PP9, 5. Oktober 2130: Sonnabend. (Nach der ersten Argo-Lesung und auf die zweite zu. Orientierungen.)


Fotografie (©): Theo Lustig.


Proppedickevoll >>>> war’s, der Saal bis quasi auf den letzten Platz gefüllt. Damit hatte ich, ich schrieb es Ihnen gestern, nicht gerechnet, sondern gefürchtet, ich säße da vor sechssieben Verstreuten. Nein, „Rang & Namen“ hörten zu. Als ich „Nullgrund“ las, standen, etwa in der Mitte dieser ersten Romanabteilung, dreie auf und gingen; kurz schoß die Befürchtung eines nunmehr folgenden Mini-Exodus in mir auf, legte sich aber schnell wieder, weil ich so in den eigenen Text hineinfiel – der allerdings, denke ich im nachhinein – und sprach drüber auch mit dem Verleger und mit Delf Schmidt -, für einen Lesungseinstieg zu lang ist; ich werde für kommende Veranstaltungen eine Strich-, bzw. Lesefassung erstellen, die das expressive, sehr gewaltsame Geschehen auf eine Viertelstunde herunterbricht.
Dafür hat sich wieder einmal mein Konzept bewährt, solche Lesungen nicht als einen durchgehenden Vortrag zu gestalten, dem das Gespräch erst folgt, sondern dieses von Anfang an in die Aufführung mit einzubinden. Das lockert ungemein und fokussiert das Publikum immer wieder neu. Kurz schien es auch so zu werden, als mischten die Hörer:innen sich jeden Moment ein; das blieb schließlich aber, leider, spärlich und geschah auch erst gegen Ende der insgesamt für eine Lesung langen Veranstaltung: über eine und eine dreiviertel Stunde währte sie, und die Leute wurden nicht unruhig. Ich hätte sogar noch eine kurze Lesestelle hinzugeben können, mochte aber nicht mehr, mochte nicht überziehen, und brach, allerdings ein bißchen unorganisch, ab. Jemand kam und ließ sich, das hatte er alles mitgebracht, ein Drittel meines Gesamtwerks signieren – darunter sogar meinen Erstling, >>>> Marlboro, den ich seit Jahren nicht mehr in der Hand gehalten habe; ein geradezu druckfrisches Exemplar. Ansonsten wurden nicht viele Bücher verkauft, was mich immer verdrießt, aber, merkte >>>> Norbert W. Schlinkert später an, „neununddreißig Euro, das hat man nicht einfach so bei der Hand; das tut weh“. Bei Clemens Meyer spielt das freilich keine Rolle, aber da, so wiederum Sabine Scho, „greift der Hype“. Zu recht allerdings, wie ich finde; >>>> ich schrieb es auch so. Doch die Frage, weshalb Argo nicht einmal auf der Longlist zum Buchpreis aufgetaucht sei, ist zentral; Jürgensen stellte sie gleich zu Anfang seiner Einführung. „Hier steht jemand sehr bewußt quer zum marktkonformen Neorealismus.“ Wobei dieses „bewußt sein“ a u c h ein Hindernis ist, um akzeptiert zu werden. „Es gefällt den Leuten nicht, wenn jemand weiß, was er kann, und das auch zeigt.“ So Scho. „Man will Autorinnen und Autoren, die immer ein bißchen leiden, denen man Gutes tun kann, über die man bestimmen kann – jedenfalls sollen sie den Eindruck machen. Daß deine Texte nicht wirklich vorkommen im Betrieb, hat damit zu tun, hat viel mehr mit deiner Person zu tun als mit deiner Literatur.“ – Es ist ein rein deutsches Phänomen, ein Schuld-Phänomen, eines der Schlechtgewissigkeit nach Hitler; in romanischen Ländern wäre es absurd. „Eleganz wird nicht verziehen“, bemerkte in einem anderen Gespräch jemand mir noch ganz anders Nahes.
