Näher, mein WOrt, zu Dir! Aus den Skizzen (1).

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Insofern lassen sich die Beklager der Entwicklung als die Pharisäer der kapitalistisch durchökonomisierten Welt verstehen, solche, die der Kirchenvertreter Rolle übernommen haben, die, anders als der Glaube selbst, beharrend ist, und zwar auf ganz ähnlichen Strukturen wie alle gängigen Machtapparate. Deshalb sprach ich oben von einem zur Zeit brandenden Krieg der Deutungshoheiten. Da wird auch vor grober Diffamierung nicht haltgemacht, erst recht nicht davor, sich mutwillig die Augen zu verschließen, sondern bewußt besseren Willens eben den GOtt zu lästern, seinem WOrt nämlich, dem zu dienen man vorgibt. Der Götze Buch hat einen Marktwert, an dem sich auch und gerade dann verdienen läßt, wenn man es selbst nicht geschrieben hat; das WOrt hingegen, als allgegenwärtiges, ist bei einem Jeden; das Internet als sein neuer Tempel läßt die Kirchenpforten immer offen: jeder kann hinein; es gibt nicht einmal Sakristeien. Das WOrt ist nun wirklich wenn zwar nicht „demokratisch“ geworden, so doch prinzipiell jedem zugänglich.
Geradezu logisch setzt diese Entwicklung fort, was schon die Keilschriften, dann die Handschriften schließlich Gutenberg begonnen haben. Sogar die bei Aretino erzählten Mischformen aus Wort und Bild perfektionieren sich – ja, indem des Netz auch das gesprochene Wort wiederzugeben vermag, kann die Dichtung in eine Totale gehen, von der, für das Musiktheater, Wagner so geträumt hat.
Das wird mit Sicherheit formale Folgen haben, denn zum einen kommt das WOrt hier tatsächlich wieder zu sich zurück, wird aus dem Allerheiligsten herausgenommen, der Vorhang ist beiseitegeschlagen; zum anderen kann es nun flüssige Allianzen eingehen, die vordem allenfalls um sehr teuer Bibliophiles zu haben waren, und auch da nie in der vielleicht anzustrebenden Einheit mit wiederum dem Klang. Nicht von ungefähr hat gerade die Lyrik nicht nur enormen Zulauf im Netz, sondern sie entsteht dort auch, und zwar in kaum vorstellbarer Menge. Sie braucht keine vorhergenommene Kanonisierung mehr, die für ein kaufmännisches Unternehmen, wie jeder Verlag es ist und sein muß, das Risiko rechtfertigt, solch Schwerverkäufliches auf den Markt zu bringen. Die Zugriffe auf Gedichte in nur meiner eigenen Webpräsenz gingen bisweilen an die 5000; man vergleiche, daß auf dem deutschen Markt bereits ein Lyrikband von 800 verkauften Exemplaren als extrem erfolgreich gilt.
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9 thoughts on “Näher, mein WOrt, zu Dir! Aus den Skizzen (1).

  1. Das Wort – nicht das zwar, welches am Anfang war und johannitisch oder in talmudischer Umschrift als WOrt steht – war seit dem 19. Jahrhundert demokratisch und jedem zugänglich. Spätestens mit den öffentlichen Bibliotheken. Die Bebelsche Sozialdemokratie, die dem Bürger in der Bildung nacheiferte, machte diese Demokratisierung des Wortes vor, indem sie vermittels Sprache und in den Lesekreisen versuchte, an den selben Werten (und Worten) zu partizipieren wie das Bürgertum. Ob das WOrt je allen zugänglich sein kann, hängt wohl nicht nur an den technischen Medien, sondern vielfach an den Bildungsvoraussetzungen und vor allem daran, wie lange es unerträgliche ökonomische Differenzen gibt.

    Anders sieht es in der Sphäre der Text- (und Bild-)Produktion aus. Da setzte durch das Internet ein Wandel ein. Der durchs Medium ausgelöste Produktionsschub, wo jeder alles zugänglich machen kann, bewirkte, daß eine aufgesteigerte Quantität in die neue Qualität um schlägt. Schreiben für die Schublade konnte zwar auch früher jeder. Heute vermag diese Texte aber jeder, der über Strom und Computer verfügt, öffentlich zu machen. Ob es viele lesen und mit welcher Intensität vor allem? Das bleibt eine andere Frage.

    Ich gehöre nicht zu den meines Erachtens ein wenig naiven und vom Schaum des Neuen geblendeten Medienauguren und Medienmetaphysikern wie V. Flusser, die ein neues Zeitalter ausrufen. Die Ausprägungen der Technik unterliegen der Dialektik der Aufklärung. Die Möglichkeiten des Internet sind nicht per se gut oder per se schlecht. Eine Vulgärkritik des Digitalen, wie sie Byung-Chul Han liefert, geht an dem Phänomen ebenso vorbei, wie die bloße Affirmation, die Hurra und schöne neue Welt jubelt.

