Ruhiges Schreiben, langsames Schreiben, tastend: in Lanmeisters Sprache finden. Möglichst keine Hypotaxen, aber grammatisch verkürzte Sätze auch nicht. Nachdenklichkeit, doch ohne stilkenntliche Präzision: Es muß ein Schweifendes bleiben. Hypotaxen sind immer restlos durchdacht, Parataxen schauen auf Handlung. Handlung spielt in dem Buch kaum eine Rolle; das ist die Nähe zum Hörstück. Der Umstand bedeutet, daß Aufeinanderfolgen gleichsam aufgehoben sind, und eben n i c h t nur gleichsam. Bereits dies soll den Roman in einen Traumzustand heben, den nun bei mir, eben g e g e n ihr Wesen, die Parataxe ausdrückt. Hinter dem von mir nach wie vor favorisierten Titel, Traumschiff, den ich aber >>>> der Fernsehserie wegen werde nicht durchsetzen können, steht >>>> Johannes Schaafs „Traumstadt“ : seine filmische Nachdichtung von Kubins Die andere Seite. Sie, also jene, kam 1973 heraus, da war ich achtzehn Jahr alt. Immer wirkte sie in mir nach, was in dem Umstand eine eigenartige, ein bißchen unheimliche Bestätigung findet, daß die ersten Staffeln der Serie tatsächlich auf der >>>> MS Astor gedreht worden sind, die ich zum Handlungsort meines Sterbebuchs mache – unheimlich ist das, weil ich es nicht wußte, als ich den Titel zum ersten Mal niederschrieb; ich hatte die Fernsehfilme nie gesehen, habe es bis heute nicht. Sie interessieren mich auch gar nicht, ich möchte nicht mal auf sie anspielen. Auch wenn ich normalerweise Gelegenheiten wie diese nicht auslasse. Aber ein Sterbebuch voltigiert nicht. Mein Traumschiff ist auf der Anderen Seite.

Es war ein ruhiger Flug, und daß sich der 17.57er Regio nicht erreichen ließ, hatte ich vorhergesehen. Erst zwanzig Minuten nach seiner Abfahrt stand ich an den Bahnsteigen und spielte nunmehr mit dem Gedanken, bis Roma Termini den teuren Leonardo-Expreß, eine Touristen-Abzockerei, zu nehmen, statt eine dreiviertel Stunde zu warten. Ich wollte den schnellen Anschluß nach Orte bekommen. Es fährt zwar von Fiumicino ein nächster Regio direkt, doch auf den hätte ich noch lange warten müssen. Es ist ziemlich dröge in diesem Bahnhof. Dann kam mir eine Idee, und ich bestieg den Regio nach Tiburtina, hüpfte dort raus und ließ mich in wenigen Minuten mit der Metro nach Termini bringen. Um zwanzig Minuten vor neun Uhr abends war ich in Orte, hatte sogar noch Zeit gehabt, in einem ganz bestimmten Geschäft südlich des endlos langen Bahnhofsgebäudes mein geliebtes Sonnenbrillenmodell zu erstehen. Was enorm fix ging. „Buon giorno, Salaam, cherco questo modello“, denn die haben Hunderte da, „no no, completamente nero“, weil sie mir wie schon letztes Jahr rosa gefärbte Gläser andrehen wollten, „Ecco!“, „Quanto fa?“, „Cinque“, „Prendo due“, und den Zehner rübergereicht, kein Scontrino, nix: ein Schwarzgeschäft. So alle vier zufrieden, der Inhaber hinter der Kasse, dessen Haar mir verriet, daß er >>>> die Hadsch bereits erfüllt hat, seine zwei Verkäufer, die das n i c h t getan, jedenfalls noch nicht, und ich, der ebenfalls nie in Mekka war.
Es gibt zu den heillos entfernten Binari Est eine, will ich drum sagen, heilsame Abkürzung durch einen Tunnel unter den Gleisen 1 bis 24, ohne die mein Regio nicht mehr zu erreichen gewesen wäre. Sie machen sich wirklich keine Vorstellung, wie lange man in Termini unterwegs sein kann. Fremde, die den Tunnel nicht kennen, geht ihr Anschluß nicht selten verloren, jedenfalls sieht man sie rennen mit ihrem ganzen Gepäck. Ich bin selbst schon gerannt. Jetzt kam ich mir, wie schon beim Durchhopsen der Stadt mit der Metro, ganz eingeboren vor. Und war schon in Orte, wo >>>> der Freund bereits stand, um mich abzuholen. Mit dem Auto die kurvige Landstraße bis Amelia hoch, durchs alte Stadtor, die Gassen weiter hinauf. Die Weiße Nacht muß diesmal >>>> wild gewesen sein; erst gestern sei abgebaut worden. Bis dahin jeden Abend Taverna auf dem kleinen Platz hinterm Haus, wo sonst die Autochens parken. Musi und Quasseln bis morgens um drei. Jetzt aber sei wieder Ruhe. Die wir ausgebig mit Mauros Wein begingen, plaudernd erst, dann, als auf Montale gekommen, schon einander vorlesend, „oh über dein italienisches Prononzieren!“, entschuldigend gucken, dennoch gab der Freund mir recht, sogar einmal, >>>> in faccia al mare, wo er anfangs mir, wissend, widersprochen hatte. Und schon, aber ohne was niederzuschreiben, fingen wir, extemporierend quasi, an. „Du liest nicht flüssig“: er zu mir. Stimmt. Und dennoch, das Motto des Traumschiffs steht fest:

