PP34, 5. November 2013: Wieder in Heidelberg. Mit einer kleinen Überlegung zur „selbstbewegten“ Ästhetik, sowie abermals zu Fahlmann.


Der >>>> Fahlmann nun in Heidelberg.
[Germanistisches Institut, Palais Boisserée, Zimmer 308.]
Eine Art Heimkehr, zumal verbunden mit der Aussicht auf ein Präsenzstipendium für 2015 und dieses verbunden mit einem neuen Lehrauftrag. Ergab sich so, gestern, nach der Lesung, zu der an die zwanzig Leute im Seminarraum zusammenkamen, kluge Leute, denen es auf den literarischen Mainstream nicht ankam, sondern die neugierig waren. Dazu Kühlmanns Einleitung, die durchaus Skepsis formulierte, was das „kybernetische“ Schreib-, sagen wir mal, -„programm“ anbelangt; seine Position ist der Delf schmidtschen durchaus ähnlich, indes Eickmeyer von anderer Warte aus auf die Ästhetik blickt, vor allem auch die gesamte Trilogie überschaut. Da sprach er privat sogar von einem „Familienroman“, woran nicht wenig ist, und unterstrich den epischen Character der Gesamt-Trilogie. Daß die Konstruktion gleichberechtigter, sich gegenseitig balancierender Ebenen irritiert, sei dabei dahingestellt, und daß man auf der Suche nach einem Ersten Beweger erfolglos bleiben müsse, jedenfalls, wenn man die Immanenz der Erzählung nicht verlassen wolle. Auf den Autor als Urheber, also mich, zu verweisen, ist tatsächlich für das Modell nur banal, weil so etwas für j e d e s Modell gilt. Die Frage ist vielmehr allein die, ob ein solches Modell in sich tragfähig ist oder ob das Erzählkontinuum Risse hat. Um es anders zu sagen, ein Bild ist ein Bild. Wir nehmen ihm die Kraft, wenn wir es allein auf seinen Urheber zurückführen. Daß jede Kunst ein Gemachtes ist und sich nicht selbst schöpft, ist doch wohl selbstverständlich.
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Der >>>> Fahlmann wiederum, etwa ab S. 600, dreht nun zunehmend insofern in ein Surreales, bisweilen Bizarres ab, als die Ebenen sehr ähnlich wie in Argo ineinanderlaufen und aufeinander wirken, nur daß bei Ecker der Bezugspunkt (das Bezugssystem) – jedenfalls bislang – fest definiert bleibt: nämlich in der Figur des Ich-Erzählers, auch wenn dieser sich selbst zunehmend oft zum Gegenstand macht, etwa, was hübsch ist, in theaterähnlichen Dialogen, in denen ein dadurch doppelt subjektivierter Georg Fahlmann einem objektivierten Georg Fahlmann, als einem Interviewpartner, Fragen stellt, die dieser dem subjektivierten Georg Fahlmann beantwortet. Doch unversehens kann Georg Fahlmann, besonders aber sein Freund Winkler, zu einer der Figuren des von Fahlmann (nicht etwa Christopher Ecker) geschriebenen Afrika-Romanes werden, der an Fahlmanns wichtigste Liebesgeschichte, die in Paris spielt, anknüpft, weil sich jetzt Bahlow, die Figur Fahlmanns, in Paris aufhält usw. Ein wirklich grandioses Spiel, für das übrigens a u c h Schopenhauer einen der Paten abgibt – aber anders als bei mir immer in ironischer Balancierung, zum Beispiel durch folgende Anekdote:Schopenhauers bester Freund pflegte auf einem Bärenfell im Arbeitszimmer zu schlummern, ein weißer Pudel namens Atma (Weltseele). Als der Hund starb, fand der Philosoph in einem Frankfurter Hundeasyl einen weißen Pudel, der dem Verstorbenen erstaunlich ähnelte, nannte ihn Atma (Weltseele) und schrieb Die Welt als Wille und Vorstellung.
Fahlmann, S. 726/727,

Man kann das für einen Witz halten; dennoch kann es – und tut es –, Wirklichkeit konstituieren, und zwar n i c h t nur poetische/poetologische.

(Verstehen Sie diese Skizzen bitte als Vorüberlegungen für meine Rezension dieses Buches, das wahrscheinlich dasjenige ist, welches mich in diesem Jahr am allermeisten beschäftigt hat und weiterbeschäftigt, von meinen eigenen Arbeiten, selbstverständlich, abgesehen.

