[Prokofiev, Sechste Klaviersonate.
The Black Grouse und Melange auf dem Zimmer.]
The Black Grouse und Melange auf dem Zimmer.]
Erst einmal >>>> die Nummer IV. Zu mehr war ich heute früh, nach zweieinhalb Stunden Nachtschlafs, nicht recht imstande. Nach einem ausgezeichneten, allerdings nicht zu Aldipreisen, Fischessen auf dem Naschmarkt und einem abenteuerbereiten Abstecher ins Wiener Nachtleben war nämlich dieses Abenteuer dann auch da und geleitete mich, ob wir nun wollten oder nicht, auf eine Polizeiwache des Ersten Bezirks, wo es eine außergewöhnlich schöne Beamtin gab, allerdings auch außerordentlich streng im Gesichte, und ihr junger, fast noch jugendlicher Kollege nahm die Klage, die aber gar nicht geführt wurde, ebenso außerordentlich lässig entgegen. Es hatte im, muß man sagen, Jenseits Augenblicke gegeben, die sozusagen den Läuterungsberg hinansteigen wollten, ohne daß sie realisierten, es sei die Hölle in Wahrheit noch gar nicht verlassen, und prompt war sie weg, die Handtasche, sie selbst und aber auch mit allem drin. Während ich der Wächterin des Eingangs nun wirklich des Läuterungsberges (sie war daran zu erkennen, daß sie nicht die Spur weanerte oder nur so geringfügig, daß man meinen muß, sie tue das deshalb, um neben der Abschreckung zumindest den Vorschein von Verbundenheit mit den Insassen zu erwecken) auf ihre edlen Ohren sah, mir auch einiges für sie vorstellte – etwas, womit sich die Gefangenen geradezu schon automatisch die inhaftierte Zeit ihrer Gedanken vertreiben -, holte lässig der Junge sein Ifönchen aus der vor lauter Klettverschluß ratschenden Oberschenkelseitentasche und begann, nach Telefonummern zu fahnden, mit denen man Diverses sperren lassen könne. Das war hilfreich, in der Tat. Da wiederum ich der mit Abstand Älteste im Raum, sah man mich dabei immer wieder an, als wär es eben ich, der Schuld trug am Wiener Sittenverfall. Ah, besser, ich verbiß mir die Zunge, etwa Qualtinger zu zitieren, gar ein Wienerlied anzustimmen! Wollt ich denn Sorge tragen müssen, man werde meinen Aufenthalt hier unten, also im Inferno, nicht etwas da, wo wir jetzt standen, am Ausgang zum Läuterungsberge, wegen schlechter Führung verlängern? Nein, wollt ich nicht.
Und darum. Ja, so war das. Ich setzte meinen Biberhut auf, als wir gingen. Und kam mir, unterdesssen, wirklich schuldig vor nachts in Wien um halbviervier. Auch deshalb schlief ich dann nur zweieinhalb Stunden? Jedenfalls trieb‘s mich um halb acht in den Frühstücksraum. Dort überkam mich unmittelbar das Gefühl, zu spät gekommen zu sein. Da war ja gar niemand da! Na gut, drei vier Leute, aber ich war mir unterschlafungshalber nicht recht sicher, ob die nicht Spitzel waren, die nämlich genau diese Schönheit von Polizistin mir nachgeschickt habe, um meinen wahren Teufeleien auf die Spur zu kommen. Biber bekanntlich nagen und nagen. Hingegen erklärte mir, weil sie meine Nervosität sehr wohl bemerkte, die freundliche Bedienung, es sei jetzt grad nicht die Zeit für einen hohen Tourismus; der gehe erst im Frühjahr wieder los.
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Und darum. Ja, so war das. Ich setzte meinen Biberhut auf, als wir gingen. Und kam mir, unterdesssen, wirklich schuldig vor nachts in Wien um halbviervier. Auch deshalb schlief ich dann nur zweieinhalb Stunden? Jedenfalls trieb‘s mich um halb acht in den Frühstücksraum. Dort überkam mich unmittelbar das Gefühl, zu spät gekommen zu sein. Da war ja gar niemand da! Na gut, drei vier Leute, aber ich war mir unterschlafungshalber nicht recht sicher, ob die nicht Spitzel waren, die nämlich genau diese Schönheit von Polizistin mir nachgeschickt habe, um meinen wahren Teufeleien auf die Spur zu kommen. Biber bekanntlich nagen und nagen. Hingegen erklärte mir, weil sie meine Nervosität sehr wohl bemerkte, die freundliche Bedienung, es sei jetzt grad nicht die Zeit für einen hohen Tourismus; der gehe erst im Frühjahr wieder los.
Obligat, wenn ich einmal wieder in Wien bin, mein Gang zu >>>> Trześniewski; lesen Sie selbst, wenn Sie‘s nicht wissen, was Sie dort erwartet. Ich rechnete mit Mengenandrang, dort aber war‘s fast wie im Hotelchen. Anders dann im >>>> Hawelka, das ich – die Kellner tragen Anzug und Fliege, aber Klumpschuhe – Bernhards Bräunerhof unbedingt vorziehe, aber vielleicht nur, weil ich unterm himmelweiten Dachgeschoß des Hauses direkt gegenüber einmal durch eine ganze Nacht mit dem großen >>>> Hrdlicka gesoffen habe, wozu er, ja: e r! verleitet hat; solche Nächte vergißt man nicht, zumal dieser geniale Mann heute leider nicht mehr lebt.
