Erkältung, nämlich die „praktische“ Psychosomatik. Mittwoch, den 13. März 2013. Ob auch ein Arbeitsjournal, das ist jetzt, morgens, noch nicht zu sagen. Aber: Lungo l‘Affrico.

9.03 Uhr:
[Arbeitswohnung.]
Noch bin ich nicht bereit, wieder Musik zu hören. Noch geht also alles ein bißchen durcheinander. Aber mein Schwanz meldet sich wieder, was immer das Zeichen für Erholung ist, ja, für, in gewissem Sinn, einen Gegenangriff. Er signalisiert mir deutlich, daß ich mit Depressionen nicht einverstanden bin.
Trotzdem, wonach die Uhr zu stellen gewesen wäre: Husten, Schnupfen, gestern abend dicker Kopf. Grippostad rein, dann ins Bett. Erst um halb acht (!!!) aufgestanden. Ich bin immer wieder davon beeindruckt, wie körperlich seelische Vorgänge wirken, wie körperlich sie ihren Reflex finden, quasi Antwort und Fortsetzung zugleich. Nur auf Fieber hatte ich keine Lust; deshalb die Tabletten. Ich weiß ja, was mein Körper meint, und ich gebe ihm völlig recht. Jetzt will er mir das schlechte Gewissen ersparen, versagt zu haben, indem ich Leipzig absagte, mich gedrückt zu haben usw., und konstruiert einen Grund, der es mir sowieso unmöglich oder doch sehr schwer gemacht hätte, hinzufahren. Krankheit ist jenseits moralischer Kategorien, das weiß er, mein Körper, und entzieht mich so einem „Urteil“. Pfiffiges Kerlchen, das. Mein Geist nimmt es mir außerdem übel, daß ich das Laufen wieder eingestellt und grad keine Lust habe, es wieder aufzunehmen, obwohl das Wetter, trotz der bitteren Kälte (minus zehn Grad sind für Berlin angesagt), es zulassen würde. Bin ich aber krank, dann darf ich gar nicht laufen. Undsoweiter. Das sind, in ihrer bizarren >>>> Konsequenz, ziemlich witzige Vorgänge, denen man imgrunde nur mit Sexualität begegnen kann, damit sie sich nicht chronifizieren, d.h. damit das Unbewußte nicht anfängt, daraus was Praktisches zu lernen und mir anzutrainieren.
Ausgesprochen klar ist, daß ich meine Absage an Leipzig als eine Befreiung erlebe; die schwarze Galle – die man „grau“ nennen müßte – ist wie abgefallen, auch wenn sie versucht, sich durch den grippalen Infekt zu ersetzen. Der sich, seinerseits pfiffig, erst in einen Tarnhusten hüllte, von dem ich annahm, sein Grund sei mein zu heftiger Tabakmißbrauch. Erst als das mit dem Fiebrigen losging, abends, begriff ich, ihm, dem Infekt, auf die Schippe gesprungen zu sein. Mitunter ist es ganz hilfreich, Vorgänge zu personalisieren, also sie mythisch zu Figuren zu machen. Mit denen kann man nämlich reden, und das wirkt zurück. Prozesse hingegen sind nur, was sie sind. Genau das, übrigens, dieser bizarre Zusammenhang, ist eine der Stärken Phantastischer Literatur: Prozesse werden gestaltbar. Dämonen kann man bannen und/oder austreiben, Prozesse nicht.
Interessant auch, besonders, das sich aus mir hochwölbende sexuelle Dominante, die Grausamkeit der Fantasien, die dem tatsächlichen Niedergedrücktsein entspricht. Es ist ein sich stärkendes wieder-widerstehen-Wollen, sogar nicht nur Wollen, sondern Müssen, nämlich als Trieb. Daß dies mit persönlichen Traumata Hand in Hand wirkt, ist klar: die Art der sexuellen Fantasie, ihr Fetisch sozusagen, leitet sich rein aus der biografischen Erfahrung her; meist ist sie ein chronifizierter, nie überwundener Kindheitsrest. Die Kraft selbst aber nicht, schon gar nicht ihre Umsetzung. Da es sich, wenn man dem bewußt nachgeht – was ich für absolut notwendig halte -, um ein moralisches „Spiel“ handelt, hängt die Auflösung davon ab, daß man den, sozusagen, inversen Partner hat oder findet. Gefühlte und/oder tatsächliche Niederlagen werden zu erlebten Höhepunkten gedreht. Für beide Seiten führt das zur Überwindung der Niederlage, zu gestärktem Selbstbewußtsein: Bewußtsein seines/ihres Selbsts. Daß dies nur bei starker Libido funktioniert, ist selbstverständlich. Nicht jede/r, wahrscheinlich, kann diesen Weg gehen.

[BDSM.
Kulturtheorie des Geschlechts.]
Ich werde >>>> Gogolin weiterlesen, während ich auf meinen Geld-Dealer warte. Allmählich sollte er sich melden, sonst wird es wieder eng. Ansonsten D‘Annunzios >>>> Alcyone; mein Vorhaben ist, jeden Tag mindestens eines der Gedichte zu lesen, die ich jeweils dreimal lese: erst in Dreyers sprachlos machendem Deutsch, dann auf Italienisch, dann noch einmal auf Deutsch, wobei ich immer parallel ins Italienische schiele. Gestern war es „Lungo l‘Affrico nella sera di Guigno dopo la pioggia“:
(…)
Verheißt nicht jeder ihrer kurzen Schreie
ein Gut, dem Herzen fremd, das es doch ahnend
errät, wenn es zusammenschrickt im Lauschen?
Beinah des Nests uneingedenk verweilen
sie sich; und wo sie flogen, am Gestade,
scheint fortzudauern ihrer Schwingen Rauschen.
Die ganze Erde, jauchzend,
wird Ton, dem Liebeswerk sich anzuwerben.
Botschaft der Schrei: der Abend und sein Sterben
sicherer Morgen.

Was >>>> Dreyers Übersetzungen genial macht, ist nicht einmal so sehr, wie er den italienischen Reim ins Deutsche bringt – und wo er es an anderer Stelle tut, als D‘Annunzio tat -, sondern daß er silbengenau ist; anders als im Deutschen spielt die Silbenanzahl in der italienischen Lyrik eine besonders akzentuierte Rolle. Und „immemori“ mit „uneingedenk“ zu übersetzen, ist eine Leistung für sich, zumal mit den vielen den Vers klammernden „n“s: „Beinah des Nests uneingedenk verweilen“; das „n“ in „uneingedenk“ zählt lautlich nicht, weil am hinteren Gaumen gesprochen, nicht vorne. Man muß diese Übersetzungen laut lesen, damit sie sich erfüllen. Heute also Der fiesolanische Abend/La sera fiesolana, das ich gestern aber auch schon einmal las, doch nicht bis zum dritten Mal kam, weil meine Fußpflegerin ihre sanfte Arbeit begann:Laudate sii per le tue vesti aulenti,
o Sera, e pel cinto che ti cinge come il salce
il fien che odora!

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