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Und heute abend also >>>> die zweite Lesung, diesmal in einer Buchhandlung – >>>> artes liberales – und insofern von stärker öffentlichem Character. Ich bin wirklich sehr gespannt, wer sich dort einfinden wird. Über den Tag werde ich unter anderem die Lese-Auswahl vorbereiten. Und im übrigen hier im alten Arbeitszimmer vor mich hinschreiben, möglicherweise wirklich am >>>> Traumschiff jetzt, aber ich will auch lesen. Irgendwie hab ich keine rechte Lust drauf, schwimmen zu gehen, sondern mag das tägliche Training aussetzen, obwohl ich mein Schwimm- und Sportzeug aus Berlin mit hergeschleppt habe. Es gibt einen Unterschied zwischen (Selbst-)Disziplin und Zwanghaftigkeit, und ich lege Wert auf ihn.

(11.17 Uhr.)

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(Mittags:)

>>>> Artes Liberales, Heidelberg: Fenster zum Platz.
Mit dem verehrten >>>> Walter Boehlich.

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3 thoughts on “PP34, 5. November 2013: Wieder in Heidelberg. Mit einer kleinen Überlegung zur „selbstbewegten“ Ästhetik, sowie abermals zu Fahlmann.

  1. Sehr geehrter Herr Herbst,
    wie wohltuend empfinde ich es, endlich ein paar kluge Zeilen über den bislang nahezu totgeschwiegenen „Fahlmann“ zu lesen. Nach Lektüreende schwamm ich ein wenig durchs Netz und konnte mit Ausnahme Ihrer Zeilen bisher wenig entdecken, was mit begreiflich machen konnte, warum dieses Buch bisher so wenig besprochen wurde, ist es doch etwas, was neben Ihren und den kürzer geratenen Werken von Klein, Hoppe und Lewitscharoff etwas aufschwingende Dynamik in die deutschsprachige Literaturperistaltik bringen könnte. Den Grund haben Sie in ihren kurzen Einlassungen über die Machtverhältnisse der zeitgenössischen Kritik („Wer zuerst zwinkert hat verloren“) gut verdeutlicht. Ich finde es unglaublich irrsinnig, wenn alle 3 Jahre ein Pynchon, Bolano oder Foster Wallace in Übersetzung als Rettung experimentalfreudiger Literatur durch den feuilletonistischen Augiasstall geflutet wird, um Weltläufigkeit zu beweisen und dagegen ein Fahlmann über 10 Jahre im kleinkrämerischen Lektorenlimbo kokeln muss, bis ein mutiger Kleinverleger aus der Provinz endlich erbarmen zeigt. Aber vielleicht ist diese klandestine Schattenlinie ja ein immerwährendes Muss (Thelen, Schmidt, Fritz, Wühr, etc.) bevor die Happy Few der nächsten Generation Euch wieder ausgraben.
    Alles Gute (baba kufa, mama kufa)
    haschemitenfuerst
    PS. Ockham:
    Ecker – Fahlmann – Winkler ### v. Ribbentrop – Herbst – Deters
    Fahlmann # Dschungel?

    1. Verehrter haschemitenfuerst, daß ich ein ähnliches Rasiermesser zu führen versucht war, mag ich nicht verschweigen; manche Ähnlichkeiten sind zu frappierend in ihrer aufscheinenden Einfachheit, anderes differiert aber wieder so arg, daß die Klinge denn doch zu stumpf wäre, um selbst diese Elefanten wegzuschneiden. Vor allem mag ich in meiner jetzt zu schreibenden Rezension auch nicht entfernt auf sie eingehen, weil ich in Afrika erlebt habe, wie schnell sich diese Tiere, die eben noch in gut sicherer Entfernung sich aufzuhalten schienen, heranzukommen verstehen, und dann stellen sie sich vor einem mitten auf dem Weg auf un trompeten. Das also laß ich besser bleiben, denn es soll um den Fahlmann gehen und nur um ihn. Da mag ich auch in einem, sagen wir, Randzentrum nicht stehen – allenfalls in Hinsicht auf poetologische Überlegungen, die der Kritik und dem Buch als mehr und/oder minder objektive Gemeinsamkeit zugrundeliegen.

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