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Man findet in Wien Schnürsenkel, die es nirgendwo sonst mehr gibt oder die anderswo wahnsinnig schwer zu finden sind: dünne feine gewachste, die den Herrenschuh erst wirklich nobilitieren, auch wenn er von Haus aus handgefertigt ist. Der falsche Schnürsenkel, und der Schuh ist verdorben. Es hat mich unwillig gemacht, wochenlang, daß ich solche Schnürsenkel, nachdem die alten gerissen, und zwar gleich drei von drei Paaren, einfach nicht auftreiben konnte; selbst mein Berliner Schuster, der‘s versucht hat, konnte nur die Achseln zucken. Hier in Wien indes: auf Schritt und Tritt. Insofern läßt sich der Stadt vielleicht einiges entgegnen, nicht aber ein männlicher Eros absprechen, der sich auch zeigt. Dazu am Telefon die Löwin: „Da kommt der Konservatismus Wiens ans Licht, aber daß er eben auch gutes Handwerk bewahrt und seine Tradition.“ Und wer, wenn nicht sie, kann das wissen? (Selbstverständlich ließ ich‘s mir nicht nehmen, bei ihr im Kunstquartier hineinzuschauen; ihr Büro, bis heute, kannte ich nicht. Meine Güte, was da an den Wänden hängt! Sogar ein Bild aus >>>> Fichtes Nerthus-Serie. Nein, k e i n e Kopie!)
******* Nun gleich zur Vorbesprechung >>>> der heutigen Lesung ins Wunderland. Dann um sieben geht es los. Aber vielleicht schaff ich es noch, meine Notate aus dem Hawelka abzutippen und hierdrunter einzustellen. Daß ich bereits Whisky trinke, ist eine Hommage an den Alten, und an Qualtinger. Gott hab sie beide selig und möge verhütet haben, daß sie auf ihrem Weg ins Paradies an der Wächterin des Läuterungsberges haben vorbeigemußt, Amen.
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[17.05 Uhr.]
(Für die Läuterungswache ist nachzutragen noch, daß man uns dort erst nach zehnminütigem Sturmklingeln öffnete; die gewisse Reserviertheit, die ich Mitleidslosigkeit nicht nennen will, der beiden Wächter, des weiblichen und des männlichen Engels, kann also Gründe haben, über die ich mich, zumal hier, nicht einmal andeutungsweise auslassen will, denen allerdings, träfen sie zu, meine tiefe Sympathie gelten würde: so viel Hoffnung ist in mir, daß sie sogar für Freund und Helfer ausreicht.)
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Notate aus dem Hawelka (Nun hier drunter:).
Notate aus dem Hawelka.
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Das getrennte Telephonräumche/Kabinchen: Telephon-Zelle rechts neben dem Eingang (von drinnen gesehen); Orson Welles, Dritter Mann, sofort als Erinnrungsengel halb zwischen Kopf und Herz, also um die Kehle flatternd. Und eine riesige braune irdene Teekanne vor der alten schwerbuckligen Dame am Fenster, bei der man nicht weiß, ob sie nicht in Wirklichkeit ein Mann ist. Aber nein! Als sie sich eben erhoben hat, formten sich die schweren, sehr schweren, aber eben auch sehr flachen Hängebrüste unter dem Pullover, formten sich ab, deren Zitzen glatt auf dem enormen Bauch liegen müssen. Und wie gestern E. (Traumname Elis) erzählt, von einer ganz anderen Kneipe und von n o c h einer, hat – und von bereits der dritten: dort könne man gut sitzen und arbeiten. Mir das, der ich immer am Schreibtisch arbeite. Würde ich mich in Wien, sagen wir:, mimikrieren und ebenfalls „Kaffeehaus-Literat“ werden? Es hat seinen Grund, daß ich den Schreibtisch vorziehe; ich wäre anderswo permanent abgelenkt.
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Die feinen, eleganten gewi/achsten Herrenschuhbänder, die man sonst nirgends mehr bekommt; hier quasi auf Schritt und Tritt. Dazu die Löwin, am Telefon: das stark konservative Element Wiens bewahre, andererseits, die Handwerkskunst für Asseçoirs.
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Wo Menschen immer noch „Leopold“ heißen; wie bei R. Strauss im Rosenkavalier.
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Interessant im Hawelka, wie organisch sich die allerdings zu dieser Jahreszeit nicht sehr vielen Touristen einschmiegen – in eine zur Stille gekommenen, zur Stille gestandenen Zeit, von ihr, aber milde, überwachsen, aufgelassenen Grundstücken gleich, die an einem Waldstück vergessen worden sind und die sich der Wald zurücknimmt, das Gras zurücknimmt, das Moos zurücknimmt. Die meisten Ruhenden hier – sie ruhen selbst dann, wenn sie sprechen, selbst dann, wenn sie das lebhaft tun – sind freilich Wiener. (In meinem in anderen Monaten mit an die zweihundert Gästen belegten Hotel logieren zur Zeit fünfundvierzig, wie ich erfuhr, als ich, morgens das fast leere Frühstückszimmer betretend, die Bedienung fragte. „Ja-bin-ich-denn zu spät?“ Da war es acht Uhr am Morgen.
Es gibt übrigens auch in Wien nur ganz wenige Menschen, die den polnischen Steh-Imbiss „Trzesniewski“ richtig aussprechen.
Klingen sollte er so: Tschesni-evski