Laura Gallati spielt Ustwolskya und Bachs Chaconne von Brahms. Galerie Parterre, Berlin.


Der kleine Saal war proppevoll, wohl zur Verwunderung der Veranstalter selbst. Das sei ja, sagte die zur Begrüßung sprechende Dame, bei moderner Musik nicht normal. Nun ja, moderne Musik ist ein Vieles, man kann wohl Madonna nicht klassisch nennen. Tatsächlich hat es aber bis quasi nach ihrem Tod gebraucht, bis sich Galina Ustwolskayas, einst Dmitri Schostakowitschs Lieblingsschülerin (Schande über mich, daß ich diese, hm, Anekdote nun a u c h hintertrage)… bis sich öfter auch ihr Name auf den internationalen Spielplänen fand. Heute gilt sie zumindest in der Szene als eine der wichtigsten russischen Komponistinnen des vergangenen Jahrhunderts, neben ihrem kompositorisch überraschenden Werk vielleicht auch deshalb, weil es so schmal ist: Jede Partitur atmet eine Art Geheimnis, zumal Ustwolskaya sich auf keine, gar keine Modeströmung eingelassen hat, sondern geradezu unerbittlich ihrer musikalischen Wege ging. Ebenfalls immer wieder anekdotiert wird ihre Einlassung, sie schreibe für das Universum.

Frau Gallati hat für das Programm die letzten vier der sechs Klaviersonaten ausgewählt, je kurze Stücke von zehn bis fünfzehn Minuten Dauer und, wiewohl über Spannen von fast vier Dekaden entstanden, innig ineinander verwandt: schwere Stücke, die oft drängend voranstapfen, nicht selten enorm hart und auf jeden Schritt konzentriert. Feinheiten sind in die Binnenstrukturen verlegt, es gibt keinerlei Raum, um zu schwelgen. Dabei sind sie nicht eigentlich, jedenfalls nicht durchweg, atonal, aber ihre Melodik hat etwas von Axtschlägen, die zugleich das Perkussive meiden – wie als wäre bereits das zu gefällig. Statt dessen überwiegt eine insistierende Repetition. Bisweilen befindet man sich in einer Art sich voranwälzenden Marsches; wer am Wege liegenbleibt, wird überstampft. So gesehen ist Ustwolskayas Satz von der Universumsmusik alles andere als esoterisch und also in gar keiner Weise kitschig. Am nahsten scheint mir ihre Auffassung manchen, doch ohne deren pathetische Klanglust, Schicksalsmotiven Tschaikowskis zu sein: Schicksal ohne Überwallungseffekt. Dem kommt die kalte Leere des Weltalls tatsächlich gleich.
Unerbittlich spielt Frau Gallati dies auch, doch schiebt wie zur Versöhnung zwischen die beiden ersten Sonaten Bachs berühmte d-moll-Chaconne aus der Zweiten Partita. Sie wisse kein anderes Stück, erklärte sie, dessen Architektur man Ustwolskaya sonst zur Seite stellen könne, und sie war wohlberaten, dafür Johannes Brahms interpretierende Transkription herzunehmen, die für die linke Hand geschrieben ist, also den unteren Frequenzbereich des Klaviers. Dadurch ändert sich der Charakter des Stückes ungemein, wird irdisch ganz genau so: ohnehin ein Signum Brahms‘. Aber daß er Bach wie Rostropovitsch hört – wär es nicht so wohlfein, ließe sich von „russisch“ sprechen -, liegt eben auch daran, daß die linke Hand, überträgt man sie von Geigern auf die Pianisten, das untere Klangspektrum des Klaviers ganz natürlicherweise favorisiert. Dennoch, die Chaconne stellt höhere Ansprüche an die Virtuosität als Ustwolskya, besonders, wenn es um fugierte Doppelgriffe in eben der nur einen Hand geht. Frau Gallatis, und niemanden wundert‘s, denn sie ist nicht mehr jung, wurde da müde, vergriff sich, nahm immer wieder das Thema musikalisch zwar auf, aber Risse entstanden, die bezeichnenderweise denselben Schmerz, ganz dieselbe Unerlöstheit vermittelten, die in Ustwolskayas Musik liegt. Ich möchte fast sagen, sie,. Frau Gallati, mußte sich verspielen, um nicht Ustwolskaya zu verraten. Denn Bach hat ja geglaubt, ihm war Erlösung gegenwärtig, und er gibt sie in seine Hörer hinüber. Ustwolskaya nicht. Musik bei Bach ist Gnade, Kosmos aber ihr.
Die Sonaten fünf und sechs fanden Frau Gallati wieder bei sich. Und bei dem schweren Lehm auf den Tasten der Ustwolskaya. Bisweilen kommt man da nur durch, wenn auch die ganzen Unterarme auf sie fallen: auch dieses insistent.
Nun ist große Musik nicht für das Zirkuszelt geschrieben; komplizierte, hochvirtuose Fingersätze sind weder ein Zeichen für Qualität, noch wenn sie jemand fehlerfrei beherrscht. An keines anderen Komponisten Werken kann man das so gut sehen wie bei Paganini, dessen Musik-selbst belanglos ist. Der Virtuose ist nur dann kein musikalischer Irrtum, wenn Kompliziertheit den Kompositionen notwendig ist und sie Können nicht mit Akrobatik verwechseln. Bachs verschachtelte Architekturen dienen dem Ausdruck, sie stehen für etwas, ebenso, um an dessen Chaconne zu denken, Dallapiccolas. Aber es gibt auch „einfache“ große Lieder und Musiker von innigster Tiefe, ohne jene circensische Sensation, die ihr Publikum blendet und verführt. Für die, diese Musiker, ist Musik vielleicht geschrieben. Und, selbstverständlich, auch für uns: auf daß wir ihnen zuhörn.


Als ich gestern die Ankündigung des Konzertes >>>> bei Facebook (!!) las, wußte ich sofort, ich muß da hin. Und hab nun Dank zu sagen.
***



Galina Ustwolskaya.
Klaviersonaten 3 & 4.
Johann Sebastian Bach/Johannes Brahms.
Chaconne d-moll für die linke Hand allein.
Galina Ustwolskaya.
Klaviersonaten 5 & 6.

>>>> Laura Gallati.
>>>> Galerie Parterre, Berlin.
19. Februar 2014.

4 thoughts on “Laura Gallati spielt Ustwolskya und Bachs Chaconne von Brahms. Galerie Parterre, Berlin.

  1. Ich habe das Konzert zwar nicht gehört, aber was Sie schreiben hört sich gut an. Wenn die Interpretin Ihre Kritik liest, wird sie nicht anders als erfreut sein. Gnade und Kosmos, ja, dazwischen klafft der Abgrund von drei Jahrhunderten. Das es einen Bogen gibt über diesen Abgrund, das ist groß.

    1. @tom. Danke sehr. Wenn ich meinen Leser:inne:n davon etwas vermitteln kann, was Musik ist oder sein könnte und wann so etwas gelang, wenn ich darauf Lust machen kann, dann habe ich wirklich etwas erreicht. Erfüllung übertragen, ich glaube, darum geht es in der Kunst. Jedenfalls der meinen geht es, und ging es immer, darum.

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