Später kam Dietger Porte, ehemals Berlins Literatur-Richelieu, nach vorne, wo ich signierte. „Das stimmt nicht, was Sie gesagt haben: daß Ihr Anderswelt-Unternehmen jetzt abgeschlossen sei. Sondern es wird der Tag kommen, an dem Sie selbst eine Herbst-Dechiffriermaschine in Gang setzen. Das garantiere ich Ihnen. Wie bei Arno Schmidt wird das werden, wie bei Joyce.“ Ich: „Nö.“ Er: „Warten Sie’s ab.“ Aber ich will anderswohin, will Deters nun endlich losgeworden sein nach fast drei Jahrzehnten. „Eine neue Einfachheit?“ fragte Jürgensen. „Eine auf gewissermaßen höherer Ebene?“ Aber ich mochte über den Sterberoman nicht sprechen. Anderswelt ist in die Welt geworfen, jetzt müssen die Romane ganz alleine weiterleben, aus sich selbst. Ich werde sie noch auf den Lesungen begleiten, mehr aber nicht. Eigentlich will ich auch gar nichts mehr erklären, will g a r nicht erklären.
Der Verleger war sehr ruhig und ausgesprochen zufrieden. Was einiges wert ist. Anders als ich macht er sich um den Absatz keine Sorgen. Aber einer vom Fach habe angemerkt, Herbst wolle unter allen Umständen die Avantgarde fortsetzen: was als ein Vorwurf gemeint war. Als wär das nicht mehr zeitgemäß. Zeitgemäß ist in der Tat die Regression in die literarische Bürgerlichkeit einer von Anfang an auf allgemeine Akzeptanz geschriebenen Dichtung, einer, die nicht wirklich stört, schon gar nicht aufstört, sondern beruhigt. Ein Sieg der, hätte Adorno geschrieben, Affirmation; sie begleitet den „Sieg“ des Kapitalismus, seine Totalität: So viel Verrat ist geschehen, so viel falsches Befrieden. Es stimmt, ich werde das nicht mitbedienen. Sollte ich schwach werden – selbst ich, weil Mensch, bin erschöpfbar – , dann hauen Sie mir bitte auf die Finger, und nicht nur auf die.
Auch Delf Schmidt, nachts im Diener, formulierte noch einmal Einwände. „Du bist ein solcher Bauch-Erzähler, wozu dann immer das Konzept?“ Ein Einverständnis mit dem Profi, das mich wurmte und heute morgen weiterwurmt. Die Attacke zielt auch auf den Nullgrund. Es gibt aber auch andere Stimmen unterdessen, einige. Und außerdem wurmt mich, daß abermals gesagt wurde, der Text sei „schwer zu lesen“, wenn ich ihn vortrüge, indessen, sei plötzlich alles leicht, irre rhythmisiert, geradezu vorantreibend. Ich frag mich bei solchen Aussagen immer, weshalb die Leute denn nicht mal laut lesen? Sie kommen mir vor, wie Hörer, die eine Musik verstehen wollen, indem sie die Partitur lesen, nichts aber Klang werden lassen. Das g e h t auch, ja, aber nur, wenn man die Partituren sowieso in sich trägt, als ein Komponist eben selbst. Wie Brahms sie in sich trug. Alles erschließt sich, wenn Klang wird. In meiner Literatur mehr als in der meisten anderen, jedenfalls bei Prosa. Aber man ist sowas nur in der Lyrik gewöhnt. Und die verkauft sich ergo schlecht.

