[Fotografien/Collagen: ANH/iPhone.]
Womit sonst sollte man ein Festival für neues Musiktheater abschließen, als mit quasi einer Verbeugung vor einem Komponisten, der die Neue Musik ausschlaggebend mitgeformt hat und die Oper selbst zwar dekonstruiert, sich zugleich aber selbst vor ihr verbeugt hat? – beides nicht ohne unverhohlenes Augenzwinkern. Der 1992 in der Heimatstatt seiner Wahl, New York City, verstorbene >>>> John Cage hat von 1987 bis in sein Todesjahr fünf „Europeras“ genannte, nun, nicht „Opern“, aber doch Musiktheaterstücke geschrieben, durchnummeriert von 1 bis 5 mit jeweils verschiedenen Schwerpunkten im Blick; Europeras 3 & 4, das nun in der Werkstatt der Staatsoper zur Aufführung kam, fokussieren sich besonders auf die Spätromantik, also auf bis einen in den Expressionismus vorangetriebenen Ausdrucksgesang, der die Weichen in die Neue Musik durchaus mitgestellt hat, namentlich der in Europeras 3 besonders vordrängliche Richard Wagner; aber auch der Verismo ist kräftig vertreten, sowie werden neben salonmusikähnlichen Klavierminiaturen vor allem Liszt-Transkriptionen angespielt. Das Klavier wirkt insgesamt als ein – allenfalls – strukturierendes Instrument, was auch musikhistorischen Sinn ergibt, insofern es bis heute als Orchesterersatz verwendet wird – als ein solcher war es auch spätestens gedacht, seit in Form sogenannter Klavierauszüge die Opernmusik Einzug in die „gehobenen“ bürgerlichen Haushalte hielt. Daraus entwickelte sich schließlich eine ganz eigene Kunstform, die eben vor allem Franz Liszt vorantrieb und in der er seinerseits mit modernen Impulsen der Entwicklung, und zwar extrem, experimentierte. Auch das wird, ungesagt, von Europeras mit reflektiert. Denn wiewohl – von „Don Sanche“, einem Frühwerk, mal abgesehen – nun wirklich kein Opernkomponist, wirkt er in Cages Europeras 3 & 4 geradezu als Kulminationspunkt.
Tatsächlich hören wir – mit dem weiteren Orchesterersatz dreier Plattenspieler, bzw. ist es in Europeras 4 nur noch eines – ein deftiges Sammelsurium bis heftiges Durcheinander zufällig gewählter großer Stellen der Opernliteratur, eben nicht nur live von den Sängern vorgetragen, sondern auch, mehr oder minder verzerrt, von den Plattenspielern. Dazu gehen in Sabine Simitzes und Isabel Ostermanns Inszenierungen die Sänger halbkostümiert, teils in Maske (wunderbar Katharina Kammerloher als Mann mit täuschend echt wirkendem Dreitagebart; man konnte sie glatt für einen Counter halten), teils ohne im Publikum herum, besteigen die im Raum verteilten Podeste, singen simultan ihre Arien, steigen wieder herab, nehmen verschiedene Positionen ein, während zwei Uhren unerbittlich die Zeit hinaufzählen, bis der Countup des jeweiligen Stückes, von Europeras 3 und von Europeras 4, abgeschlossen ist. Mitten dann, wo immer man grad ist, verstummt die Szene, nämlich abrupt. Wobei es während der Aufführung dem Publikum völlig überlassen ist, ob es sitzenbleibt, wo es anfangs Platz nahm, oder ob es aufsteht und seinerseits herumgeht, ja, indem die Türen zum Saal allezeit offenbleiben, ist es jedem freigestellt, aus eignem Ermessen für sich die Vorführung zu beenden. Das ist auch eine Einladung zur Wahrnehmung der eigenen Freiheit, denn wie lange man bleibt, bzw. bleiben müßte, um zu verstehen, seinen Spaß zu haben, vielleicht sogar eine Art Genuß, geben die Stücke nicht vor; im Gegenteil hat die unerbittlich laufende Zeit, deren Präsenz in der Staatsoper noch dadurch unterstrichen wurde, daß man die Uhrziffern riesig auf eine Wand projezierte, etwas von der Aufforderung, daß man sich doch bitte nicht übern Kopf weg ausharrend abfinden möge. Wobei für mich wieder einmal spannend war, wie verschieden der Eindruck ist, wenn man sich mit geschlossenen Augen nur auf die Klangsensationen konzentriert, oder ob man wirklich dem „Geschehen“ mit den Augen folgt. Es ergibt sich ein komplett verschiedenes Erleben; was mit offenen Augen nicht wenig von mit dem Absurden, auch Clownesken spielender Eulenspiegelei hat, wird allein im Ohr zu einer Erfahrung des Gleichklangs, worin sich die heterogensten Klangelemente oft zu überraschenden und auch durchaus ergreifenden Momenten verdichten – aber eben aus derselben Zufälligkeit, die uns solche Erfahrungen bei geschlossenen Augen auch mitten in der Stadt machen läßt, worauf uns aber erst diese Musik stößt. Legendär ist Cages Ausruf anläßlich des Besuchs eines ihn befragenden Journalisten: „Daher hab ich’s!“ – wobei er ein Fenster zur Straße aufriß. Daß er hiermit die Arbeit zum Beispiel Charles Ives’ fortsetzte, ist klar. Dekonstruktion meint bei Cage nicht Zerstörung, sondern ist positiv gemeint: als Lebensbejahung. Daher auch seine musikalische Skepsis gegenüber dem ideologischen Musikpathos. So lesen wir denn auch, kaum daß wir den Saal betreten haben, in großen Lettern an der, den Eingangstüren gegenüber, Längswand:
We temporarily seperate things from live (from changing), but at any moment
destruction may come suddenly and than what happens is fresher.