Tendono alla chiarità le cose oscure,
se esauriscono i corpi in un fluire
di tinte; queste in musiche. Svanire
è dunque la ventura delle venture.

Ossi di seppia, No 7.

Wobei, dank Schulze weiß ich das jetzt, eine italienische Übersetzung des Traumschiffs tatsächlich „Traumschiff“ heißen dürfte, denn die Fernsehserie heißt hierzulande Nave dei sogni, was etwas anderes als das Nave onirico ist, das im Italienischen etwas Magisches mitklingen läßt, das nicht, wie die sogni, banal ist. Dürfte ich wählen, sähe der Einband nun s o aus:

Wobei es, ebenfalls aus den Tintenfischknochen, eine weitere Strophe gibt, die mich als Motto anspricht, mir zuflüstert:È ora di lasciare il canneto
stento che pare s‘addorma
e di guardare le forme
della vita che si sgretola.

(aus No 3).

Ach Freundin! Vermerken Sie, ahnen Sie, spüren Sie ihn, den Meerduft des Vergehens? Als eine Liebkosung möchte ich ihn schreiben.

3 thoughts on “Nave onirica, amerina (1). PP212, 19 August 2014: Dienstag. Meine Ankunft, seine Abfahrt (Erster und Zweiter Tag).

  1. Hier, liebe Freundin, eine Übersetzung frei aus der Hand, der zweiten hierdrüber zitierten Strophe:

    Und nun das dörre Röhricht
    lassen, das zu ruhen scheint
    und auf die Formen zu achten
    des sich verwitternden Lebens

    >>>> Ferber übersetzt folgendermaßen:

    Zeit ist’s, das schüttere Schilf,
    da es schlummern will, zu verlassen
    und auf die Formen des Lebens
    zu schauen, das sich zerfasert.
    ***

    Vielleicht sogar:und auf die Muster zu merken
    des sich verwitternden Lebens.
    Die dunklen u-Laute, eine Grundierung der M-Alliterationen, würden über das etwas altertümliche “merken” – im Sinn von auf etwas besonders achtgeben – in ganz helle e’s übergeleitet, denen das i von “verwitternden” den Stachel gibt.
    Hm.
  2. Traumschiff Als Buchtitel sehe ich hier keinerlei Probleme bei der Verwendung des Titels “Traumschiff”. Inhaltlich setzt es sich nicht mit der gleichnamigen TV-Sendung auseinander, es ist zudem keine Produktbezeichnung, kein Eigenname (iPAD), keine Kneipe, die Sie eröffnen wollen… Im Börsenblatt konnte ich keine Verlags – Eintragung eines gleichnamigen Buches finden. Viel Glück!

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