Also ich kann überhaupt nicht sagen, ob das gestern abend ein Erfolg war. Gemessen am Buchverkauf war es keiner, gemessen an der Aufmerksamkeit aber schon. Immerhin ein erster, und zwar deutlich wahrgenommener, Schritt ins Bewußtsein: daß es so etwas gibt wie das, was ich schreibe. Einiges wird, denke ich, nachwirken. Jetzt kommt es, begleitend zu den nächsten Lesungen, auf die Presse an, sei es der Printmedien, sei es des Netzes. „Sie stehen ganz vorne in der literarischen Entwicklung“, hat mir vor Jahren der meiner Arbeit gegenüber stets hochambivalente Pforte gesagt, der aber nie aufgehört hat, sie zu beobachten, „Sie stehen ganz vorne und treiben sie voran; wenn es dann aber so weit sein wird, wenn die Ästhetik allgemein akzeptiert worden ist, werden Sie nichts mehr davon haben, sondern andere, die sich draufgesetzt haben werden, werden den Erfolg einstreichen. Das kann ich Ihnen heut schon voraussagen.“

(Bruno Maderna, Violinkonzert, 1969.
8 °C., bedeckt. Regen ist angesagt.)

***

Vilnius hat sich wieder gemeldet, favorisiert die Konzept-Idee, mag nicht verschieben. Das setzt mich unter Druck, zumal der heutige Tag für die Arbeit quasi ausfällt. Um 15 Uhr eine Taufe, zu der mein Sohn und ich geladen. Vorher unbedingt Training, für das – à propos – schon ziemlich absurd ist, daß ich heute früh, nachdem ich nachts so viel getrunken und auch noch eine Pizza in mir hineinge-, ich kann es nicht anders sagen, -stopft habe, bei einem Körperfettwert von 15,7 angekommen bin, unter sechzehn, was ich schon gar nicht mehr für möglich hielt. Verstehe jemand meinen Körper. In einer Stunde zieh ich los – nachdem ich dann auch >>>> die Frankfurtmainer Veranstaltung des kommenden Mittwochs annonciert haben werde; auch dafür sind wieder Einladungen, persönliche, hinauszuschicken. -Wie es denn um meine Medientermine auf der Buchmesse bestellt sei, wurde ich gefragt. „Na mager“, antwortete ich. Denn es stimmt: Ich setze, was einmal Avantgarde hieß, konsequent in meiner Prosa fort und werde mich nicht beugen. Der Sterberoman, das Traumschiff, wird, wie schon >>>> Meere war, lediglich ein Einhalten sein, um mich ästhetisch zu orientieren. Immer nur voranzustürmen, geht auf die Übersicht. Zumal, wenn man nicht mehr dreißig ist.
***

2 thoughts on “PP9, 5. Oktober 2130: Sonnabend. (Nach der ersten Argo-Lesung und auf die zweite zu. Orientierungen.)

  1. Eitelkeit Na, lieber Alban, das wusste ich ja vorher, das du gleich mit ganzer Kraft deines Eloquenz und Schreibkraft, (das du ja OHNE JEDEN ZWEIFEL hast…) antworten wirst und um dich schlägst.
    Das heißt: Mich schlägst!
    … diadorim, hat es besser verstanden.

    zürnst du wie der könig in einem märchen, der bei dem vergleich seiner jüngsten tochter, die versucht zu sagen, sie liebe ihn sehr, nämlich wie das salz in der suppe, gleich des ganzen reiches verwiesen wird. … und dann noch von mir!..deren Können,Wissen und menschliche Größe, du offensichtlich soviel geringer einschätzt als das Deine
    Schon gar nicht lasse ich mir so etwas von jemandem sagen, die noch nie in ihrem Leben für andere auch nur die Spur existentieller Verantwortung übernommen hat.

    Was weißt du denn da über mich was ich nicht weiß??…oder willst du mich kleinmachen? Um die Kritik klein zu machen und den Biss zu nehmen.

    Mittelmaß und Kleinbürgerlichkeit???? Das müsstest du wahrlich besser wissen..

    Schlag doch nicht so infantil um dich …ist gar nicht nötig.

    Hatte einfach Lust dir mal zu sagen was mein ganz persönliches Problem mit dir und deiner Literatur ist …zu schwer ist sie mir nicht. Hab ja doch einiges gelesen…Sie ärgert mich nur immer wieder mal (ist ja nichts schlechtes…) ich finde es in deinen Büchern hinderlich, das du dich immer so dazwischen drängst und mich daran hinderst Empathie für deine Figuren zu entwickeln.

    Ich hatte Lust dazu, als das Foto sah, bei der Lesung im Literaturhaus und ich – wieder einmal
    dachte – ACH Alban! Musst du da sitzen im kurzen T-Shirt und…waren das auch kurze Hosen?
    Um deine Kondition und deine Muskeln zu zeigen ( …hast du schon 5- 10 x erwähnt das du ALL das nur tust um mit 60 auf Weltreise gehen zu können…

    Du willst dich zeigen- dein Können und Wissen und auch deine Muskeln…ja zeig dich nur- ist auch wichtig für einen Künstler: Gesehen werden! Aber da geht’s auch um ganz Pupertäres:
    Die Frau, die sich beim Treppensteigen kurz auf deinen Arm stützen muss, und…erkennt und fühlt…. die Muskeln — Die Kraft.
    Die Dich erkennt!
    Ich versteh dich gut und mir tuts weh, das du mit 58 darüber noch nicht weg bist.
    Und ich finde, das diese unreife Eitelkeit Dieser unbedingte Wunsch: Das man dich erkennt – dich daran hindert, so gut zu schreiben wie du könntest.
    Kritik ist persönlich – auch meine- deine “Aussagen” über mich auch nur gekränkte Eitelkeit und unnötig…denn ICH bin DIR wohlgesonnen.

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