Womit sich Cage eindeutig auf die Seite der Entwicklung stellt und unseren Ohren empfiehlt, es mit ihm zu halten, anstatt, zum Beispiel, der vom eigentlichen Klangerlebnis wegleitenden Versuchung zu erliegen, aus dem Wust von Klängen einzelne zu identifizieren, d.h. sich eben nicht darauf zu konzentrieren, daß man innere Erfolge des Wiedererkennens feiert: „Ah! das war jetzt Puccini, oh! Humperndinck – und das da, das war doch Simon Boccanegra?“ Völlig läßt sich das aber nicht vermeiden, vor allem nicht dann, wenn besonders immer wieder Wagner von den Plattenspielern klingt; da sucht man eben d o c h ein eigentlich Gemeintes – und ist wahrscheinlich komplett auf der Fehlspur. Vor allem, so groß die Gefahr auch ist, sich von der Szene ablenken zu lassen, findet das eigentliche – und da dann schlagend zupackende – Erlebnis eben allein im Raum zwischen Ohr und Gehirn statt: da, wirklich, wird Musik. Man könnte im einzelnen aufweisen, wie bestimmte Phrasen, gewissermaßen musikalische Themenstanzen, ihrerseits das Geschehen strukturieren, teils wie ein Generalbaß wirkend, teils zu Scheinschlüssen führend, die Steigerungen versprechen usw. Dazu gehören auch die verschiedenen, ich möchte sie Klangvalenzen nennen, auf die die technische Übertragung Einfluß hat, weil sie Auras bestimmt. Jederman kennt das von historischen Aufnahmen: wie verschieden zu modernen Einspielungen der Klang- und damit Assoziationshof ist. Auch darauf spielt Cage an, bzw. spielen die Regisseurinnen darauf an, indem sie in Europeras 4 ein altes, handbekurbeltes Grammophon mit goldglänzendem Schalltrichter neben den Dual-Plattenspieler stellen lassen; die Kurbel wird auch genutzt, aber ohne, daß wirklich eine 78erRPM-Scheibe draufgelegt würde; wir vernehmen nur deutlich das rollende Drehgraunen der Mechanik über vorgestern abend Friedrich von Flotows Martha hinweg. Und starren vorher auf die echtlederbeschlagenen Sohlen der Cowboystiefel eines Sängers, als der es sich am Boden bequem gemacht hat, bzw. sich halb über eines der Podien fläzt. Oder warten darauf, daß einen die Sopranistin, durch Europeras 3 schreitend, mit ihrer rechten Hand berührt, die von Zuschauer zu Zuhörerin im Vorübergehen über die Bäuche gleitet.
We temporarily seperate things from live (from changing), but at any moment
destruction may come suddenly and than what happens is fresher.
