[Arbeitswohnung.]
Erster Latte macchiato, erste Morgenpfeife.
Momentan komme ich verläßlich nur zum Schwimmen früh aus dem Bett; ich bin in keinem Projekt, das mich treibt. Zudem ist mein Zustand des nervösen Wartens, eines suchthaften Abwartens, der fließenden Arbeit nicht zuträglich, jedenfalls nicht gleich – später dann, meiner Erfahrung nach, wird es das aber werden, weil dieses innere Gären eine Voraussetzung für Intensität ist; wir müssen sie erlebt haben, um sie gestalten zu können. Blut und Wasser müssen wir schwitzen; nur dann wird der Roman, wird die Erzählung, wird das Gedicht nicht nur Text, sondern auch selber Leben sein. Auch das ist ein Grund, weshalb ich von Ironie in der Literatur nicht sehr viel halte: Distanz ist das Gegenteil der Intensität.
Aber es ist, momentan, ein Vergebliches an ihr, weil ich ohne Antworten bleibe; das macht mich kirre. Zugleich verstehe ich die Dynamik „an sich“: ein Bindungsprozeß, man kann ihn geradezu chemisch begreifen. Genau darum heißt das Buch, wie es heißt: Die Wahlverwandtschaften. Modern sehe ich’s als Elektronen, die ihren Ladezustand wechseln; deshalb sprach ich >>>> dort von einem „Ladezustand der Fantasie“:
(Gischt, an Gestaden, zerschlägt Lebensentwürfe. Ich habe das, mag sein, zu deutlich gesagt. Immer war es diese Geschichte, seit ich, glaube ich, fünfzehn war, die ich bis heute glaube: – Ein Zugabteil, zwei sitzen da und sehen sich an. Sie kennen sich nicht, haben ganz verschiedene Reiseziele, aber erkennen einander. Da nehmen sie, obwohl keines dieser Ziele schon erreicht ist, einander bei der Hand und steigen irgendwo aus, um sich zu verbinden: zu heiraten. O h n e abzuwägen und, eben, „zu prüfen“, sondern man hat gesehn und weiß. Das schließt, weil es eine Rolle spielt, Verantwortlichkeiten alle mit ein. Daß sie gewahrt bleiben werden, ist ein Teil dieses Wissens, das bereits der allererste Blick, einer ineinander, wußte. Immer habe ich gemeint, und meine es noch heute, daß Ehen nur so geschlossen werden dürften.)
Zweiter Latte macchiato.
Was ist zu tun? Nun, in der Sache – nichts. Jedenfalls nichts nachlegen. Dreivier Schritte zurücktreten. Was geschehen soll, geschieht. Keine folgenreichen Entschlüsse fassen, schon gar nicht sie umsetzen. Mittags laufen gehen. Hier etwas Ordnung herstellen; davon ist weißGöttin grad einige zu schaffen. „Mit leichter Hand“, sagt >>>> die Marschallin. „Wer nicht so ist, den straft der liebe Gott.“ Nein, lieber Herr v. Hofmansthal, ich hab das auch jetzt nicht vergessen. Der nächste Schritt ist nicht an mir.
Weiterhin keine Nachricht aus Vilnius. Für den >>>> 26.10. sei, dachte ich, noch ein Vortrag zu schreiben, aber sehe gerade, es wird eine Lesung sein. Gut, dann werde ich erst einmal, in FB, den Veranstaltungshinweis für den >>>> 4.10. bauen. (Es drängt mich zu einem Gedicht, aber ich habe noch überhaupt keinen Ansatz, schon gar keinen Vers. Ganz sicher ein Distanzproblem.)
12.01 Uhr:
So, immerhin das: Die Veranstaltung >>>> ist erstellt.
17.44 Uhr:
12,6 Kilometer gelaufen, wenn auch eine Spur langsamer als sonst. Wichtig in Zeiten inneren Reißens, den Körper straffzuhalten, denn er muß alles das tragen. Sicher, wir können uns mal gehenlassen, aber letztlich tut das nichts besser, macht uns eher anfälliger, weniger bereit und verschmiert, statt zu schließen oder gar offenzuhalten: sich und das, was kommt oder nicht kommt.
Einige Briefwechsel gerade, vor allem fachlicher Natur, sofern denn ein Fach Natur genannt werden kann; dazu Kommentare beantworten, die mir freilich ein kleines bißchen zu indiskret sind. Ich möchte, was ich nenne, nicht benennen, sondern Formen suchen, die intim sein mögen, aber zugleich von künstlerischer Objektivität sind. Das ist schon Gratgang genug. Es hat seinen Grund, daß ich heute morgen auf Hofmannsthal verwies, ihn sogar ansprach, persönlich. Eine Freundin erzählte mir von einer kleinen Hand, die ihr in letzter Zeit, wenn sie, die Freundin, schlafe, sich an die Hüfte lege. Sie spüre sie deutlich, spüre sogar einen Atem, schrecke davon manches Mal auf, frage, ob da wer sei. Dann ist nur Stille. Aber legt sie, die Freundin, sich wieder hin, drängt ihr die Hand schon erneut auf die Hüfte: ein sanftes Auflegen, nichts fürs Entsetzen, sondern ein inniges Suchen, Berührung suchen. Ihr, der Freundin, liefen, als sie erzählte, ganz von eigen die Tränen. „Und ich denke dann, es ist das Kind, das ich nicht bekommen habe, nicht bekommen wollte damals. Das hat viel Trost, wenn ich mich darauf einlasse. Denn es sagt mir, es ist da.“ Und ich mußte an >>>> Svava denken. Denn mein Gedicht erzählt, nur anders, das Gleiche.
Daher also weht der Wind.
@Löwin. Er weht nicht, sondern stürmt. Aber darüber werden wir sprechen; Sie haben so sehr viel Feinsinn, daß Sie es sowieso spürten, und wir werden sprechen, innig, wie wir es ineinander gewöhnt sind. Denn Sie wie ich wissen beide, daß es Pfeile gibt, die in die Stiefmütterchen fahren, >>>> love-in-idleness, und nicht nur kleine Robins verträufeln ihren Saft. Wir müssen nicht einmal schlafen, um unversehens zu erwachen, und haben’s dann am Herzen, Schuldlose wir. (Vielleicht auch treffen die Pfeile direkt; nicht einmal davor läßt es sich schützen. Und hat sein Recht.)