III, 345 – Was der Rede nicht wert, ist der Rede wert

Es war genau vor einer Woche, da beging man das Fest der Stadtpatronin, einer gewissen Santa Firmina oder Fermina, die da einst von Civitavecchia am Tyrrhenischen Meer flüchtend herübergekommen, um dann doch hier ihr Martyrium zu erleiden in den Zeiten des frühen Christentums. Und so feiern Amelia und Civitavecchia diese Firmina und sind Partnerstädte trotz der nicht allzu großen Entfernung. Der Bürgermeisterin schien es wichtig gewesen zu sein, diesen Tag besonders “aufzuwerten”. Es gab Umzüge, die nahegelegene Piazza Marconi bot Musike sowie Schmuckstände und den üblichen Freßstand (was man so “stand gastronomico” nennt). Am nächsten bei FB Fotos von Karren ziehenden Ochsen wie einem Einst angehörig, bar aller Realität.
Es zog mich eher dahin und zu den “donne tessitrici”, die involviert oder verwoben waren in den Platzrummel. Es war nicht weit, weder ein Hinab- noch ein wieder Hinaufgehen. Und betrat auch gleich den an den klingenden Platz grenzenden Laden der Weberinnen, Knüpferinnen, Strickerinnen, Stickerinnen, die bis auf eine aus aller Welt stammen. Natürlich auch M., die Ukrainerin. Richtig, ich suchte einen Schal, und fand auch einen, aber erst als der Frauenandrang, der da anfänglich war, sich verflüchtigt. Und nachdem M. mir nonchalant aus dem Schal (die matt orangefarbenen Ränder, die einen breiten senfbraunen (senfgrauen?) Streifen begrenzen, paßten gut zur braunen Lederjacke) einen Halsstrick angelegt, trat ich auf den Platz.
Irrte etwas zwischen den Ständen mit Dutzendschmuck und tristen Amelia-Souvenirs umher, erkannte zwei Damen, mit denen ich und der Engländer John bei den Mittaugust-Feierlichkeiten ein ganzes Weilchen verbrachten, die aber zu der verhärmten Sorte Damen gehören und, ungewitzt, nicht viel mehr hervorbrachten, als daß heute Santa Firmina (wußte ich schon) und es auch gar nicht so kalt sei. Grüßen und ein paar weitere Stupiditäten sagen und weitergehen.
Bei der Freßbude und neben der Banda del Secchio (die Eimer-Band) erblickte ich l’ami belgique avec la fille et sa mère aussi. Sie kam wieder auf das Abendessen zurück, zu dem sie mich neulich hatte einladen wollen, an dem ich an jenem nunmehr fernen Samstag – mich der Unwirschheit zeihend im Nachhinein – mit einem Jein geantwortet. Wann es mir recht wäre. Ich erklärte mich einverstanden für einen Dienstag, denn wie man weiß ist hier in Amelia der Dienstag (und der Freitag auch) ein Fischtag, weil ich dachte: bloß kein Fleisch! Die Gründe für das Warum zu entfalten, verbietet Eigenliebe mir. Ob es schon der nächste sein sollte, war nicht wirklich klar, denn nachdem ich einen Glühwein bestellt und auf Mädchenbeine schielend ihn trinkend dastand und auch noch der Einen eine Zigarette spendierte, die auf mich zugekommen war, weil ich gerade rauchte, mir auch gleich die Hand gab und sich fast schon knicksend vorstellte (Ilaria? würde passen, aber erstmals genannte Namen schlüpfen regelmäßig durch die Synapsen, ohne wirkliche Spuren zu hinterlassen), und trippelte rauchend auch gleich wieder davon.
“Und jetzt genug von Verjüngung, von jung Werden, von Jungtun.” (Handke, Die Obstdiebin)
Sagte ich mir nicht, aber las es Tage später. Aber es war, als hätte ich es mir gesagt, denn ich ging nach Hause. Aber der Schal gefiel mir immer noch.
Und zum Kaurismäki schaffte ich es dann nicht mehr an dem Abend.
Dann kam der Dienstag und die Ungewißheit, wie es denn nun gemeint gewesen mit dem Essen.
Nein, es war dieser Dienstag gemeint, denn l’ami belgique bimmelte eigens an.
La mère noch immer in einer Versammlung. Er am Herd und ich mit la fille, 19 Monate alt. Gut, daß Bilderbücher da waren, sie hatte eins hervorgekramt, daß auf französisch die Welt beschrieb bzw. illustrierte. Da stand dann ‘crayon’ und sie sagte ‘matita’. Da war dann die Kommunikation gefunden in der Unmöglichkeit der Möglichkeit der möglichen Wörter (oder wo immer man die Vorsilbe -un hinsetzen wollte), die sich auf einen Klang nicht reduzieren, sondern konzentrieren.
Fürs Zubettgehen einigten wir uns auf ein melodiöses “Tschü-ü-ß”.
Nachdem die enorme Goldbrasse endlich (endlich!) verspeist war.
Die Freundin, die ich anrief, um zum Geburtstag zu gratulieren (sie stand am Largo Argentina in Rom, was sie mir sagte, nachdem ich verwundert nach dem Martinshornlärm gefragt): sie sei auf dem Weg zu einem Abendessen, aber es gehe ihr so, daß sie eigentlich Mühe habe, sich irgendwohin zu begeben, daß allerdings, sobald sie es getan, diese Mühe auch schon nicht mehr der Rede wert sei.
Indirekt gab ich ihr recht, was der Rede nicht wert ist, ist der Rede wert.

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