    Die Kriege um die Deutungshoheit in den Diskursen, insbesondere in den Sparten der Literatur(theorie), des Feuilletons, der Bildenden Kunst, der Philosophie werden in dieser Epoche und unter diesen Vorzeichen wohl weiter ausgetragen werden. Mit Carl Schmitt geschrieben: das Freund/Feind-Schema bleibt uns bis auf weiteres erhalten Auch bei denen, die auf den Samtpfoten der ostentativ zur Schau gestellten guten Laune oder der bloßen Meinung als Ausweis ihrer vollendeten Subjektivität und des heiligen Ich-bin-bei-mir daherkommen und vermeintlich den Austausch von Gedanken propagieren. Es gibt derart differente Positionen, die lassen sich nur noch durch eine übergeordnete Stufe im Denken in den Blick bekommen und in einem Neuen aufheben. Ansonsten aber, wenn jeder verharrt, bleibt der Widerstreit oder aber der doch unbefriedigende Satz „We agree to disagree“. Dieser Widerstreit hat leider vielfach, wie der Kampf zwischen Herr und Knecht in Hegels „Phänomenologie“ mit dem Tod: das heißt: mit Sieg oder Niederlage zu tun. In dieses Gebiet hinein fällt eben auch der Begriff der Deutungshoheit. (Freilich bedeutet dies, daß man dabei einen Gegner /eine Gegnerin oder eine differente Position auch als Gegner_in oder als differente Position markieren kann.)

    Am interessantesten wird es immer dann, wenn eine Theorie oder ein Text Partisanenarbeit leisten. Wie es der Hegelsche Diskurs beständig vermag. Ohne die Widersprüche aufzulösen, sondern diese werden auf einer höheren, anderen, weiteren Stufe ausgetragen. Und zugleich unterminiert. Hier erst, in der Subversion der Diskurse, setzt die Erweiterung des Wissens und des Horizont ein. Nicht dort, wo alle dasselbe in allenfalls minimal erlaubter Abweichung posaunen und von ihrer in befriedete Habermassche Kommunikationsmodelle transformierten Deutungshoheit scheinbar absehen. Ich halte es mit jenem Satz von Heraklit vom Polemos, denn es sind ist die Differenz wesentlich, die aufs ganze geht. (Ob das mit Deutungshoheit zu tun hat, sei dahingestellt. Wahrscheinlich. Wer den Willen zur Macht leugnet, verfällt der eigenen Illusion, der hybriden Friedfertigkeit und den Projektionen.)

    Ein interessanter Text von Ihnen, der zum Denken Anlaß gibt. Meine Glückwünsche, nachträglich, zu Ihrem Geburtstag.

    1. Die Fleischwerdung des Wortes Das ist ganz und gar richtig. „Im Anfang war das Wort.“ Und da besteht in der Wahl der Kontraktionen ein gewaltiger Unterschied – ἀρχή und λόγος und inwiefern und in welcher Weise das WOrt und das, was wir als λόγος setzten, dort siedelt und wohnt. Ich meinte diesen Satz aber durchaus säkular, quer oder jenseits zur Theologie, zur Metaphysik des Wortes. An dem Anfang eben. Nicht mehr: im. Es fehlt der Zugang, wir stehen nur noch davor wie jener Mann vor dem Gesetz in Kafkas Parabel. Ganz und gar am Anfang, dessen Ur-Sprung, um ein wenig zu heideggern, uns verborgen bleibt.

      Ihr Hinweis aber ist, was die Herkunft betrifft, richtig.

    2. @bersarin Ob Im Anfang oder Am Anfang ist eigentlich egal, wenn ich auf Deutung und Analyse der Geschichte verzichte und versuche das Wort in seinem “Stamm” zu begreifen. Keine Wortmuskelkontraktionen oder Relaxationen. Nur Wortarchen. Mit einer artenreichen Vielfalt im Innern. …like ships from your lips…

      … aber auch wenig alltagstauglich, fällt mir gerade auf, wo Fleischwerdung des Wortes doch irgendwie das ist:

      Embodiment. Psychosomawechselwirkungen. Ein: wie finde ich mich gerade in der Welt wieder oder wie fühlt sie sich für mich an durch meine derzeitige Verfassung, die sie mir wiederum gibt und das bestimmt wie ich sie, Welt, wahrnehme. Das entlädt sich wieder am Körper (z.B. durch Körperhaltung), lädt oder entlädt ihn. Ein Zustand, körperlich als auch psychisch, der sich dann im jeweils verwendeten Wort ausdrückt, es ebenso lädt oder entlädt. Und das kommt wieder zu einem zurück. Ein Kreislauf. Inkarnation.

    3. Selbst noch das letzte Graffito partizipiert, oder besser: zeugt von dem, was uns selbstverständlich (aber damit noch lange nicht verständlich) geworden ist: All dem ist eine Schriftgläubigkeit voraus gesetzt.

  2. eben … wie perkampus bei arno schmidt klaut – zitat in seinem blog:

    “Unser Haushalt war völlig illiterat, obwohl meine Mutter Erzählungen & Gedichte mit einem gewissen Ehrgeiz schrieb und ich früh das Schreiben erlernte.
    Das einzige Buch, das ich besaß, war die Fibel der 3. Klasse.”

    Zum besseren Verständnis:

    Arno Schmidt behauptete einst von sich selbst, bereits mit 3 Jahren das Lesen erlernt zu haben. Außerdem beschrieb er, dass es im Haushalt seiner Eltern,
    welche überraschenderweise ebenfalls Schmidt hießen, im Grunde genommen keine Bücher gab, ausser natürlich die Bibel.

    Na, da haben wir aber schön gelacht, Herr Perkampus!

    1. Aber was hat das mit dieser Seite zu tun, Herr Rosmarov, so hieß übrigens mein erster Löffel den ich im zarten Alter von zwei Jahren begrub, gleich neben dem Lexika zum besseren Verständnis von Kunst

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