[Arbeitsjournal. Eberhard Weber, >>>> Yellow Fields (Weber, Mariano, Brüninghaus, Christensen 1978.]
Definitiv ist der Sommer vorbei, und der Nachsommer, in dem er so sanft, daß ich es gar nicht recht merkte, hinwegdämmern könnte, hat sich mit Regen eingestellt. Das kommt zu früh, das kommt zu früh, das ist zu früh gekommen. Da bleibt nicht „als einzige fluchtrichtung der schlaf“ (André Heller, >>>> Trilogie eines Traums), sondern nur das michVorfreuen auf die beiden kommenden Bücher, den Roman, die Übertragung; lieber aber führe ich noch einmal in den Süden und winkte dem sich auf mich herabsenkenden Herbst aus einer Ferne zu, in der er mich nicht einhüllen kann. Lieber, als ihn schon anzusehen und zu spüren, schöbe ich das Erscheinen der Bücher um zweidrei Monate hinaus: so wichtig ist der Sommer für mich geworden, so schwierig der Abschied. Jetzt hör ich schon den melancholischen Jazz Eberhard Webers, jetzt fällt mir Hellers kleine poetische Trilogie ein („die buchmacher sind unbekannten aufenthalts, das casino ist niedergebrannt./ich schichte reisigbündel zu einem lager und singe für dich und dich und dich, schwester“).
Um sechs Uhr auf, erster Latte machiato, erste Morgenpfeife, erste Zeilen.
Es gibt auf dieser Heller-LP einige gute Texte, wie der Mann ohnedies ein verkannter Erzähler und auch Lyriker ist, dem zwar in den Gedichten immer mal wieder der Kitsch durchgeht, aber das hat er mit anderen Liedermachern gemein, von Dylan bis Wecker; in seinen großen Momenten erhebt er sich weit über sie:
und sei du, wider alle vernunft,
meine nützliche idiotin,
lass dich betrügen, verraten, belügen,
an die hungrigen wölfe im käfig
meines lachens verfüttern
libelle, aber wir finden uns dennoch
flügellos schwebend unter einem
himmel aus kurzem septembergras
über das der rauchduftende indiani-
sche wind hinwegzieht …
Bis halb elf Uhr frühnachts Eckers >>>> Fahlmann weitergelesen, kaum mehr weggekommen von dem Buch; die Formulierung die wunderbarste aller Fluchten, das Lesen findet sich auf S. 204 und ist mit einer innigen Erinnerung Georg Fahlmanns, des Erzählers, verbunden, die er kurz vorher in seinem Großvater gewidmete Worte gekleidet hat, der zum ersten Mal, als Fahlmann dessen mit Büchern gespicktes Haus betritt, nach Sterben riecht. Vor einigen Monaten hatte sich in seinen Augen sogar ein heller, weißgrauer Kornealring zwischen der Irisgrenze und der Iris gebildet, ein Ehering des Todes, den wir Mediziner in unserem grausamen Jargon „Arcus senilis“ nennen. Wobei mich das „wir Mediziner“ irritiert, weil Fahlmann gar kein Mediziner i s t; Ecker scheint ihn dies als eine ironische Volte aufschreiben zu lassen, die aber nicht wirklich funktioniert, oder der ganze Satz ist ein Zitat, dessen Herkunft ich wie seinen Urheber nicht kenne.
Zweite Morgenpfeife.
[Norma Winstone, John Taylor, Kenny Wheeler: Azimuth (1977).]
Aber ich merke gerade, wie ganz offenbar das Sterbebuch aus mir herauswirkt, das mich in eine Stimmung der Rückschau versetzt, die ich für diesen Roman auch brauche; ein alter Mann sein, was ich aber ja nicht bin und worüber ich froh bin. Sie können meinen die letzten Wochen bestimmenden Sport,naja,wahn? auch unter diesem Aspekt betrachten: Ich muß in die Stimmung und Sichten hinein, darf aber nicht darin versinken. Nicht nur des Teufels Suppe will einen langen Löffel. Anders als >>>> Wolfgang Herrndorf bin ich ein Sterbespieler; das ist nicht ohne Anmaßung und kann nur durch einen Roman gerechtfertigt werden, der sich in allem der allermöglichsten Klarheit verschreibt, sei es des Stils, sei es in bewußtem Verzicht auf Dramatik und Virtuosität, denn ich habe nicht die Entschuldigung einer religiösen Sendung oder des religiösen Bewußtseins überhaupt; ich habe nur die poetische Vornahme. Ich habe nicht das Recht, das einem schwere Krankheit gibt. Und ich muß aufpassen, daß nicht aus dem Sterbebuch ein Sterben wird, weil eben der Löffel zu kurz war. Als ich 1999, oder war es 2000?, nein, da wurde mein Sohn geboren, 2001? – in dieser Zeit jedenfalls, als ich da oben auf dem ausbrechenden Ätna stand und grad noch so mit heiler Haut wieder herunterkam (auf dem Hosenboden rutschend, Nebel, Steinhagel, feine spitze Aschenglut), wußte ich, daß er nun eine Rechnung mit mir habe, die offenstehen und nicht wieder ausgebucht werden würde, bis ich zu einer ähnlichen Gelegenheit zurückkäme. Es kann sein, daß dieser Sterberoman so eine Gelegenheit ist oder daß der Alte sie für eine solche nimmt. Auch deshalb „rüste“ ich mich, rüste meinen Körper und trainiere also.