Womit sich Cage eindeutig auf die Seite der Entwicklung stellt und unseren Ohren empfiehlt, es mit ihm zu halten, anstatt, zum Beispiel, der vom eigentlichen Klangerlebnis wegleitenden Versuchung zu erliegen, aus dem Wust von Klängen einzelne zu identifizieren, d.h. sich eben nicht darauf zu konzentrieren, daß man innere Erfolge des Wiedererkennens feiert: „Ah! das war jetzt Puccini, oh! Humperndinck – und das da, das war doch Simon Boccanegra?“ Völlig läßt sich das aber nicht vermeiden, vor allem nicht dann, wenn besonders immer wieder Wagner von den Plattenspielern klingt; da sucht man eben d o c h ein eigentlich Gemeintes – und ist wahrscheinlich komplett auf der Fehlspur. Vor allem, so groß die Gefahr auch ist, sich von der Szene ablenken zu lassen, findet das eigentliche – und da dann schlagend zupackende – Erlebnis eben allein im Raum zwischen Ohr und Gehirn statt: da, wirklich, wird Musik. Man könnte im einzelnen aufweisen, wie bestimmte Phrasen, gewissermaßen musikalische Themenstanzen, ihrerseits das Geschehen strukturieren, teils wie ein Generalbaß wirkend, teils zu Scheinschlüssen führend, die Steigerungen versprechen usw. Dazu gehören auch die verschiedenen, ich möchte sie Klangvalenzen nennen, auf die die technische Übertragung Einfluß hat, weil sie Auras bestimmt. Jederman kennt das von historischen Aufnahmen: wie verschieden zu modernen Einspielungen der Klang- und damit Assoziationshof ist. Auch darauf spielt Cage an, bzw. spielen die Regisseurinnen darauf an, indem sie in Europeras 4 ein altes, handbekurbeltes Grammophon mit goldglänzendem Schalltrichter neben den Dual-Plattenspieler stellen lassen; die Kurbel wird auch genutzt, aber ohne, daß wirklich eine 78erRPM-Scheibe draufgelegt würde; wir vernehmen nur deutlich das rollende Drehgraunen der Mechanik über vorgestern abend Friedrich von Flotows Martha hinweg. Und starren vorher auf die echtlederbeschlagenen Sohlen der Cowboystiefel eines Sängers, als der es sich am Boden bequem gemacht hat, bzw. sich halb über eines der Podien fläzt. Oder warten darauf, daß einen die Sopranistin, durch Europeras 3 schreitend, mit ihrer rechten Hand berührt, die von Zuschauer zu Zuhörerin im Vorübergehen über die Bäuche gleitet.
Indes es in Europeras 4, dem eher kammermusikalisch, ja im Gegensatz zum emotionsgewühlten Europeras 3 geradezu poetischen, „leisen“ Teil zu fast tragischen Eindrücken kommt, wenn nämlich Reiner Goldbergs, eines einst großen Sängers, rechte Hand in permanentes parkinsonhaftsches Zittern gerät, weil er sich so anstrengt. Denn – ganz sicher eine Besonderheit dieser Inszenierung – sie gaben alle ihr Bestes, und das ist extrem viel: ob, in Europeras 3, Alin Anca, Alfredo Daza, Esther Lee, Katharina Kammerloher, Paul O’Neill oder Tobias Schabel, ob, in Europeras 4, die wunderbare Narine Yeghiyan oder eben Reiner Goldberg: Cages Musiktheater wird hier nicht, wie oft, von auf Neue Musik spezialisierten oder Sängern der zweiten Reihe interpretiert, sondern von Ensemble-Mitgliedern eines der führenden Opernhäuser unserer Welt. Denn nicht zuletzt, daß sie die Aufführung mit derselben Intensität gestalten, die sie im, sagen wir, bürgerlichen Repertoire zu Stars macht, daß sie ihr Unternehmen also, bei allem Spaß an der Sache, ernst nehmen, machte den Abend zu einem höchst besonderen und zum, siehe oben, gelungensten Abschluß dieses Festivals, der sich nur denken läßt. Daß ausgerechnet „Ridi Bajazzo!“ aus Leoncavallos Cavalleria rusticana, zumal in einer historischen Aufnahme auf Deutsch gesungen, für Europeras 4 durchaus stimmungsgebend war, hatte dabei nicht wenig von der Melancholie eines sterbenden Menschen, der auf ein gutes Leben zurückblickt – ebenso wie die einzelnen Klaviertöne, die in Off-Musiken hineingespielt werden, sowie die „Mhmh“s und das gelegentliche Räuspern Reiner Goldbergs. Da legt sich einem was ums Herz, zumal, wenn dann auch noch… Liszts Liebestodes-Transkription… –
John Cage
EUROPERAS 3 & 4
Regie Sophia Simitzis und Isabel Ostermann.
Ausstattung Corinna Gassauer.
John Cage
EUROPERAS 3 & 4
Regie Sophia Simitzis und Isabel Ostermann.
Ausstattung Corinna Gassauer.
Alin Anca – Alfredo Daza – Esther Lee – Katharina Kammerloher
Paul O’Neill – Tobias Schabel – Reiner Goldberg – Narine Yeghiyan
Klaviere: Günther Albers – Jenny Kim.
Musikalische Gesamtleitung: Günther Albers.