[Arbeitswohnung.
7.49 Uhr.]<
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So, ja so rannte das Meer hier gegen die Kais. Und als wir wieder hinausfuhren, in den Kanal einfuhren, war die See endlich See, nicht ruhiger Teich mehr, sondern voll eines eigenen Willens, der sich nehmen wollte und Widerstand entgegensetzt. Daß mir das sehr gefiel, muß ich Ihnen nicht eigens schreiben, Sie kennen es von mir.
Wiewohl, also, ich erst gar nicht von Bord wollte, als wir >>>> angekommen waren, zumal heftig der Regen vom Himmel stürzte, war ich dann doch der allererste, der das Schiff verließ. Und ich ging die zweieinhalb Kilometer allein der Kais und Anlagen und Hebebrücken, hoffend, denn es pladderte und pladderte Bernhardiner und Pumas, aber frierende, – hoffend, gleich ein Café zu finden für ein Croissant und endlich wieder einen vernünftigen Café au lait; aber es gab und gab keines, jedenfalls nicht in Hafennähe, keines, das geöffnet hatte. Dann endlich, vorm letzten Bassin vor der Stadt, schlief mir ein nasses Licht entgegen, daneben eine Bäckerei. Dort sollte ich mir das Croissant holen, der Barmann hatte keines, „hab ich nie, ich schick immer alle nach nebenan“. Köstlich, sag ich Ihnen. Auch die Gauloises sans filtre, die ich im Café gegen eine ziemlich horrende Summe erstand. Nebeneinander auf der kleinen Terrasse mit Beckenblick standen wir dann, er und ich, tranken beide Café und grummelten in uns hinein, er rauchend, ich rauchend. Von seltener Zeit zu seltener Zeit hielt ein Wägelchen vor der Tür, mal eine Frau, mal ein Mann stiegen mit hochgezogenen Schultern heraus und wutschten patschpatsch ins Café, so daß mich mein schweigender Compagnon dann immer für kurzes verließ, man hörte die Kaffeemaschine, das Klirren der Täßchen auf Untertäßchen, aber schon stand er wieder neben mir und blickte gleichzeitig bedeutungsvoll und leer hinaus.
Ich stand eine Dreiviertelstunde da, nahm noch einen zweiten Café, nun einen richtigen, also „kurzen“; schließlich machte ich mein Herz zum Taucher und brach zu einem ersten Rundgang auf. War eh patschnaß. Ich bin wirklich dankbar dafür, meine schwere Büffellederjacke auf die Reise mitgenommen zu haben und gab ihr am folgenden Morgen einiges Lederfett zu trinken, ein schweres, das sie geradezu einsog. An den hellen Anzug von Lissabon war nicht mehr zu denken, und überhaupt ist ein größerer Kontrast wie zwischen dort und Le Havre kaum vorstellbar. Aber auch dies, ich spürte es in jeder Faser, war mein Zuhause Europa.
Die Straßen blieben noch unbelebt, bis fast gegen zehn. Irgendwann kam mir meine alte schöne Dame von der Astor entgegen, wir plauderten, sie hatte einen Regenschirm. Mir fiel ein, daß ich unbedingt Käse kaufen müsse. Und Calvados. So hatte ich ein Ziel.
Calvados war überhaupt eine Idee. In eine nächste Bar, aber man verstand erst nicht, was ich wollte. „Ah!“ rief die Frau schließlich aus. „Un Calvà!“ Das war heiter, wie ich dann schon so früh ein bißchen beschickert das Straßennetz abschritt.
Wiewohl, also, ich erst gar nicht von Bord wollte, als wir >>>> angekommen waren, zumal heftig der Regen vom Himmel stürzte, war ich dann doch der allererste, der das Schiff verließ. Und ich ging die zweieinhalb Kilometer allein der Kais und Anlagen und Hebebrücken, hoffend, denn es pladderte und pladderte Bernhardiner und Pumas, aber frierende, – hoffend, gleich ein Café zu finden für ein Croissant und endlich wieder einen vernünftigen Café au lait; aber es gab und gab keines, jedenfalls nicht in Hafennähe, keines, das geöffnet hatte. Dann endlich, vorm letzten Bassin vor der Stadt, schlief mir ein nasses Licht entgegen, daneben eine Bäckerei. Dort sollte ich mir das Croissant holen, der Barmann hatte keines, „hab ich nie, ich schick immer alle nach nebenan“. Köstlich, sag ich Ihnen. Auch die Gauloises sans filtre, die ich im Café gegen eine ziemlich horrende Summe erstand. Nebeneinander auf der kleinen Terrasse mit Beckenblick standen wir dann, er und ich, tranken beide Café und grummelten in uns hinein, er rauchend, ich rauchend. Von seltener Zeit zu seltener Zeit hielt ein Wägelchen vor der Tür, mal eine Frau, mal ein Mann stiegen mit hochgezogenen Schultern heraus und wutschten patschpatsch ins Café, so daß mich mein schweigender Compagnon dann immer für kurzes verließ, man hörte die Kaffeemaschine, das Klirren der Täßchen auf Untertäßchen, aber schon stand er wieder neben mir und blickte gleichzeitig bedeutungsvoll und leer hinaus.