Übrigens lese ich bei Herrndorf nicht. Das hat den Grund, daß ich nicht unbewußt Haltungen übernehmen will, nicht Sichtweisen, nicht Klänge; ich will eine eigene Person schaffen, fast allein aus der Imagination, einen alten Mann, dessen Ton ich nicht aus einem mir bekannten, bereits Literarisierten kompiliere; dabei habe ich zwar eine „tatsächliche“ Person vor Augen, das ja, aber sie hätte über ihr Sterben niemals gesprochen, allenfalls mit der Gemahlin, vielleicht mit dem Arzt, aber mit keinem anderen sonst, geschweige denn, daß sie darüber geschrieben hätte. Es gilt deshalb, indem ich sie, diese Person, diesen bestimmten alten Mann, die Erzählung schreiben lasse, zugleich ihr Privates zu wahren, und zwar direkt in der Sprache als Sprache.
Und nun ist tatsächlich die Sonne herausgekommen. Aber sie hat nicht wirklich Kraft mehr. Gegen Mittag werde ich zwölf Kilometer laufen und das Bauchmuskeltraining anschließen. Der Bauchmuskel ist Atemmuskel.
Hell sein!
[Nach laufen, duschen, einer knappen dreiviertel Stunde Schlafs.]
Schon toll, indes, wie gewaltig im Park der Wind durch die Baumwipfel rauscht: in stetigen, sich an sich selbst berauschenden, sich selbst begeisternden Böen. Ganze Äste reißt er ab, sofern sie morsch genug sind. Es ist ein Vorteil meines Trainings, daß ich wieder Jahreszeiten mitbekomme und ihren Wechsel, ihr Einschleichen und aber plötzliches Hineinbrüllen auch, wie sie den Kopf heben, manchmal die Faust, dann wieder listig leise sind und da, eh jemand sich versehen.
Der Nachschlaf-Caffè (also -Espresso). Vor dem Laufen kam noch eine harsche Kritik >>>> Ralf Schnells an meinem Nibelungentext; wir mailten argumentierend hin und her; mit zweidrei Einwänden hat er recht, bei anderen, glaube ich, nicht. Dennoch hilft mir sowas sehr, weil es mir den Kopf immer noch mal in eine andere Richtung dreht, aus der ich eine Arbeit dann ansehen und gegebenenfalls auch be- oder sogar umarbeiten kann. In diesem Fall wird es um ein paar kleine zusätzliche Distanzierungen gehen, sozusagen um U m-Zuschreibungen, vielleicht auch darum, die beiden Charaktere noch etwas schärfer auszuschneiden. Auch Manuela Reichert, wegen des Dichterfreundschafts-Textes, hat ein paar Anmerkungen; bei ihr geht es aber vor allem um Kürzung, damit die sechs Minuten, die der Radiobeitrag haben soll, nicht überschritten werden.
Doch zuvor mache ich erst einmal mit dem Neapelstück weiter, das ich heute morgen, wie ich wollte, auf dem Papier wiedergelesen und bereits mit Strichen versehen habe, die jetzt in eine Zweite Fassung übertragen werden müssen. Diese lese und korrigiere ich dann abermals, vor allem auf Anschlüsse, erst als Datei, dann auf Papier. Das aber wohl erst morgen. Heute abend wird mein Sohn hier sein, um mit mir Köfte zu essen, die ich aus Hack mit Gewürzen verkneten und braten und zu denen ich grüne Bohnen reichen will. Er liebt dieses Essen wie ich. Aber es muß dafür noch eingekauft werden.
Hell sein Die Suche nach Heimat mit abgeschliffenen Zähnen, der junge Dandy in Creme, noch scheinbar siegesgewiss,
nunmehr aber den Körper fast kreischend gegen die Auflösung konditionieren, gleichzeitig Sterberoman und dessen – wahrscheinlich, hoffentlich – kunstvoll kunstlos erzählte Geschichte: Schöner Text.