Ich stand eine Dreiviertelstunde da, nahm noch einen zweiten Café, nun einen richtigen, also „kurzen“; schließlich machte ich mein Herz zum Taucher und brach zu einem ersten Rundgang auf. War eh patschnaß. Ich bin wirklich dankbar dafür, meine schwere Büffellederjacke auf die Reise mitgenommen zu haben und gab ihr am folgenden Morgen einiges Lederfett zu trinken, ein schweres, das sie geradezu einsog. An den hellen Anzug von Lissabon war nicht mehr zu denken, und überhaupt ist ein größerer Kontrast wie zwischen dort und Le Havre kaum vorstellbar. Aber auch dies, ich spürte es in jeder Faser, war mein Zuhause Europa.
Die Straßen blieben noch unbelebt, bis fast gegen zehn. Irgendwann kam mir meine alte schöne Dame von der Astor entgegen, wir plauderten, sie hatte einen Regenschirm. Mir fiel ein, daß ich unbedingt Käse kaufen müsse. Und Calvados. So hatte ich ein Ziel.
Calvados war überhaupt eine Idee. In eine nächste Bar, aber man verstand erst nicht, was ich wollte. „Ah!“ rief die Frau schließlich aus. „Un Calvà!“ Das war heiter, wie ich dann schon so früh ein bißchen beschickert das Straßennetz abschritt.
>>>> Le Havres Zentrum ist eine synthetische Stadt, die nach der Zerbombung neu in den Fünfzigern aufgebaut wurde, und zwar nach den Vorstellungen einer neusachlichen Architektur, die heute bereits historisch wirkt und ohne es zu wollen – sie wollte sogar das Gegenteil – die faschistoide Eckigkeit in die Nachkriegszeit weitergetragen hat, nicht großspurig, sondern kleinhalsig-quasiarithmetisch mit einigem, das an Stalinbauten erinnert, aber aufs „einfache“ Volk hinuntergedacht, schmucklos kantiger Stahlbeton, allein auf Nutzen aus und Nutzbarkeit, ohne Einschlüpfe, hinter die sich unsere Augen träumen könnten. Vielmehr, sie stoßen dauernd an oder verlieren sich in den völligen Geraden, von denen die Viertelchen beschnitten werden. Erst wenn man die vom Hafen ausgehende Strandfront entlangspaziert und von dort aus, etwa in ihrer Mitte, gegenüber dem Meer hin den Ort wieder hochtreppt, finden sich noch Vorkriegshäuschen und sehen in ihrer zumindest angedeuteten Buntheit wie Häuschen am Meer auch aus:
Von hieraus dann begreift man erst, was >>>> Auguste Perret, nach dessen Plänen der Wiederaufbau durchgeführt wurde, im Sinn gehabt haben mag. Und es war spannend, wie sich nun, von der rauhen Strandpromenade kommend, mein Blick änderte – und mein Gefühl. Ich würde hier nicht leben wollen, auf gar keinen Fall, aber verstand, und zwar zunehmend intensiv, daß und wie man diese Stadt lieben kann, verstand auch den ganz offenbaren Stolz der „Havrais“, der nicht nur vielen Veranstaltungsankündigungen abzulesen ist, die die Cafés und Kneipen affichieren. Und als ich dann meinen Käse erstanden hatte, drei oder vier Kilo, die irgendwie an Bord geschmuggelt werden mußten, war ich ohnedies versöhnt. Und machte mich mit einem frischen Baguette, bon cuit, zum Hafen wieder auf, um an Deck mein Mittagsmahl zu nehmen.
Tat ich. Der Küchenchef sah‘s und freute sich. „Das wollte ich auch noch tun: Käse kaufen.“ Aber er war on duty.
Und es klarte auf. Nicht, daß die Wolken sich völlig verzogen, nein nein, aber sie ließen Sonne durch, und der Regen hörte auf. So daß ich, als ich ein zweites Mal durch den Hafen spazierte, nicht weiter naß wurde. Ich spazierte nun die Wasserfront entlang, denn schon bei meinem ersten Gang war ich am „Muma“ vorbeigekommen, dem >>>> Musée des Beaux arts André Malraux, daß die zweitgrößte Sammlung impressionistischer Malerei nach Paris beherbergt. Die wollte ich sehen. Auch hatte mir die Außenarchitektur des Museums gut gefallen, sehr gut sogar, direkt am Meer zwischen Hafen und Seepromenade, luftig und einladend mit einer mir nahen Modernität, die dennoch und auf sehr reizvolle Weise mit den Bauten Perrets spielt:
(Wird fortgesetzt; ich habe Termine, denen ich den Vorrang geben muß. Es ist gerade insgesamt nicht leicht, mich auf die letzten Tage rückzukonzentrieren, nicht in mir und nicht außen. Und >>>> dieser Scheiß da, der sich in Kommentaren austrug, machte es mir nicht leichter.) (10.04 Uhr.)
Tat ich. Der Küchenchef sah‘s und freute sich. „Das wollte ich auch noch tun: Käse kaufen.“ Aber er war on duty.
Und es klarte auf. Nicht, daß die Wolken sich völlig verzogen, nein nein, aber sie ließen Sonne durch, und der Regen hörte auf. So daß ich, als ich ein zweites Mal durch den Hafen spazierte, nicht weiter naß wurde. Ich spazierte nun die Wasserfront entlang, denn schon bei meinem ersten Gang war ich am „Muma“ vorbeigekommen, dem >>>> Musée des Beaux arts André Malraux, daß die zweitgrößte Sammlung impressionistischer Malerei nach Paris beherbergt. Die wollte ich sehen. Auch hatte mir die Außenarchitektur des Museums gut gefallen, sehr gut sogar, direkt am Meer zwischen Hafen und Seepromenade, luftig und einladend mit einer mir nahen Modernität, die dennoch und auf sehr reizvolle Weise mit den Bauten Perrets spielt: